Monatsarchiv: April 2014

Heilung durch Nähe

Eine TV-Sendung zeigt Beispiele,
wie Ärzte zusätzlich zur gewohnten ärztlichen Heilkunst
Menschen heilen
durch Berührung, z.B. durch Handauflegung.
Oder wie Menschen auch dadurch geheilt werden,
dass sie sich positive Bilder immer und immer wieder vorstellen.
Nichts anderes hat Jesus getan:
Er hat Menschen berührt, hat Hand aufgelegt, gesegnet
Und dadurch den Heilungsprozess im Menschen in Gang gesetzt.
Er hat sich den Menschen zugewandt und seine Nähe und Zuwendung haben sie als heilsam erfahren.
Er hat Menschen positive Geschichten von Gott wieder und wieder erzählt
Und auch dadurch Heilung ausgelöst.

So können auch wir heute
durch Zuwendung, körperliche Nähe und Segnung,
durch das Erzählen von heilsamen Geschichten von und über Jesus
heilsam für Mitmenschen sein.

Mündliche Überlieferung – der erinnerte Jesus

Zunächst wurden einzelne Perikopen, Sinnsprüche, kurze Geschichten von Jesus als Logien mündlich weitergegeben. Dabei ist festzuhalten, dass es immer der erinnerte Jesus ist, nie der wirkliche Jesus, den wir vor uns haben. Und wenn ich an mein Erinnerungsvermögen, was vor 20/30 Jahren war denke, bekomme ich schon meine Zweifel, ob es bei den ersten Christen mit dem Erinnerungs-vermögen nach 30/40 Jahren noch so weit her war. Schon das, woran sich Menschen erinnern konnten, ist schwammig, selbst wenn man sich nach besten Wissen und Gewissen zu erinnern versucht hat. Selbst die beste Erinnerung ist immer auch ein Konstrukt unseres menschliches Hirns: Wir erinnern uns, woran wir uns erinnern wollen, legen uns Dinge zurecht, dass sie passen, anderes wird verdrängt oder vergessen. Gut erinnern wird man sich an provokante Erinnerungen, Dinge und Ereignisse, die dem gewohnten Denkvermögen quer standen: Dass Jesus getauft wurde, dass Jesus mit seiner Familie Streit hatte und sie ihn für verrückt hielt, dass er gekreuzigt wurde, das und anderes sind unbequeme Erinnerungen, die das Erzählte historisch wahrscheinlich machen.
Dann gibt es in der Zeit der mündlichen Überlieferung auch Herrenworte, die nachösterlich neu entstanden sind. Die ersten Christen sahen keinen Unterschied zwischen Herrenworte eines Jesus vor seiner Auferstehung und Herrenworte ihres auferstandenen Herren. Wenn ihnen ein Wort des Herrn (durch Meditation und Gebet) eingegeben wurde, war es von Jesus selbst und wurde entsprechend auch als Jesuswort verschriftet. So erklären sich nachösterliche Jesusüberlieferungen. Die Jesu-Worte wurden weitererzählt, umgeformt, neu erzählt in die jeweils neue Situation hinein.
Das geschah nicht mit der Absicht eines Betruges, sondern in der ehrlichen Absicht, die Jesustradition in die eigene Zeit hinein zu übersetzen. Trotzdem genügen diese Weitererzählungen und Ausschmückungen natürlich nicht unseren heutigen historischen Grundsätzen. Historiker waren die Evangelisten nicht, sondern Leute, die Jesus verherrlichen wollten.

