„EG 8 Es kommt ein Schiff, geladen …“ 6.12.20 Liedpredigt Trautskirchen
Liebe Gemeinde im Advent!
Es ist Advent. 2. Advent. Heute, 6.12. ist am 2. Advent sogar Nikolaustag. Nikolaus war ein Bischof in Myra in der heutigen Türkei. Er hatte der Legende nach junge Mädchen vor der Prostitution bewahrt, indem er heimlich Geld oder Lebensmittel vor die Wohnungen der verarmten Leute legte. In einer Zeit großer Hungersnot wartet er auf eine Schiffsladung voller Getreide. Nikolaus wartet auf ein Schiff. Auf wundersame Weise wird der Legende nach ein Schiff tatsächlich kommen und die Not der Menschen beenden.
Wir warten ebenfalls auf ein Schiff. Auf was für ein Schiff wir warten, wird sich noch herausstellen. Jedenfalls zünde ich ein Adventslicht auf diesem Schiff symbolisch an. Dieses Adventslicht steht für all die Hoffnung, die wir haben. Im Alltag vergessen wir manchmal, was wir im Tiefsten uns erhoffen. Unsere Trauer, unsere Traurigkeit, unser Ärger oder manchmal auch der ganz alltägliche Trott lassen unsere menschliche Fähigkeit zum Hoffen leicht einrosten. Darum brauchen wir ab und zu solche besondere Zeiten wie die Adventszeit. Um die Hoffnung in uns wachzuhalten. Um die Hoffnung in uns stark zu machen.
Wir Menschen warten auf ein Schiff, das da kommen soll. Wir Menschen warten und hoffen, solange wir leben.
Ein erstes Lied macht es deutlich. Es ist ein durch und durch weltliches Lied aus der Dreigroschenoper von Berthold Brecht. Es ist das berühmte Lied der Spelunken-Jenny. Die Spelunken-Jenny, auch als Seeräuberjenny bekannt, ist ein Spül- und Zimmermädchen in einem drittklassigen Hotel. Wir hören ihr Lied. Ich lese es vor.
SEERÄUBER-JENNY („DIE DREIGROSCHENOPER“)
Meine Herr’n, heute seh’n sie mich Gläser abwaschen
Und ich mache das Bett für jeden.
Und Sie geben mir einen Penny und ich bedanke mich schnell.
Und sie sehen meine Lumpen und dies lumpige Hotel.
Und sie wissen nicht, mit wem Sie reden.
Aber eines Abends wird Geschrei sein am Hafen.
Und man fragt: „Was ist das für ein Geschrei?“
Und man wird mich lächeln seh’n bei meinen Gläsern.
Und man sagt: „Was lächelt die dabei?“
Und ein Schiff mit acht Segeln
Und mit fünfzig Kanonen
Wird liegen am Kai.
Und man sagt: „Geh‘ wisch‘ deine Gläser mein Kind“
Und man reicht mir den Penny hin.
Und der Penny wird genommen und das Bett wird gemacht,
Und es wird keiner mehr drin schlafen in dieser Nacht.
Und sie wissen immer noch nicht, wer ich bin.
Denn in dieser Nacht wird ein Getös‘ sein im Hafen
Und man fragt: „Was ist das für ein Getös‘?“
Und man wird mich stehen sehen hinterm Fenster.
Und man sagt: „Was lächelt die so bös?“
Und das Schiff mit acht Segeln
Und mit fünfzig Kanonen
Wird beschiessen die Stadt.
