Monatsarchiv: April 2021

Unbequeme Wahrheiten, die keiner hören mag

Apostelgeschichte 17,22-34    25.4.21  Predigt Trautskirchen

„Solange ich den Menschen nach dem Mund reden, werden sie mir zustimmen, nicken, auf Facebook „Gefällt mir“ klicken und mich bestätigen, was für feiner Mann ich doch sei. Aber wehe, wenn ich ihnen widerspreche. Wehe, wenn ich eine unbequeme Wahrheit sage.“

Diese Erfahrung macht Paulus auf dem Marktplatz in Athen.

 Dabei geht er zunächst klug vor. Er geht durch die Straßen Athens, schaut sich die verschiedensten Statuen und Tempel der verschiedensten Götter an und findet sogar einen Altar, an den er anknüpfen kann. „Dem unbekannten Gott“ geweiht stand da auf diesem Altar. Alle möglichen Götter werden verehrt und sicherheitshalber auch ein unbekannter Gott, damit keiner der Götter beleidigt ist.

„Ihr Bürger von Athen! Nach allem, was ich sehe, seid ihr sehr fromme Leute. Ich bin durch die Stadt gegangen und habe mir eure heiligen Stätten angeschaut. Dabei habe ich auch einen Altar gefunden, auf dem stand: ›Für einen unbekannten Gott‹. Das, was ihr da verehrt, ohne es zu kennen, das verkünde ich euch. Es ist der Gott, der die Welt geschaffen hat und alles, was in ihr ist.“

Die Athener sind eifrige Gottesverehrer, immer auf der Suche nach neuen Göttern. Daher kommt Paulus ihnen gerade recht.  Der redete auf den Straßen dauernd von einem Jesus und seiner Anastasia.

„Was für einen neuartigen Gott hast du? Wen oder was verehrst du? Du sagst, du willst uns die gute Nachricht von Jesus und seiner Anastasia erzählen? Erzähl mal.“

Und Paulus fängt zu erzählen:

Nun er „ist der Herr über Himmel und Erde. Er wohnt nicht in Tempeln, die von Menschenhand errichtet wurden. Er ist auch nicht darauf angewiesen, von Menschen versorgt zu werden.  Er ist es doch, der uns allen das Leben, den Atem und alles andere schenkt.“

Hm, dieser Jesus und seine Anastasia macht sie neugierig. Ja, diese Götter machen sie schon neugierig. Ihre Götter leben in Tempel. Sie sind darauf angewiesen, von den Menschen verehrt und mit Trankopfer oder Speiseopfer versorgt zu werden. Die Menschen sind dazu da, diese Götter zu verehren und ihnen zu dienen. Und sie tun es, allein schon, um sie zu besänftigen und milde zu stimmen. Es könnte ja sein, dass sie ein oder zwei von den vielen Götter vergessen haben und diese deshalb sauer sind. Also hören sie genau zu, was Paulus ihnen über diesen ihnen unbekannten Gott erzählen möchte.

„Er hat aus einem einzigen Menschen die ganze Menschheit hervorgehen lassen, damit sie die Erde bewohnt. Für jedes Volk hat er festgesetzt, wie lange es bestehen und in welchen Grenzen es leben soll. Er wollte, dass die Menschen nach ihm suchen – ob sie ihn vielleicht spüren oder entdecken können. Denn keinem von uns ist er fern. Durch ihn leben wir doch, bewegen wir uns und haben wir unser Dasein. Oder wie es einige eurer Dichter gesagt haben: ›Wir sind sogar von seiner Art.“

Ich sehe wie die Menschen nicken. Das gefällt ihnen: Keinem von uns ist dieser Gott fern. Durch ihn leben, bewegen und sind wir. Klingt gut, klingt sogar philosophisch  und dann zitiert ja Paulus auch noch einen ihrer damals bekannten Dichter: „Wir sind sogar von seiner Art.“

Gefällt mir. Wir sind göttlichen Geschlechts. Wir Menschen sind göttlicher Herkunft.

Paulus hatte sich vorher mit Philosophen unterhalten, mit Stoikern und Epikureern. Gestritten haben sie sogar miteinander. Stoiker und Epikureer  haben über sein Reden verächtlich gesagt: „Was für ein Schwätzer“.

Jetzt hören sie zu. Die Stoiker werden ihm darin zugestimmt haben:

„Keinem von uns ist dieser Gott fern. Durch ihn leben, bewegen und sind wir. „Das ist sogar hochphilosophisch  und dann zitiert ja Paulus auch noch einen ihrer damals bekannten Dichter Aratos, einem Stoiker:

„Zeus sei unser Beginn, und niemals bleib‘ er uns Männern

Ungelobt. Voll wahrlich des Zeus sind alle des Wandels

Weg, und alle Versammlung der Welt, voll jegliche Meerflut,

Jeglicher Port. Ringsum ja des Zeus bedürfen wir alle

seines Geschlechts auch sind wir.“

(Aratos)

Vor allem die Stoiker werden begeistert sein: Er zitiert unseren Starphilosophen Aratos.  Ja, das sagen wir doch auch. Es gibt ein göttliches Prinzip, das den ganzen Kosmos durchwirkt.  Und ob man Zeus dazu sagt, oder einen anderen Gott, das ist eigentlich wurscht. Wir kennen die Stoiker von der „stoischen Ruhe“. Nur nicht aufregen, immer seine Gefühle unter Kontrolle halten, frei von Leidenschaften sein, selbstgenügsam und durch nichts sich erschüttern lassen, auch durch den Tod nicht. Das ist ihre stoische Lebensdevise.

Und die Epikurerer gehen davon aus, dass es tatsächlich Götter gibt. Sie führen eine selige, sorglose Existenz und kümmern sich nicht um die Menschenschicksale .  Für Epikureer ist der Tod unvermeidlich und bedeutungslos. Alles Streben nach Glück beschränkt sich für sie deshalb auf das endliche Leben. Überwinde deine Furcht, deinen Schmerz und deine Begierden und du wirst dich des Lebens freuen können.

Worin sich Stoiker und Epikureer einig sind: Diese Götterverehrung, diese Unmengen von Statuen und Tempel, braucht es eigentlich nicht. Das ist was für das einfache Volk, die sich damit trösten. Wir Philosophen wissen, dass Götter nur Symbole sind. Wir stehen über der Götterverehrung. Aber wenn das Volk will, lass es die Götter verehren. Und deshalb werden sie diesen Worten des Paulus zugestimmt haben:

„Weil wir Menschen also von Gottes Art sind, dürfen wir uns nicht täuschen: Die Gottheit gleicht keineswegs irgendwelchen Bildern aus Gold, Silber oder Stein. Die sind nur das Ergebnis menschlichen Könnens und menschlicher Vorstellungskraft.“

Erzähl uns mehr von Deinem Philosophengott und seiner Anastasia!