Der Sinn von Jesu Tod am Kreuz

Zunächst ist eines festzustellen: Jesus von Nazareth ist den Tod eines Aufrührers gestorben, es war ein Tod, der seine Jünger und Jüngerinnen ratlos und verzweifelt gemacht hat. Jesus wurde von den Römern als Aufrührer irrtümlich gehalten und starb deshalb den Tod eines politischen Verbrechers am Kreuz.
„Wir hielten ihn aber für den, der Israel befreien würde“ (Emmaus-Jünger)
Der sinnlose Tod muss doch einen Sinn gehabt haben. So macht sich seine Anhänger auf verzweifelte Weise auf Sinnsuche und wurden in ihren Heiligen Schriften fündig:
a) „Musste nicht der Messias/der Christus leiden?“ Sie stießen auf den leidenden Gottesknecht in der Jesajatradition und sahen Jesus als leidenden Propheten, der wie andere Propheten auch konsequent seinen Weg bis in den Tod gegangen ist.
Weitere Denkmodelle, auf die die Jesusanhänger auf der Suche nach Sinn eines sinnlosen Todes gestoßen sind (die Aufzählung ist nicht erschöpfend):
b) Die Freundesliebe: Jesus im Johannesevangelium: Nichts ist größer als dass einer für seine Freunde stirbt.
c) Der Loskauf aus der Sklaverei
d) Stellvertretung (z.B. Jesus anstelle von Barabbas)
e) Versöhnung mit Gott: Lasst euch versöhnen mit Gott!
f) Jesus als Opfer in Analogie zum Tempelkult, den es damals noch gegeben hat
g) das Passalamm aus der Passalammtradition: Ein Motiv der Befreiung aus der Sklaverei Ägyptens
h) bis hin zur Formulierung „für uns gestorben“.
Aber was heißt „für uns gestorben“? Welche Bedeutung kann Jesu Tod am Kreuz nach 2000 Jahre noch haben?
Diese Frage muss jeder für sich selber beantworten.
Auf der einen Seite wird dieser Tod genauso sinnlos und bedeutungslos bleiben wie er den Jüngern anfangs vorgekommen ist. Wozu – warum dieser sinnlose, bedauerliche Tod Jesu? Darauf gibt es keine Antwort genauso wie der Tod vieler anderer unschuldiger Menschen, die es wahrhaftig nicht verdient haben auf menschenunwürdige Weise irgendwo auf dieser Welt elendiglich zu verrecken. Der Tod Jesu als sinnloser Tod macht Sinn als Aufschrei und Protestschrei gegen jeden sinnlos dahingeopferten Tod von Menschen, ganz gleich welcher Religion, Herkunft oder Zeit. Denken wir an Auschwitz, oder den Hungertod vieler Menschen heute oder brutale Hinrichtungen auch heute noch.
Auf der anderen Seite können wir in Eigenverantwortung unseres gelebten Glaubens dem Tod Jesu auch nach 2000 Jahren Bedeutung und Sinn geben. Den Sinn muss jeder selber für sich geben. Wir können auf Sinndeutungen in unseren Heiligen oder Unheiligen Schriften suchen wie die Christen damals und suchen, was für uns Sinn macht. Wie auch immer wir uns dabei entscheiden, wenn wir uns darauf einlassen, dem Tod Jesu einen Sinn zu geben, wir werden spüren: Der Tod Jesu lässt uns nicht kalt. Er hat dann existentielle Bedeutung für unser Glaubensleben, für unser Leben überhaupt.
Vom Kreuzestod Jesu geht noch heute eine Kraft aus, eine Dynamik (wie Paulus sagt), die rettet, selig macht, tröstet, und aufrichtet im Leben und Sterben.
Ich will nur andeuten, dass wir diese alten Formeln und Deutungen vom Tod Jesu, wenn sie uns zu unverständlich geworden sind, auch hintenan schieben können. Wir können dahinter etwas entdecken, was immer auch für alle Zeiten gilt: Gottes unbedingte Liebe zu uns Menschen, die ein ganzes Leben gilt bis zum Tode und darüber hinaus. Wer kann uns scheiden von der Liebe Gottes…
Momentan sehe ich in der Jesajatradition eine weitere mögliche Sinndeutung, die mir einleuchtet und mir Sinn gibt: Jesus trägt unsere Krankheit und Schmerzen und löst damit, wenn wir uns darauf existentiell einlassen, einen Heilungsprozess in uns aus, der alle Verhärtung und Vereisung unter der Gottesliebe dahinschmelzen lässt. Der Tod Jesu gibt also Sinn als einen Beitrag zur inneren Heilung.