Meine Herr’n, da wird wohl Ihr Lachen aufhören
Denn die Mauern werden fallen hin
Und die Stadt wird gemacht dem Erdboden gleich
Nur ein lumpiges Hotel wird verschont von jedem Streich
Und man fragt: „Wer wohnt Besonderer darin?“
Und in dieser Nacht wird ein Geschrei um das Hotel sein
Wenn man fragt: „Warum wird das Hotel verschont?“
Und man wird mich sehen treten aus der Tür gen‘ Morgen
Und man sagt: „Die hat darin gewohnt?“
Und das Schiff mit acht Segeln
Und mit fünfzig Kanonen
Wird beflaggen den Mast
Und es werden kommen hundert gen‘ Mittag an Land
Und werden in den Schatten treten
Und fangen einen jeglichen aus jeglicher Tür
Und legen ihn in Ketten und bringen vor mir
Und fragen: „Welchen soll’n wir töten?“
Und an diesem Mittag wird es still sein im Hafen
Wenn man fragt, wer wohl sterben muss…
Dann werden Sie mich sagen hören:
„ALLE!“
Und wenn dann der Kopf fällt, sag‘ ich:
„HOPPLA!“
Und das Schiff mit acht Segeln
Und mit fünfzig Kanonen
Wird entschwinden mit mir…
Writer(s): BRECHT EUGEN BERTHOLD, WEILL KURT Lyrics powered by http://www.musixmatch.com
Die Dreigroschenoper wurde 1931 uraufgeführt. Spelunken-Jenny führt ein Leben, das man eigentlich keinem wünscht, erst recht nicht einem jungen Mädchen, das doch seine Zukunft noch vor sich haben sollte. Die Absteige am Hafen, in der sie arbeitet, ist schäbig, die Gäste, die da ein und ausgehen, Halbkriminelle – und selbst die fühlen sich ihr noch überlegen und behandeln sie wie Dreck. Ein Zimmermädchen in einem „lumpigen Hotel“ – keiner, der sie liebt, keiner, der sie respektiert. Dieses Leben, so jung es ist, scheint in einer Sackgasse gelandet zu sein, die Zukunft ist trostlos vorhersehbar.
Allerdings: Es gibt etwas Besonderes an der Spelunken-Jenny: Sie hat das Hoffen nicht verlernt. Während sie Betten macht und Gläser spült, während sie sich von schlechtgelaunten Gästen herumkommandieren lässt, hängt sie innerlich großen Träumen nach.
Ein Schiff wird kommen, fünfzig Kanonen an Bord, und wird die Stadt in Schutt und Asche legen. Jenny kommt dann endlich zu Recht und Würde. Die „Herren“, die sie jetzt verächtlich behandeln, werden endlich die wahre Größe des kleinen Zimmermädchens erkennen. „Wer wohnt Besonderes darin?“ flüstern sie mit angstvollem Respekt, als die Kanonen das Hotel verschonen. Aber das nützt ihnen nichts, Jenny verordnet ihnen ein blutiges Ende. „Und wenn ein Kopf fällt, ruf ich: Hoppla!“ Sie selbst steht am Ende aufrecht da, das wunderbare Schiff nimmt sie mit und entschwindet mit ihr in die Ferne.
Von einem Schiff träumt das Mädchen. Aus ihrer eigenen tristen Umgebung wird keine Veränderung kommen, das fühlt sie wohl … Ein Schiff kommt von weit her, vom Meer. Ein Schiff kann aus unbekannter Ferne Fremdes, Unbekanntes in die alte, begrenzte Welt bringen. Ein Schiff ist immer ein bisschen von Geheimnissen umweht, es eignet sich als „Traumschiff“. Ein Traumschiff reißt das Zimmermädchen aus seiner trostlosen Welt heraus. Allerdings ist es für die anderen ein Alptraumschiff, dieses Schiff mit 50 Kanonen. Ob es wirklichen Frieden bringt, ist mehr als fraglich.
Ein anderes Lied, ein anderes Schiff. Dieses können wir später selbst besingen, es steht im Gesangbuch unter der Nummer 8. „Es kommt ein Schiff, geladen…“
Ein geheimnisvolles, rätselhaftes Lied. Ein alter Mystiker hat es geschrieben. Der Sinn der Worte erschließt sich nicht leicht, doch das Bild vom Schiff ist einfach und stark.
Auch dieses Schiff kommt aus weiter Ferne, von noch viel weiter her als das der Spelunken-Jenny. Erkennen kann man das an der „Ladung“. Das Schiff des Mädchens hat 50 Kanonen an Bord, eine äußerst diesseitige Fracht. Das Adventsschiff trägt „Gottes Sohn, der voller Gnaden ist“. Gottes Sohn. Damit ist der Herkunftsort des Schiffes gewissermaßen mit genannt: Es kommt aus der Welt Gottes. Von einem Ort, an dem kein Mensch je gewesen ist. Es kommt aus dem völlig Unbekannten.
Advent – Zeit der Hoffnung. Da stehen wir, so stelle ich mir das vor, zusammen Spelunken-Jenny im Jahr 1931, aber auch mit Daniel Sudermann, dem Dichter dieses Liedes aus dem Jahr 1626 am Ufer unserer diesseitigen Welt. Wir suchen gemeinsam den Horizont ab, halten gemeinsam Ausschau nach einem Schiff, das aus der Fremde zu uns kommt.