„Nun – Gott sieht nachsichtig über die Zeiten hinweg, in denen die Menschen ihn nicht gekannt haben. Aber jetzt fordert er alle Menschen an allen Orten auf, ihr Leben zu ändern. Denn Gott hat einen Tag festgesetzt, um über die ganze Welt zu richten. Dann wird er Gerechtigkeit walten lassen – durch den Mann, den er dazu bestimmt hat. Dass dieser Mann wirklich dafür bestimmt ist, hat Gott allen Menschen durch dessen Anastasia/ Auferstehung  von den Toten bewiesen.“

Jetzt wird den an dem unbekannten Gott von Paulus interessierten Athenern plötzlich eines klar:

Der meint einen bestimmten Menschen, Jesus  oder so ähnlich, der tot war und den „Gott“ wieder lebendig gemacht hat. Anastasia ist nicht seine göttliche Frau. Dieser Paulus redet doch tatsächlich von der Auferstehung von den Toten. Da ist einer tot gewesen, wird von diesem unbekannten Gott auferweckt und soll auch noch das letzte Wort über die ganze Welt haben!

Lachhaft! Lächerlich! Spinnert!

Philosophen wie die Epikureer und die Stoiker beschäftigen sich mit Fragen der Lebensbewältigung. Wie können wir Menschen stoisch Leid und Tod geduldig ertragen? Oder die Epikureer: Wie können wir das Leben genießen und Lebensglück finden, ohne im Übermaß an Genuss und Leid zu ersticken? Philosoph ist jemand, der ein Freund der Weisheit ist. Weise und klug und achtsam das Leben bewältigen.

Aber keiner der Philosophen beschäftigt sich mit dem, was nach dem Tode kommt. Keiner.  Die Philosophen wissen keine Antwort darauf, was danach kommt. Und jede Vorstellung einer Anastasia, einer Auferstehung ist für sie lachhaft, spinnert.

Ich sagte eingangs: Solange Paulus den Menschen nach dem Mund reden, werden sie ihm zustimmen, nicken, auf Facebook „Gefällt mir“ klicken und ihn bestätigen, was für feiner Mann er doch sei. Aber wehe, wenn er eine unbequeme Wahrheit sagt.

Die unbequeme Wahrheit ist: Nach dem Tod geht es weiter. Du täuscht dich gewaltig, wenn du glaubst, nach dem Tod ist alles aus und es ist egal wie du dein Leben gelebt hast.

Die Auferstehung Jesu ist dabei durchaus etwas Rebellisches: Den, den die Welt ins Unrecht gesetzt hat, setzt Gott ins Recht. Du bist mit ihm rechnen nach deinem Tod. Alle Welt muss mit ihm rechnen.

Die unbequeme Wahrheit ist: Nach dem Tod hat einer das letzte Wort über mein Leben. Jesus. An ihm misst Gott dein und mein Leben.

Es ist der Jesus, der sich für die Schwachen und Armen einsetzt, der ein Herz für das einfache Volk hat und sich nicht über sie arrogant überhebt, weil sie nicht anders können, als irgendwelche Statuen und Tempel zu verehren und an Amulette und an sonstigen Aberglauben  glauben.

Die unbequeme Wahrheit ist:  Da ist tatsächlich ein Gott, der sich uns Menschen interessiert. Ganz anders als diese griechischen Götter, denen das Schicksal der Menschen wurscht ist in ihrer griechischen Götterseligkeit.  Unbequem ist diese Wahrheit deswegen, weil unser Leben von ihm hinterfragt wird.

Die unbequeme Wahrheit ist:  Da ist ein Gott, der sich tatsächlich für alle Menschen interessiert, keinem von uns Menschen ist dieser Gott fern. Wir sind göttlicher Herkunft. Aber das heißt,  dieser Gott ist nicht nur dem philosophisch gebildeten Menschen nahe. Auch der arme, ungebildete Mensch . Und göttlicher Herkunft sind alle Menschen. Heute sagen wir: Jeder Mensch hat eine Würde, jeder, der Flüchtling genauso wie  der Normalbürger und der Neonazi genauso wie der Querdenker. Und jeder davon wird von Gott gefragt, wie achtest du die Würde des anderen? Wie lebst du die Nächstenliebe?

Und Gott wird uns fragen: Wie gehst du mit der Würde deines Mitmenschen um? Du bist auch nichts Besseres oder Schlechteres als dein Mitmensch nebenan.

Als sie hörten, dass Paulus von der Auferstehung sprach, begannen die einen zu spotten, die anderen „Wir wollen dich ein andermal weiterhören.“ So kann es laufen, wenn man unbequeme Wahrheiten nicht hören mag.

Eine ähnliche Rede wie Paulus hielt neulich ein Polizist ,Thomas Lebkücher ,vor Corona-Demonstranten in Worms.  Und ähnlich wie Paulus scheut er nicht, unbequeme Wahrheit zu sagen:

Am vergangenen Wochenende diskutierte er mit Mundschutz mit Corona-Demonstranten ohne Mundschutz. Um diese auf die Einhaltung der geltenden Hygienevorschriften aufmerksam zu machen, zitierte er aus der Bibel und verweist auf Jesus. „Sie haben ein Recht zu demonstrieren, andere haben ein Recht auf Leben“, erklärte er.  Außerdem bat er die anscheinend christlich motivierte Gruppe, an das christliche Gebot der Nächstenliebe zu denken.

Ein Mann trug mit Absicht keinen Mundschutz und frage ihn provozierend:

Würde Jesus heute auch einen Mund-Nasen-Schutz tragen und eine Corona-Impfung empfehlen“. Da antwortete der Polizist: „Der würde sagen: Betet so, dass ihr keinem anderen schadet.“ Jesus habe im Garten Gethsemane bei seiner eigenen Verhaftung einem Soldaten das Ohr wieder geheilt, das sein Jünger Petrus diesem abgeschlagen hatte.

„Weil er davon geprägt war, den Nächsten mehr zu lieben als sich selbst. Das ist das fundamentale Gebot, und wenn wir uns alle daranhalten, haben wir kein Problem“, sagte der Beamte.

Ich wünsche uns auch diesen Mut, unbequeme Wahrheiten zu sagen. Amen

Gebet am Sonntag nach Ostern

Lebendiger Gott,

wir bitten dich in dieser Osterzeit,

dem zweiten Ostern,

das so sehr durch die Pandemie gezeichnet ist,

für alle, die bei uns nicht mehr ein und aus wissen

Sie ärgern sich nur noch über die vielen Schwierigkeiten

auf dem Weg der Pandemiebekämpfung,

Sie sind wütend oder boykottieren bewusst alle Regeln.

Schenke diesen Menschen und auch uns einen Grund zur Hoffnung und zur Freunde.

Lass uns deinen Ruf ins Leben jetzt selbst hören

und dann als Osterlachen in die gelähmte Welt tragen,

damit auch die Verzagten und Verbitterten,

aber auch die Kranken und Sterbenden Hoffnung schöpfen

auf ein neues, ein besseres Leben.

Lebendiger Gott,

diese Krankheit  bringt mit sich  soviele dramatischen Folgen,

in so vielen Ländern weltweit,

weit mehr als bei uns.

Durch diese Krankheit wissen Millionen Menschen nicht mehr,

wovon sie leben können.

Sie haben alles verloren ,

durch Behandlungskosten,

die sie nicht bezahlen konnten.

Ihnen fehlen die wenigen aber überlebenswichtigen Einnahmen

und kein Sozialsystem fängt sie auf.

Erbarme dich dieser Menschen in ihrer Verzweiflung

und gib ihnen ihr tägliches Brot  wie auch wir es bekommen zu unserer Zeit.