Zitat

Ein Stachel gegen eine Mythisierung Jesu

In der Historischen Jesus Forschung  hat sich in den letzten Jahren etwas getan und weiterentwickelt. Ich verweise auf E.P. Sanders, Sohn Gottes und W. Stegemann, Jesus und seine Zeit. So hat man z.B. Jesus in seinem jüdischen Umfeld genauer in den Blick genommen und Jesus als Jude seiner Zeit wahrgenommen. Wenn man Wolfgang Stegemann folgt, ist Jesus ein jüdischer Rabbi, der aus dem jüdischen Kontext kaum herausragt: Er hält sich an die Thora, kritisiert die erweiterten Überlieferungen dazu, akzeptiert jüdische Reinigungsvorschriften und Opfer. Selbst die Feindesliebe ist im jüdischen Kontext nichts, was es auch schon gegeben hat.

Auch andere amerikanische Neutestamentler gehen sozialkritisch vor: Crossan, John ; Reed, Jonathan , mit dem etwas seltsamen Titel „Jesus ausgraben. Zwischen den Steinen – hinter den Texten.“ Das jüdische Umfeld zur Zeit Jesu kann man da als ziemlich kleinkariert wahrnehmen. Nazareth ein Dorf mit 150 bis 300 Einwohner, wahrscheinlich nicht einmal eine Synagoge. Kapernaum vielleicht 1000 Einwohner, alles ärmlich. Überhaupt Galiläa tiefste Provinz. Es gibt zwei größere Städte Tiberias und Sepphoris, in die Jesus vermutlich nicht hineingegangen ist. Seine Anhängerschaft ist untere soziale Schicht in tiefster Provinz. Jesus ist also ein ziemlich kleines Licht in der Provinz.
Eine zweites  interessantes Ergebnis: Die Reichs-Gottes-Botschaft Jesu ist sozialpolitisch. Wir haben sie spiritualisiert. Ähnlich wie aus den materiell Armen die geistlich Armen wurden, wurde das Reich Gottes vergeistlicht und verinnerlicht und damit entschärft. Ursprünglich war die Botschaft vom Königreich Gottes ein sozialutopischer Gegenentwurf zum römischen Weltreich: Nicht den Römern gehört das Land, sondern, von der Thora her, Gott gehört das Land und er fordert soziale Gerechtigkeit auf dem Land, das ihm gehört. Durch Botschaft und praktiziertes Umsetzen der Botschaft (Tischgemeinschaften mit allen Schichten, Teilen und Heilen) vom Reich Gottes war die Jesus-Bewegung ähnlich wie die Täuferbewegung ein Gegenentwurf zum römischen Reich, das einige Sprengkraft enthielt. Es war nur eine Frage der Zeit, dass Jesus mit dem römischen Reich zusammen-prallen musste.
Für mich ist diese sozialpolitische Reichs-Gottes-Botschaft hochaktuell in einer Welt, die nach soziale Gerechtigkeit schreit. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist heute wohl noch krasser als damals zur Zeit Jesu. Aber auch damals waren die Villen der Reichen protzig gebaut neben den ärmlichen Hütten und Häusern einer armen jüdischen Landbevölkerung.

Ich sehe es kritisch, wie aus einem armen Wanderprediger ein erhöhter Gottessohn geworden ist. Ich stelle fest, die zunehmende Mystifizierung der geschichtlichen Gestalt Jesus von Nazareth hat ihn und seine Botschaft auch entschärft und verharmlost. Aus einem Wanderprediger mit einer sozialkritischen Botschaft gegen die Ungerechtigkeit dieser Welt, der dafür als Rebell am Kreuz geendet hat, ist ein erhöhter Gottessohn geworden, der sich einreiht in die Reihe der vergöttlichten Menschen der Antike. Einer, der sich für die Gerechtigkeit Gottes eingesetzt hat ist damit einverleibt und vereinnahmt worden von einer antiken Religiösität, die das politische System stützt und damit auch die Ungerechtigkeit.
Die Frage nach dem historischen Jesus wird immer auch ein Stachel im Fleisch einer Religion sein, die theologisch systemstützend ist.