Monatsarchiv: Juni 2019

Gedankenblasen

Ich höre ihm zu

wie er von AfD- Versammlungen berichtet,

überzeugt davon,

dass der Islam nicht zu Deutschland gehört,

alle Moslems sich verschworen haben,

uns in Deutschland zu vereinnahmen und zu erobern.

Ich höre ihm zu

wie er

von einer anderen Kultur spricht,

die der unsrigen widerspricht.

Von letzterer ist er geprägt,

auch wenn er längst den Glauben an Gott verloren hat,

und für ihn bleibt als Kern dieser in seinem Leben verdunsteten Kultur

die Nächstenliebe

übrig.

Und ich denke mir, während er das so sagt:

Nächstenliebe nur für Deutsche?

Kann das wahre Nächstenliebe sein?

Ist Nächstenliebe nicht grenzenlos

und die Würde

aller

Menschen

unantastbar?


Und währenddessen erzählte er mir von seinem fehlenden Gottesglauben.

Und ich dachte mir:

Fehlt mit dem Gottesglauben,

ganz gleich wie er geformt und geprägt ist,

nicht etwas für uns Menschen ganz Entscheidendes?

Ihm fehlt augenscheinlich der Trost angesichts der Vergänglichkeit des Lebens.

Er hat nicht, was Christen auf dem Sterbebett haben,

einen Halt,

und sei es nur einen Strohhalm.

Das waren meine Gedankenblasen,

ich hätte sie ihm gerne erzählt,

aber er hörte nicht zu.

Aber immerhin waren unsere Gedankenblasen nahe beieinander.

Sekundensache

Eine Sekunde nicht aufgepasst,

und du wirst schuldig.

Es war letzten Ende zwar nichts,

trotzdem hat mich diese Sekunde

mehr als irritiert.

Verunsichert,

wer weiß,

was noch an Unaufmerksamkeit in mir steckt.

Auf einmal ängstlich,

wer weiß,

was für Folgen das haben wird.

Erstaunt stelle ich fest,

in mir ist keine Angst, mein Leben zu verlieren.

In mir ist die Angst, das Leben eines anderen zu schädigen

oder zu beenden,

nur weil ich

eine Sekunde lang

unachtsam war.

Angst vor dem Tod

Angst vor dem Tod

habe ich nicht

höchstens Angst vor dem

was davor ist

und danach

vielleicht doch nicht ist

Das Leben auskosten

Meine Zeit ist begrenzt.

Dass ich

vielleicht

in zwanzig oder dreißig Jahren tot bin,

hat eine gewisse Wahrscheinlichkeit,

denn nicht jeder wird 90 oder mehr.

Dass ich

vielleicht

in zwei oder drei Jahren tot bin,

ist auch durchaus möglich,

denn nicht jeder wird 60.

Meine Zeit ist deshalb begrenzt

auf zwanzig oder dreißig Jahren,

oder auch nur zwei oder drei Jahren.

Sollte meine Zeit vor dem Ruhestand kommen,

will ich nicht zurückblicken und sagen müssen:

„Hätte ich doch mir mehr Zeit genommen für die wichtigen Dinge des Lebens.“

Sollte meine Zeit erst lange nach dem Ruhestand kommen,

will ich zurückblicken und sagen können:

„Als ich noch konnte, habe ich mein Leben aktiv gelebt,

als ich nicht mehr konnte, habe ich mein Schicksal aktiv angenommen.

Ich habe die Zeit, die mir zur Verfügung stand,

ausgekostet und genutzt.“

Ich lebe mein Leben und nicht das Leben anderer.

 

Ich verbiege mich nicht.

Ich muss nicht von allen gemocht werden.

Wenn ich wirklich frei sein will,

ganz ich selbst,

unabhängig von den Meinungen und Erwartungen anderer,

muss ich damit rechnen,

von dem einen oder anderen nicht gemocht oder abgelehnt zu werden.

Aber wenn ich immer nach den Erwartungen anderer lebe,

lebe ich mein eigenes Leben nicht.

Ich würde dann zwar von allen gemocht werden, aber nicht respektiert,

Ich lebe dann nur das Leben anderer.

 

Ich verbiege mich nicht.

Ich muss nicht beliebt sein.

Wenn ich wirklich frei sein will,

ganz ich selbst,

unabhängig von der Anerkennung und der Kritik anderer,

muss ich damit rechnen,

mich hier und da unbeliebt zu machen.

Ich bin aber nicht dazu da, mich bei den Leuten beliebt zu machen.

Ich spüre meinen Wunsch nach Anerkennung und Wertschätzung.

Aber jedes „Das hast du gut gemacht! “

macht mich im Grunde genommen

abhängig und unfrei.

Und die Furcht

vor jedem „Was hast du da wieder falsch gemacht!“

macht mich erst recht unfrei.

Die Freiheit, ganz ich selbst zu sein, bedeutet notwendigerweise:

Ich werde auch mal nicht gemocht oder abgelehnt.

Was ist schon Schlimmes dabei, wenn ich nicht gemocht und abgelehnt werde?

Ich lebe dafür mein Leben und nicht das Leben anderer.

 

Nach Erkenntnissen von Alfred Adler