 Lebendiger Gott,

Wir bitten dich schließlich um Gerechtigkeit

bei der Verteilung des hohen Gutes der Impfungen,

wo wieder so viele arme Länder das Nachsehen haben,

obwohl es immer mehr Material gibt;

rühre das Gewissen aller,

die darüber zu entscheiden haben,

damit sie nicht stur und ungerührt den eigenen Vorteil suchen,

sondern erkennen,

dass wir nur gemeinsam dieser Bedrohung begegnen können,

wie so vielen anderen Bedrohungen auch.

Gott des Lebens,

lass deinen österlichen Geist der Hoffnung bei uns einziehen wie den neuen Tag,

den du selbst uns schaffst, jeden Morgen neu, auf deiner ganzen Erde.

Amen

Wie wir angesichts leerer Netze nicht den Mut verlieren

11.4.21  Joh 21,1-14   Drei österliche Mutmachergeschichten in einem

Joh 21 1Später zeigte sich Jesus seinen Jüngern noch einmal. Das war am See von Tiberias und geschah so: 2Es waren dort beieinander: Simon Petrus, Thomas, der Didymus genannt wird, Natanael aus Kana in Galiläa, die Söhne des Zebedäus und zwei weitere Jünger. 3 Simon Petrus sagte zu den anderen: »Ich gehe fischen! «Sie antworteten: »Wir kommen mit. «Sie gingen zum See und stiegen ins Boot. Aber in jener Nacht fingen sie nichts.

4Als es schon Morgen wurde, stand Jesus am Ufer. Die Jünger wussten aber nicht, dass es Jesus war. 5Jesus fragte sie: »Meine Kinder, habt ihr nicht etwas Fisch zu essen? «Sie antworteten: »Nein!«6 Da sagte er zu ihnen: »Werft das Netz an der rechten Bootsseite aus. Dann werdet ihr etwas fangen!« Sie warfen das Netz aus. Aber dann konnten sie es nicht wieder einholen, so voll war es mit Fischen.7 Der Jünger, den Jesus besonders liebte, sagte zu Petrus: »Es ist der Herr!« Als Simon Petrus hörte, dass es der Herr war ,zog er sich seinen Mantel über und band ihn hoch. Er war nämlich nackt. Dann warf er sich ins Wasser.8Die anderen Jünger folgten im Boot und zogen das Netz mit den Fischen hinter sich her. Sie waren nicht mehr weit vom Ufer entfernt, nur etwa 100 Meter.9Als sie an Land kamen, sahen sie dort ein Kohlenfeuer brennen. Darauf brieten Fische, und Brot lag dabei.10Jesus sagte zu ihnen: »Bringt ein paar von den Fischen, die ihr gerade gefangen habt.«11Da stieg Simon Petrus ans Ufer und zog das Netz an Land. Es war voll mit großen Fischen – genau 153 Stück. Und das Netz zerriss nicht, obwohl es so viele waren.12Da sagte Jesus zu ihnen: »Kommt und esst!« Keiner der Jünger wagte es, ihn zu fragen: »Wer bist du?« Sie wussten doch, dass es der Herr war.13Jesus trat zu ihnen, nahm das Brot und gab ihnen davon. Genauso machte er es mit dem Fisch.14 Das war schon das dritte Mal, dass Jesus sich den Jüngern zeigte, nachdem er von den Toten auferstanden war.

Liebe Gemeinde!

Diese Ostergeschichte mag ich. Auch wenn sie irgendwie ganz durcheinander ist und nicht gerade logisch.

  • Da fahren die Jünger hinaus zum Fischen und Jesus ist am Ufer, aber spricht mit ihnen, als stünden sie direkt neben ihm.
  • Da erkennt Petrus Jesus und schwimmt zu ihm, nachdem er sich – zum Schwimmen! – erst etwas angezogen hat, weil er auf dem Boot nackt ist.
  • Und dann kommen alle am Ufer an, bringen den Fisch, nach dem Jesus gefragt hat, aber das Feuer brennt schon – und Fisch und Brot sind schon fertig.
  •  

Lauter Wendungen, die nicht zusammenpassen. Vermutlich sind da drei Geschichten zusammengeflossen, drei Geschichten, die man sich nachösterlich erzählt hat, wie der auferstandene Jesus seinen Jüngern begegnet ist:

Einmal eine Erzählung wie der Auferstandene seine Jünger zum Fischen schickt, und am Ende sind die Netze voll.

Dann eine Erzählung, wie Petrus Jesus am See sieht und zu ihm schwimmt.

Und dann eine Erzählung, wie Jesus am Ufer seinen Jüngern begegnet und sie mit Brot und Fisch speist.

Alle drei Geschichten waren vermutlich damals im Umlauf und wurden weitererzählt.

Alle drei spielten am selben Ort, am See Tiberias – ein anderer Name für den See Genezareth.

Und darum wurde daraus im Laufe der Zeit eine Erzählung.

Dass es dabei Ungereimtheiten gab, nahm man in Kauf.

Geschichten vermengen sich miteinander in der Erinnerung. Ich kenne das mit meiner eigenen Erinnerung. Ich erinnere mich neulich an den Lehrer, der immer wieder im Unterricht ganz plötzlich eingeschlafen war. Unter dem Gitarrenspiel. Dabei hatte ich nie diesen Lehrer. Es war mein Sohn, der diese Geschichte so lebendig mir erzählt hatte, dass ich meinte, ich hätte es selbst erlebt.

Man kann manche Geschichten gar nicht richtig trennen. Das war damals genau so wie ich es erlebt habe.  Geschichten werden unterschiedlich erzählt. Je nachdem, wo man den Schwerpunkt legt. Manchmal fließt es ineinander und manchmal eben nicht. Und so ist es oft.

Leben ist nie nur die eine Geschichte. Leben, das sind unzählige Geschichten, die sich berühren oder auch nicht. Darum mag ich diese Bibelerzählung.

Weil sie ein bisschen wie das Leben ist. Nicht ganz logisch, nicht ganz klar.

Glatte, leichte Geschichten gibt es schon genug, aber manchmal muss man sich den Unklarheiten aussetzen und zu sortieren beginnen,

Manchmal kann man drei Geschichten betrachten und die eine Geschichte daraus erzählen. Es sind drei österliche Geschichten, die uns Mut machen können für hier und heute.

Hören wir heute die Ostergeschichte aus der Sicht des Petrus, genauer gesagt drei Geschichten ineinander verwoben.

  1. Drösseln wir die erste Mutmacher-Ostergeschichte aus der Sicht des Petrus auf:                                 

„Ich bin wieder fischen gegangen. Ich geh fischen!“ sage ich. „Wir kommen mit“, sagen die anderen. Was bleibt uns auch übrig, nach all dem, was in der Karwoche passiert ist. Irgendwie müssen wir ja unsere Brötchen verdienen, oder Fische fangen. Aber wie so oft, die Netze sind leer; in dieser Nacht haben wir nichts gefangen.

Und so kommen wir müde und erschöpft zurück. Da steht einer früh am morgen am Ufer. Wir kennen ihn nicht.  Er fragt, ob wir Fische zu essen haben? Wir antworten: Nein.  Und geschieht etwas Seltsames, eine Art Déjà-vu: Nachdem er uns genau die Stelle gezeigt hat, wo wir fischen sollen, sind die Netze übervoll.