Unser Ufer, das teilen wir in vieler Hinsicht mit der Spelunken-Jenny. Das scheint vielleicht auf den ersten Blick nicht so. Bertolt Brecht hatte die Not und Wirren der 1930iger Jahre im Blick. Viele Deutsche ist es damals schlecht gegangen, waren arbeitslos, ohne Hoffnung. Die ersten Naziträume werden geträumt. Wir wissen, es geht nicht gut aus. Das Schiff ist nicht gekommen oder seine Ladung entpuppt sich als Alptraum.
Wir Trautskirchener sind nicht so arm wie Spelunken-Jenny. Uns Franken geht es nicht so schlecht, uns geht es in Bayern gut. Und überhaupt haben wir in unserem deutschen Landen nur Jammern auf hohen Niveau. Ich sage das trotz Corona und trotz eingeschränktem Weihnachtsfeiern. Denken wir an Zeiten, in denen Pest und Cholera, Krieg und alltägliche Gewalt wie im Dreißigjährigen Krieg an der Tagesordnung waren, geht es uns wirklich wohlhabend gut.
Aber in unserem wohlhabenden Deutschland gibt es viele Orte und Menschen, denen es an Liebe und Respekt fehlt. Ja mehr noch, wenn ich mir die Hassergüsse und Wutreden auf Querdenkerdemos anschaue, habe ich den Eindruck: Den Menschen fehlt es nicht nur an Liebe, Anstand und Respekt. Den Menschen fehlt es an Hoffnung. Weil sie keine Hoffnungsbilder in sich tragen, kommen in Krisenzeiten wie Corona von außen gesehen, sehr sonderbare Zerrbilder hervor, Verschwörungsmythen, Lügengeschichten, selbstzusammengebastelte Wahrheiten, Worte, die spalten, aber den Menschen keinen Halt und keine Hoffnung geben.
Man muss nicht auf Quersdenkerdemos oder andere irrlichternde Menschen-versammlungen gehen, um verächtliche und gleichgültige Menschen ohne Hoffnung zu treffen. Dass Liebe fehlt und der Respekt, und auch die Hoffnung im Herzen nicht zu finden ist, das kann man an vielen Orten erleben, auch oder vielleicht gerade an den feineren Adressen. Unsere Welt ist an vielen Stellen ein grauer, trostloser, hoffnungsloser Ort.
Es kommt ein Schiff, geladen… Mit diesem Adventslied treten wir an das Ufer unserer bekannten Welt. Wir halten Ausschau nach einem Lichtstreif am Horizont. Wir versuchen uns in der Hoffnung, dass aus der Ferne Gottes etwas anderes zu uns kommt, ein fernes Licht, das uns Hoffnung gibt, eine göttliche Freundlichkeit, die wir in unser Herz aufnehmen können.
Es kommt ein Schiff, geladen
bis an sein’ höchsten Bord,
trägt Gottes Sohn voll Gnaden,
des Vaters ewigs Wort.
Geladen ist dieses Schiff anderes als unsere Schiffe der Hoffnung. Statt Kanonen trägt es einen Menschen. Gottes Sohn. Ein Segel bringt das Schiff voran, von dem heißt es: „Das Segel ist die Liebe“. Das Schiff wird vorangetrieben von der Kraft, die bei uns ziemlich oft fehlt.
2. Das Schiff geht still im Triebe,
es trägt ein teure Last;
das Segel ist die Liebe,
der Heilig Geist der Mast.
Im Lied ist es nicht die ganze Zeit Advent. Ganz langsam bringt das Schiff Gottes Welt näher zu unserem Ufer heran, und schließlich legt es tatsächlich an.
3. Der Anker haft’ auf Erden,
da ist das Schiff am Land.
Das Schiff ist am Land. Die Verbindung ist hergestellt zwischen den beiden Welten. Himmel und Erde, Jenseits und Diesseits. Aber wozu? Was fangen wir damit an?
Das Lied deutet die Antworten nur an.
Das Wort will Fleisch uns werden, der Sohn ist uns gesandt. gibt sich für uns verloren;
Ein von Gott geschickter Sohn, der sich für uns „verloren gibt“. Ein Segel, das die Liebe ist. Ein Anker, der das Schiff in unserer Erde festhält.