Vielleicht denkt ihr jetzt: Moment, das kommt mir doch bekannt vor! Da gibt es doch diese Geschichte, wie Jesus mich, den Petrus und die anderen als Jünger berufen hat. Ich denke nach, tatsächlich ein Déjà-vu: Genauso hat Jesus mich zum Jünger berufen, mich und die anderen: eine lange Nacht haben wir damals mit leeren Netzen gefischt, dann am frühen Morgen steht er da, fragt, zeigt: „Dort müsst ihr fischen!“ Und dann zu mir und den anderen: „Folge mir nach! Ich will dich, Simon Petrus zum Menschenfischer machen!“

Mir geht es durch und durch. Ist er es oder ist er es nicht? Bilde ich mir das jetzt ein? Spinne ich jetzt oder ruft er mich ein zweites Mal in die Nachfolge? Jetzt nach alldem, was geschehen ist? „Du aber, folge mir nach!,“ sagt er zu ihnen, zu uns.

  1. Drösseln wir die zweite Ostergeschichte aus der Sicht des Petrus auf:   

Ich, Petrus sitze nackt im Boot. Wenn man unter sich ist, lässt es sich als Fischer leichter so arbeiten. Da kann man leichter hantieren und verheddert sich nicht im Gewand.

Ich sehe diese Menschengestalt am Ufer, werfe mir sicherheitshalber ein Gewand über und schwimme hin.

Ich  kann – denke ich mir – Jesus, wenn er es wirklich ist, doch nicht nackert gegenübertreten. Aber unter dem Schwimmen merke ich, mit dem Gewand mache ich mir das Schwimmen schwerer. Das Gewand saugt sich voll Wasser und es zieht mich nach unten.

Und wieder geschieht etwas Seltsames, eine Art Déjà-vu: Während ich darum kämpfe, nicht nach unten gezogen zu werden, erinnere ich mich an eine andere Geschichte mit Jesus: Wie ein Sturm aufgekommen ist und wir allein im Boot saßen und das Boot fast gekentert ist. Wie Jesus vorne auf dem Wasser geht. Wie wir ihn für einen bösen Geist halten und wir schreien vor Furcht. Wie Jesus mich ruft und wie ich, ich kann´s kaum glauben, dass ich mich getraut habe, komme. Ich gehe über Bord, das Wasser hält stand, solange ich auf ihn schaue. Aber sobald ich nicht auf ihn schaue, drohe ich im Wasser zu versinken.

Ist er des wirklich, der da am Ufer eines neuen Morgens steht?  Und alles in mir schreit:

„Herr, ich will zu dir, egal ob jetzt ein Wunder geschieht und ich auf dem See laufe oder nicht, egal ob ich es mir selbst schwer mache oder nicht. Ich brauche kein Wunder. Ich brauche dich, Jesus!“

Das ist die zweite Mutmacher- Ostergeschichte aus der Sicht des Petrus

  1. Und dann die dritte Mutmacher-Ostergeschichte mit mir als Petrus:

Ich spüre wieder Boden unter meinen Füßen und kann stehen. Ich stehe noch im Wasser. Da kommen die anderen Jünger mit dem Boot und dem vollen Netz im Schlepptau ans Ufer. Ich helfe und ziehe das volle Netz an Land.

Und dort brennt schon ein Feuer. Fisch und Brot. Mehr als genug. Und Jesus.

„Kommt und esst!“ sagt er zu uns. Wir sehen uns an und erinnern uns an die vielfachen Geschichten, die wir mit ihm erlebt haben. Hat er nicht mit Brot und Fisch vier- oder fünftausend Menschen satt macht? Fisch und Brot. Mehr als genug . Und Jesus. Und wir Jünger.

Alles ist sofort wieder da.

Und mit Fisch und Brot in den Händen verstehen wir: So wie damals, als wir satt geworden sind, so geht es auch jetzt weiter. Auch, wenn wir uns nicht zu fragen trauen:

Es ist klar, wer dieser Gastgeber ist. Jesus. Er ist auferstanden. Seine Geschichte geht weiter!

Mein Blick fällt auf das Kohlenfeuer. Dieses Kohlenfeuer sehe ich Petrus mit noch etwas anderen Augen als die anderen Jünger. Die machen sich inzwischen an Brot und Fisch gütlich und schlagen sich die Bäuche voll. Mir bleibt der Bissen im Mund stecken.

Das letzte Kohlenfeuer  war, als ich im Hof der Hohenpriester saß und mir schweigend anhörte, wie sie drinnen Jesus verklagt haben. Ich sitze schweigend am Kohlenfeuer. Bis mich eine einfache Magd fragt: „Gehörst du nicht auch zu dem da?“ Mehrfach leugne ich. „Nein, Nein.“ „Doch, doch. Dein Dialekt verrät dich.“ „Und ich schwöre bei allem, was mir heilig ist, dass ich diesen Mann nicht kenne.“

Das war die letzte Begegnung mit Jesus. Das war am Kohlenfeuer vor wenigen Wochen. Nun sitze ich wieder am Kohlenfeuer. Und habe glühende Kohlen unter dem Hintern. Ist das wirklich der, den ich verleugnet habe? Den ich nicht kennen wollte? Erkennt er mich?

Jesus tritt zu uns, nimmt das Brot und gibt uns davon. Genauso macht er es mit dem Fisch

Mir gehen die Augen auf. Er ist es. Genau wie damals. Und indem er mir wortlos Brot und Fisch gibt, gibt er mir wortlos zu verstehen: Ich vergebe dir!

Ich kann es nicht fassen.

Gleich im Anschluss nach dem wir miteinander gegessen haben, wendet er sich mir sogar direkt zu: 

»Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich mehr als irgendein anderer hier?« Ich antworte ihm; „Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebhabe. «Da sagt er zu ihm: »Führe meine Lämmer zur Weide!«16Dann fragt er mich ein zweites Mal: »Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich?« Ich antworte vorsichtig: »Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebhabe!« Da sagt Jesus zu mir: »Hüte meine Schafe!«17Zum dritten Mal fragt er mich: »Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb?

Da werde ich tieftraurig, weil er mich zum dritten Mal gefragt hatte: »Hast du mich lieb?« Ich sage leise zu ihm: »Herr, du weißt alles! Du weißt, dass ich dich lieb habe! «Da sagt Jesus zu mir: »Führe meine Schafe zur Weide!“

Ich kann es nicht fassen. Er beauftragt mich wieder, Menschen zur Weide zu führen, Menschen zu fischen.

Mutmacher-Ostergeschichten habe ich diese drei Geschichten in einer Geschichte genannt. Sie machen uns Mut zum Leben.

Wir sind nicht Petrus. Wir sind, die wir sind. Unsere Netze schauen anders aus als die des Petrus. Unsere Netze, was uns wichtig ist, was wir in unser Lebensboot einholen wollen, schauen anders aus. Aber wie er kennen wir die Mühsal und Last leerer Netze, die Mühsal von vergeblicher Arbeit und vergeblicher Liebesmüh.

Und wie Petrus kennen wir die Momente im Leben, in denen wir den Boden unter den Füßen verlieren und verzweifelt nach Halt ringen.

Und wie Petrus haben wir Alltagssorgen, nicht genug zu bekommen, mit Corona haben viele sogar Existenzsorgen, ob die Fische, die wir haben, wirklich reichen. Und manchmal versagen wir wie Petrus

Wie Petrus sagt uns der auferstandene Herr:

Folge mir nach, auch wenn du zur Zeit vielleicht nur Mißerfolge siehst und leere Netze. Folge mir nach.

Wie Petrus sagt uns der auferstandene Herr:

In mir wirst du Halt , wenn du in deinem Meer zu versinken drohst. Keine Ängste, keine Sorgen müssen dich hinunterziehen. Ich stehe doch am anderen Ufer und warte auf dich.

Und wie Petrus sagt uns der auferstandene Herr:

Und solange du hier auf Erden lebst, ist genug da. Brot und Fisch für alle und du sollst auch genug haben. Es ist genug da. Und habe keine Angst, Fehler zu machen oder zu versagen.

Und vertraue darauf, ich bin bei euch alle Tage auch in diesem verrückten Corona Jahr 2021 .

Wenn uns das keinen Mut gibt, weiß ich auch nicht. Amen.

Eine jüdische Ostergeschichte – Onlinepredigt Ostern 2021

Ostersonntag 2021, 2. Mose 14,7-14.19-23.28-30a; 15,20f

Eine jüdische Ostergeschichte 2021

Die christliche Ostergeschichte ist nicht nur in diesem Jahr eine jüdische Geschichte. Jesus war Jude. Er hat als Jude gelebt, ist als Jude im jüdischen Glauben gestorben. Und auch die Ostergeschichte, seine Ostergeschichte, ist einejüdische Geschichte. Zufälligerweise feiern wir heuer das christliche Osterfest und das jüdische Passafest zusammen.

Unser Ostertag 2021 ist der letzte Tag des diesjährigen Passafestes. Wir feiern Ostern in Anlehnung an das letzte Passamahl Jesu. Am Anfang dieses Passafestes steht in jüdischen Familien bis heute eine Frage des jüngsten Kindes: „Warum unterscheidet sich diese Nacht von allen anderen Nächten?“, so fragt in der Seder-Nacht, am Vorabend der Pessachwoche, das jüngste Kind. Daraufhin antwortet der Vater mit der alten Erzählung der Errettung der Israeliten aus der Knechtschaft in Ägypten. Dieses Ereignis feiern die Menschen jüdischen Glaubens bis zum heutigen Tag.

Es ist die jüdische Geschichte schlechthin: die Geschichte vom Auszug der Israeliten aus der Sklaverei in Ägypten. Eine jüdische Befreiungs-geschichte.

Die Geschichte vom Auszug aus Ägypten und dem Durchzug durchs Schilfmeer ist einer der wichtigsten Texte für unsere jüdischen Mitmenschen. Diese jüdische Geschichte lebt von starken Bildern. Das Volk steckt fest in der Klemme. Von hinten kommen die ägyptischen Soldaten angeritten. Vorne das Meer unüberwindlich. Angst, Furcht, Panik.

Dann das Wasser teilt sich. Es überschwemmt die ägyptischen Soldaten

Und vor dem zögerlich vorwärtsschreitenden Volk tut sich ein Weg auf. Links, rechts die Wasserwände. Sie fallen nicht über die Menschen, erst über die nachrückenden Ägypter fallen sie her. Und das jüdische Volk kommt trockenen Fußes durch das Meer.

Ein eindrückliches Bild. Dieses Wasser, das die jüdischen Menschen vor den Gefahren beschützt, dieses Wasser, das die Ägypter überschwemmt und sie ersaufen. Dieses Wasser beflügelt und übersteigt gleichzeitig unsere Vorstellungskraft.

Und es ist auch ein passendes Bild für unsere Zeit, in die hinein wir dieses Osterfest 2021 feiern. Wir stecken fest im Lockdown einer Pandemie, hinter uns, ja sogar um uns herum, das tödliche Virus. Diese Pandemie ist auch so etwa wie eine Pandemieflut. Wir Menschen haben sie überlebt. Wir Überlebenden sind dieser furchtbaren entronnen sind. Aber sie ist noch lange nicht überwunden. Noch stecken wir fest im Lockdown dieser Pandemie. Eine Welle, die zweite, jetzt die dritte Welle. Und wir müssen gut auf uns aufpassen, dass diese Pandemieflut nicht bei uns alle Zuversicht und Hoffnung hinwegschwemmt.

Und was feiern wir Christen?

Zu meiner Überraschung ist diese jüdische Befreiungsgeschichte der Predigttext für uns Christen und Christinnen am Ostersonntag.

Ostern ist das christliche Fest der Auferstehung Jesu und gleichzeitig eine jüdische Befreiungsgeschichte:  Auferstehung ist Befreiung. Und Befreiung ist Auferstehung. Befreiung ist Auferstehung mitten im Leben. Davon will ich heute von der urjüdischen Befreiungsgeschichte aus christlicher Perspektive erzählen.


Sklaverei als Todesherrschaft

Die Israeliten waren Sklaven in Ägypten. Sklaverei, das heißt Tod. Sklaven gehören nicht sich selbst, sie gehören ihren Herren. Sklaven sind nicht frei, sie sind gefangen. Sklaven können sich nicht entfalten, können nicht leben, was in ihnen steckt; alles wird niedergedrückt und erstickt. Sklaven können nicht selbst bestimmen; sie werden gezwungen. Die Israeliten waren Sklaven in Ägypten. Sie waren mitten im Leben tot.

Wir kennen das auch von uns her, von unseren Glaubenserfahrungen, in irgendetwas gefangen zu sein. Wir können uns nicht selbst befreien von unseren Ängsten, Sorgen und Todesfurcht. Und unsere Zeit kennt auch so etwas wie Sklaverei. Wir sind durch Corona nicht frei in unseren Entscheidungen, können nicht hinfahren, wohin wir wollen, uns versammeln wie wir wollen, einander begegnen wie wir wollen. So verzichten wir auch heuer auf Präsenzgottesdienste an Karfreitag und den Ostertagen Alles wegen dieses tödlichen Corona-Virus!

Das Gefühl, gefangen zu sein kennen wir. Was Sklaverei bedeutet, können wir nur erahnen. Wir spüren die Sehnsucht, endlich wieder frei zu sein. Noch viel mehr spüren die Menschen damals die Sehnsucht, endlich frei zu sein. Zuerst war sie noch ganz klein, diese Sehnsucht. Ganz klein nur, kaum mehr als ein Funke, zart und verletzlich wie ein Vogel. Diese Sehnsucht nach der Freiheit. Dies Sehnsucht nach Freiheit lässt sie träumen. Und klagen: Wer führt uns aus diesem Elend der Sklaverei heraus?– Gott hört ihre Klagen. Er ruft Mose: Führe mein Volk in die Freiheit! Es folgt ein langes Hin und Her. Doch dann ist es so weit: Sie ergreifen die Flucht. Bei Nacht und Nebel verlassen sie ihre Sklavenhäuser und werfen die Sklavenketten ab.