Auf dem Segel des kleinen Holzschiffes ist ein Kreuz zu sehen. Das Segel, das die Liebe ist. Das Christusbild von Oskar Kokoschka ist mir dazu eingefallen. Auf der Seite 812 in unserem Gesangbuch ist es abgedruckt: „Christus hilft den hungernden Kindern“ heißt es.
Die Kokoschkazeichnung stammt von 1946 und zeigt Christus, der sich von seinem Kreuz herabbeugt und die Hand ausstreckt zu einer Schar von leidenden Kindern. Es sieht aus, als würde er gleich vom Kreuz hinuntersteigen zu ihnen.
Der Anker des Schiffes haftet fest auf Erden. Der Abgesandte aus Gottes Welt steigt aus, mischt sich unter die Leidenden wie die Fröhlichen, teilt ihr Schicksal. Streckt sich vom Kreuz aus und hilft den hungernden Kindern, den Armen und Schwachen dieser Welt.
Das Traumschiff der Spelunken-Jenny ist zum Schluss mit dem Mädchen in weite Ferne verschwunden. Die zerstörte Stadt hat es sich selbst überlassen. Die zerstörte Welt bleibt ohne Hoffnung zurück.
Anders das Adventsschiff. Der vom Adventsschiff kommt, steigt aus, bleibt bei den Menschen, teilt ihre Not. Jesus lässt sich verspotten wie das Zimmermädchen und die gering geschätzten Armen dieser Welt. Jesus hat teil am einsamen Leben der Alten und Schwachen. All denen ist er nah. Er betrachtet nicht nur wohltätig ihr Schicksal, sondern setzt sich dem selber aus. „Gibt sich für uns verloren“.
Jesus ist auf Erden ausgestiegen und hat Dunkel und Verachtung am eigenen Leib erlebt. Aber er ist darin nicht untergegangen. Im Gegenteil. Er bringt aus seiner Welt etwas Neues ins irdische Grau hinein. Auf der Zeichnung von Kokoschka kann man das sehen: Unter dem Kreuz, die Menschen, die zu ihm hinsehen, die sind nicht geduckt und klein, wie das Zimmermädchen. Eine Hand ist zu ihnen ausgestreckt, sie lächeln, richten sich auf und sehen mit hoffnungsvollen Gesichtern zu ihm. In diesem Moment ist ihre verletzte Würde wiederhergestellt. Aber nicht mit Blut und Kanonen. Sondern mit Gesten der Liebe.
Liebe Adventsgemeinde. Plätzchenduft und Kerzenschein, Geschenkekaufen und Glühwein mit Zimt. Gott sei Dank ist das nicht Advent. Sonst könnten wir wegen Corona nur bedingt Advent feiern. Advent geht aber tiefer. In ihrer tiefsten Schicht ist die Adventszeit eine Zeit, in der wir auf den Grund unsere letzten Hoffnung warten: Ein Schiff wird kommen….
Jetzt ist die Zeit, den Blick über den Alltag hinaus zu heben. Auch über den Horizont von Corona hinaus. Wir können unseren Blick an den Horizont richten. So wie die Spelunken-Jenny das tat. Wir können an Spelunken-Jenny erkennen, wie alptraumhaft unsere Hoffnungen sein werden, wenn wir den Horizont unserer Hoffnung nur auf das Diesseits begrenzen. Jetzt ist die Zeit, sich auf eine andere göttliche Wirklichkeit zu besinnen, die unser Leben zusammenhält. Sie ist nicht fern. Wie ein Schiff aus der Ferne bewegt sie sich auf uns zu. Als Fracht führt sie einen konkreten Menschen mit sich, der zur Liebe besonders begabt ist. Jesus. Er verleiht uns eine eigene Würde, was auch passiert. So hilft er uns, dass wir uns mit den Zuständen am diesseitigen Ufer nicht abfinden – dass wir uns sperren gegen Hoffnungslosigkeit, Verachtung und Lieblosigkeit.
So warten wir auf ein Schiff, wie Nikolaus auf das Schiff mit Getreide, wie Daniel Sudermann mitten im Dreißigjährigen Krieg. So warten auch wir 2020 in unserer Zeit mit unseren Ängsten und Nöten auf ein Schiff, das die Liebe und Hoffnung in unsere Zeit bringt. Möge das Adventlicht dieses Schiffes auch in unseren Herzen brennen. Amen.