Sie verlassen die Brutstätten des Schreckens. Den Geruch von Schweiß und Blut. Sie treten ins Freie. Sie atmen auf. Sie atmen ein: frische, kühle Luft. Sie rennen los. Doch dann …


14.8. „Denn der Herr hatte es so gefügt, dass der Pharao, der König von Ägypten, nicht begriff und die Israeliten verfolgte. Die aber zogen aus mit erhobener Hand. 9 Die Ägypter jagten ihnen nach – alle Pferde und Wagen des Pharao, seine Reiter und sein Heer.

Die Israeliten lagerten noch am Meer, bei Pi-Hahirot vor Baal-Zefon.       Dort holten die Ägypter sie ein.“



Der Tod lässt sie nicht los. Niemanden gibt er her. Der Tod ist es gewohnt, immer das letzte Wort zu haben. Er ist die Endstation. Auch für uns. Auch zu Coronazeiten. Wenn der Tod uns holen kommt, hilft kein Mittel. Es trifft jeden. Wer seinen Krallen jetzt entwischt, wird gejagt, erbarmungslos gejagt. Bislang hat der Tod noch jeden gekriegt. Auch jetzt holt er auf …

Angst als Helferin des Todes

10 Als der Pharao näher kam, blickten die Israeliten auf und sahen: Die Ägypter rückten hinter ihnen heran!

Da bekamen die Israeliten große Angst und schrien zum Herrn um Hilfe.

11Sie beklagten sich bei Mose: »Gab es denn keine Gräber in Ägypten? Hast du uns in die Wüste gebracht, damit wir hier sterben? Wie konntest du uns aus Ägypten führen! 12Haben wir nicht schon in Ägypten zu dir gesagt: Lass uns in Ruhe! Wir wollen lieber den Ägyptern dienen! Es ist besser, dass wir in Ägypten Sklaven sind, als in der Wüste zu sterben.«

Die Angst ist die rechte Hand des Todes. Mit ihrer Hilfe holt sich der Tod seine Beute zurück. Denn die Angst lähmt. Auch die Israeliten. Sie hören die Pferde und Wagen der Ägypter. Sie hören die Rufe der Verfolger. Sie sehen den Staub in der Ferne aufwirbeln. Und sie bekommen Angst, Todesangst. Sie kommen nicht weiter. Der Antrieb schwindet, die Ideen gehen aus, die Beine werden schwer. Sie schauen nicht mehr nach vorn in die Freiheit, sie starren zurück in den Rachen des Todes. Sie schreien. Sie verzweifeln. Von Sehnsucht keine Spur mehr. Sie sehnen sich zurück. Die Angst verklärt die Vergangenheit: Warum nur sind wir geflohen? War es denn wirklich so schlimm im Grab? Schmeckte der Tod nicht auch süß? Waren wir da nicht geborgen? Ging es uns nicht eigentlich ganz gut? – Wo die Angst lähmt, wo die Angst die Sehnsucht nach der Freiheit erstickt und das Sklavendasein verklärt, da hat der Tod leichtes Spiel. Der Vorsprung schmilzt. Gleich haben die Verfolger das Volk am Meer eingeholt. Und dann gibt es keinen Ausweg mehr …

Befreiung aus der Todesmacht als Geschenk

13 Darauf sagte Mose zum Volk: »Fürchtet euch nicht! Stellt euch auf und seht, wie der Herr euch heute retten wird! Denn so, wie ihr die Ägypter jetzt seht, werdet ihr sie nie wieder sehen.

14 Der Herr wird für euch kämpfen. Ihr aber sollt still sein.

21 Mose streckte die Hand aus über das Meer. Da trieb der Herr das Meer die ganze Nacht durch einen Ostwind zurück.

Er machte das Meer zum trockenen Land, und das Wasser teilte sich.

22 So konnten die Israeliten auf trockenem Boden mitten durch das Meer ziehen. Das Wasser stand rechts und links von ihnen wie eine Mauer.


Nicht zu fassen! Da, ein Weg! Auf einmal tut sich ein Weg auf, wo kein Weg vorher zu finden war. Wo vorhin noch wild die Wellen schlugen, bahnt sich jetzt ein Weg. Ein Weg einfach aus dem Nichts. Vorhin war er noch nicht da. Gott hat ihn gemacht. Dass sich in der Sackgasse ein Weg auftut, das kann nicht ich machen, das kann nur Gott. Dass die Sackgasse entgegen allem Augenschein nicht das Ende ist, dass aus der Sackgasse ein Weg herausführt – und zwar nicht ein Weg zurück, sondern nach vorn! –, das kann nur ein Gott machen, der stärker ist als der Tod. Der Gott Israels ist ein Gott, der stärker ist als der Tod. „Fürchtet euch nicht! Haltet still, Gott kämpft für euch.“ – Die Klagen verstummen. Das Volk fasst Vertrauen. Vertrauen gegen die Angst. Sie starren nicht länger zurück. Sie schauen wieder nach vorn. Und gehen los.

23 Die Ägypter aber verfolgten sie. Sie jagten hinter ihnen her mitten in das Meer – alle Pferde des Pharao, seine Streitwagen und Reiter.

24 Kurz vor Morgengrauen sah der Herr nach den Ägyptern. Er blickte aus der Feuer- und Wolkensäule auf sie und brachte das Heer der Ägypter in Verwirrung.

25 Er bremste die Räder ihrer Streitwagen. Sie kamen nur mit Mühe voran.

Da sprachen die Ägypter: »Lasst uns vor Israel fliehen! Denn der Herr kämpft für sie gegen Ägypten.«

26 Darauf sagte der Herr zu Mose: »Strecke die Hand aus über das Meer! Das Wasser soll über die Ägypter zurückfluten – über ihre Streitwagen und über ihre Reiter.«

27 Mose streckte die Hand aus über das Meer. Da flutete das Wasser gegen Morgen wieder zurück. Die Ägypter aber flohen dem Wasser entgegen. So stürzte der Herr die Ägypter mitten ins Meer.

28 Das Wasser flutete zurück und bedeckte Wagen und Reiter. Das ganze Heer, das dem Pharao folgte, ging unter. Kein Einziger von ihnen blieb am Leben.

29 Aber die Israeliten waren auf trockenem Boden mitten durch das Meer gekommen. Denn das Wasser stand rechts und links von ihnen wie eine Mauer.

30 So rettete damals der Herr die Israeliten vor den Ägyptern. Israel sah die Ägypter tot am Ufer liegen.“



Das jüdische Volk zieht durch die Fluten in die Freiheit. Über den Verfolgern aber schlagen die Wellen zusammen. Der Tod ertrinkt. Der Tod wird in den Sieg verschlungen. Nie wieder wird er nach ihnen ausgreifen. Nie wieder wird er über sie herrschen. Nie wieder wird er sie demütigen, erniedrigen, versklaven. Er ist ein für alle Mal besiegt. Sie erreichen das andere Ufer. Vergnügt, erlöst, befreit. Das lässt sie singen. Sie singen, spielen und tanzen. Sie stimmen das allererste Osterlied an.

„15,20 Die Prophetin Mirjam, die Schwester Aarons, nahm ihre Pauke in die Hand. Auch alle anderen Frauen griffen zu ihren Pauken und zogen tanzend hinter ihr her.

21 Mirjam sang ihnen vor:

Singt für den Herrn: Hoch und erhaben ist er.

Rosse und Wagen warf er ins Meer.“

Vom Wert der Freiheit in unfreien Zeiten

Auferstehung ist Befreiung. Befreiung mitten im Leben. Nicht erst am jüngsten Tag, nein, schon jetzt. Auferstehung geschieht überall da, wo sich ein Weg durch das Nichts bahnt, wo der Stein weggerollt wird, wo wir allem entkommen, was uns klein und würdelos macht. Auferstehung geschieht überall da, wo die Angst verstummt, weil Gott uns einen Weg weist. Auferstehung geschieht überall da, wo das, was uns kaputt macht, selbst kaputt geht. Auferstehung geschieht überall da, wo sich unser Mund öffnet und wir anfangen zu singen: „Lasst uns dem HERRN singen, denn er ist hoch erhaben; Ross und Reiter hat er ins Meer gestürzt.“

Auferstehung ist Befreiung. Dass wir Christen das wissen, das verdanken wir unseren jüdischen Glaubensgeschwistern. Sie haben ihre Freiheitsgeschichte mit ihrem jüdischen Mitmenschen Jesus und seinen Jüngern geteilt. Und Jesus teilt diese jüdische Freiheitsgeschichte  mit uns, seinen Nachfolgern und Christen zu allen Zeiten und Jahrhunderten. Egal ob evangelisch, katholisch, orthodox, oder was weiß ich, wir feiern als Christenheit miteinander und mit unseren jüdischen Glaubensgeschwistern ihre uralte Freiheitsgeschichte. Und mit dem, was Jesus damals widerfahren ist, damals nach seinem letzten Passahmahl, dieses österliche Ereignis hat sie uns zur Ostergeschichte werden lassen.

Das Grab ist leer, der Tod hat plötzlich nicht mehr das letzte Wort und das Leben feiert seinen Sieg immer wieder über das, was uns gefangen nehmen will.


In der Pandemie fehlt uns die Freiheit sehr. Ich hoffe zumindest, dass sie uns fehlt. Ich hoffe sehr, dass wir uns zuhause nicht zu sehr einrichten. Es ist gemütlich in den eigenen vier Wänden, ohne viele Kontakte, ohne Begegnungen mit anderen Menschen, die einem sonst zu nahe rücken. Aber dieses Leben in der Pandemie ist auch ein Gefängnis, ein Sklavenhaus, dem das echte Leben fehlt. Und die Lebensfreude auch. Ich nehme wahr, wie wenig sich die Menschen freuen können. Dabei gibt es doch auch die kleinen Dinge, die uns das Herz aufgehen lassen. Wie Mehltau legt sich diese Pandemiedepression auf unsere Gemüter. Wir Menschen sehen gedrückt und müde aus.

Aber dann entdecke ich doch den einen oder anderen Funken Sehnsucht nach einem Ende der Gefangenschaft und den einen oder anderen Funken  Sehnsucht nach Freiheit in uns. Klar, Freiheit ist immer riskant. Wer weiß, was auf uns zukommt, wenn wir durch diese Pandemie sind, oder durch das, was uns sonst bindet und gefangen nimmt? Aber – und das dürfen wir mit Ostern als Auferstehungsgeschichte glauben: Der Tod konnte Jesus nicht zurückhalten. Wir stecken mitten in der Ostergeschichte, die auch eine Befreiungsgeschichte vom Tod ist.  Wie es am Ende drüben am anderen Ufer dann aussieht, wissen wir nicht. Aber ich finde es einen tröstenden Gedanken, wir werden am Ende, wenn wir durch sind, von Jesus und all den anderen empfangen und einen österlichen Tanz beginnen, vor Freude hüpfen und springen, weil wir durch sind und das Land der Freiheit gefunden haben. 
Amen.

Innere Heilung unserer Krankheit, Onlinepredigt Karfreitag 2021

Predigt über Jesaja 53,1-12 Innere Heilung unserer Krankheit  Karfreitag 2021


Wer glaubt dem, was uns verkündet wurde, und wem ist der Arm des Herrn offenbart? Er schoss auf vor ihm wie ein Reis und wie eine Wurzel aus dürrem Erdreich. Er hatte keine Gestalt und Hoheit. Wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte. Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg; darum haben wir ihn für nichts geachtet.
Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.
Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg. Aber der Herr warf unser aller Sünde auf ihn. Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht auf. Er ist aus Angst und Gericht hinweg genommen. Wer aber kann sein Geschick ermessen? Denn er ist aus dem Lande der Lebendigen weggerissen, da er für die Missetat meines Volks geplagt war. Und man gab ihm sein Grab bei Gottlosen und bei Übeltätern, als er gestorben war, wiewohl er niemand Unrecht getan hat und kein Betrug in seinem Munde gewesen ist. So wollte ihn der Herr zerschlagen mit Krankheit. Wenn er sein Leben zum Schuldopfer gegeben hat, wird er Nachkommen haben und in die Länge leben, und des Herrn Plan wird durch seine Hand gelingen. Weil seine Seele sich abgemüht hat, wird er das Licht schauen und die Fülle haben. Und durch seine Erkenntnis wird er, mein Knecht, der Gerechte, den Vielen Gerechtigkeit schaffen; denn er trägt ihre Sünden. Darum will ich ihm die Vielen zur Beute geben, und er soll die Starken zum Raube haben, dafür dass er sein Leben in den Tod gegeben hat und den Übeltätern gleichgerechnet ist und er die Sünde der Vielen getragen hat und für die Übeltäter gebeten.

Liebe Gemeinde,

1. Unbekannte Lasten
Was schleppen wir manchmal an Lasten mit uns herum. Damit meine ich nicht sichtbare Lasten. Oft genug schleppen wir Lasten mit uns herum, die keiner sieht, die vielleicht sogar uns selbst nicht bewusst sind. Aber wir

Möglicherweise fühlen wir uns schuldig, fühlen uns unsicher, sind neidisch auf andere und überhaupt mit dem Leben so wie wir es momentan durchleben, sind wir unzufrieden. Lauter emotionales Gepäck schleppen wir da mit! Viele Menschen sind überladen mit Sorgen, müde von der Arbeit und ausgepowert über fehlgeschlagene Planungen. Wie ist es da möglich mit dem Leben zufrieden zu sein? Wie kann man da glücklich sein oder wenigstens zufrieden sein mit seinem Leben, wenn man sich ständig nur abmüht und durchschleppt durchs Leben?

Wenn Menschen innere Lasten zu schleppen haben, haben sie oft auch körperliche, psychosomatische Beschwerden. Sie sind immer unruhig, haben ständig Schmerzen, können sich nicht mehr entspannen. Sie brauchen dringend Hilfe.

Es gibt Zeiten, da geht es mir ganz genauso. Ich schleppe mich mit etwas ab. Etwas plagt mich. Aber wenn ich mich nach meiner Last frage, kann ich sie nicht benennen. Ich weiß dann nur, etwas drückt mich, plagt mich. Ich bin mit einer Last beladen, die ich möglicherweise nicht benennen kann.


Liegt es daran, dass wir es gewohnt sind, beladen zu sein? Lieben wir so sehr die Krankheit und den Schmerz? Warum ist es nicht möglich unsere Last einfach abzulegen?


Zum einen wohl, weil wir sie vergessen haben. Wir haben die Last, die auf uns liegt, verdrängt. Die Last auf Dauer zu spüren, ist ja auch schmerzlich. Und vielleicht hat die Last, die wir tragen, auch mit Schuld zu tun. Zum anderen werden wir die Last nicht so einfach los, weil wir daran gebunden und verstrickt sind.

So gibt es eine bekannte Seite von uns und eine auch für uns selbst unbekannte Seite. Nach außen hin lassen wir uns möglichst nichts anmerken, dass es auch noch eine andere Seite an uns gibt, die wir als Last und Mühsal empfinden.

Wie ist das mit der Last? Möchte Gott, dass wir mit schwerer Last auf dem Rücken ständig herumlaufen? Ist sein Lebensziel mit uns Erschöpfung?
Es gibt wohl Christen, die das glauben. Sie denken, wenn du dich Gott anvertraust, dann wird er dir den Rest deines schönen Lebens wegnehmen. Du musst dein Ich aufgeben, Dich aufopfern und Gott packt dich mit Anforderungen so voll, dass du am Ende überfordert bist.

In Jesaja 53 wird ein solcher Mensch beschrieben: Alles Schöne und Liebenswerte wurde ihm genommen: Dieser Mensch ist am Ende, musste sich aufopfern:


In Jes. 53,10 steht: “Der Herr wollte ihn leiden lassen und zerschlagen.“ Und in Vers 4-5: “In Wahrheit hat er die Krankheit auf sich genommen, die für uns bestimmt war und die Schmerzen erlitten, die wir verdient hätten. Er wurde verwundet, und wir sind heil geworden.“

Das klingt in meinen Ohren furchtbar. Zunächst ist es ja ein Gottesknechtslied in der hebräischen Bibel von einem unbekannten Gottesknecht, dem eine furchtbare Last auferlegt worden ist. Wollte Gott diesen unbekannten Menschen wirklich leiden lassen und zerschlagen? Wie kann dieser unbekannte Mensch die Krankheit, die uns bestimmt war, auf sich nehmen. Wie kann er die Schmerzen, die wir verdient hätten, selber erlitten haben?

Wer ist dieser Mensch voller Krankheit und Schmerzen? Vielleicht eine einzelne Gestalt, der Prophet selber, vielleicht das Volk Israel, das im Exil Schlimmes durchmachen musste. Wir wissen es nicht.

Später ist dann diese Aussage über den unbekannten Gottesknecht von den frühen Christen auf Jesus übertragen worden: Sie schauen auf Jesus, den Gekreuzigten und sagen: Ja, genau das trifft auch auf Jesus zu: Was über den unbekannten Gottesknecht in Jesaja ausgesagt wird, wird auch über unseren Jesus ausgesagt:

“ Der Herr wollte ihn leiden lassen und zerschlagen.“

“In Wahrheit hat er die Krankheit auf sich genommen, die für uns bestimmt war und die Schmerzen erlitten, die wir verdient hätten. Er wurde verwundet, und wir sind heil geworden.“

Schnell sind wir dabei, von unseren Traditionen und Überlieferungen her bestärkt, mit einzustimmen:  Ja, genau: Als Jesus am Kreuz hing, wollte Gott ihn zerschlagen und leiden lassen. Und am Kreuz, fürwahr trug er unsere Krankheit, lud auf sich unsere Schmerzen.

Inzwischen frage ich mich aber: Wollte das Gott wirklich, dass Jesus am Kreuz zerschlagen wurde? Wollte Gott wirklich Jesus leiden lassen? Wollte Gott wirklich, dass er am Kreuz unsere Lasten trägt und nicht wir?

Ist Jesus für uns gestorben?

Ich will denen unter uns, denen dieser Satz lieb und vertraut ist, nicht wegnehmen., ist. Wenn dieser Satz, dass Jesus am Kreuz für uns gestorben, dir gibt Trost und eine echte Hilfe ist, frei zu werden, von dem, was dich gerade niederdrückt, bin ich der letzte, der dir das wegnehmen will.

Ich will aber denen unter uns, denen dieser Satz zunehmend fremd geworden ist, weiterführen in einen anderen Raum, in dem ganz neu darüber nachgedacht werden kann: Wie ist es, wenn ich so beladen bin, wie kann ich frei werden? Wie ist es, wenn ich mich krank fühle, wie kann ich wieder heil werden?

Im Jesajatext ist ja von einer Krankheit ist die Rede.  Er trug unsere Krankheit. Wie kann man die Krankheit eines anderen tragen? Geht nicht. Aber die Krankheit mit einem anderen Menschen teilen, das geht. Er trug die gleiche Krankheit wie wir.

Was macht uns krank? Was macht mich krank?

Mich macht krank, wenn ich selber mir manches  vorhalte, was für mich schwer wiegt. Oder auch das macht mich krank, wenn ich mir von anderen etwas vorhalten lassen muss, was ich als schwerwiegend  und niederdrückend empfinde.

Was Menschen, die über ihn urteilten, Jesus vorgehalten haben, das war ebenfalls  für ihn schwerwiegend, niederdrückend: „Du lästerst Gott, in der Art und Weise, wie du deinen Glauben lebst! Für dich ist kein Platz auf dieser Welt!“ Das macht krank.

Mich macht krank, wenn ich mir ständig etwas vorwerfe oder vorwerfen lasse, selbst wenn es nicht stimmt. Mich macht krank, wenn ich auf meine Schuld festgenagelt werde.

Jesus wurde buchstäblich am Kreuz festgenagelt. Und darüber wurde ein Anklageschild genagelt: König der Juden wollte er sein, dieser Jesus, ein Aufrührer und Rebell.  Festgenagelt auf etwas, was er gar nicht sein wollte. Das macht krank.

Mich macht krank, wenn wir es nicht aushalten, dass wir alle miteinander nur Menschen sind: wir sind unvollkommen, fehlerhaft, manchmal auch boshaft und in manchem können wir mehr als abgrundtief böse sein –  ich selber auch. Und das zu erfahren und zu erleiden, macht mich krank.

Jesus erleidet diese Abgründe menschlichen Daseins. Die Bosheit und das abgrundtiefe Bösesein seiner Mitmenschen tobt sich an ihm aus. Das macht krank.

Fürwahr, er trug unsere Krankheit.

Unsere Krankheit. Das Wort unser verweist auf die soziale Struktur einer Krankheit. Ich bin nicht für mich allein krank. Das soziale Umfeld, das Miteinander kann krank machen. Jesaja weiß davon, wenn er von unserer Krankheit spricht, wie sehr Schuld einen Menschen krank machen kann und wie tief hinein dabei die Schuld in die sozialen Strukturen unseres persönlichen Lebens hineinverwoben ist. Wir sprechen z.B. von der manchmal krankmachenden Arbeitswelt, oder von krankmachende Beziehungen.

„Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen.“

Von Schmerzen ist auch die Rede beim Gottesknechtlied: Er lud auf sich unsere Schmerzen.

Viele von uns wissen, was körperliche oder psychische Schmerzen sind, leiden vielleicht selber darunter oder haben Angehörige, bei denen sie hilflos zuschauen müssen. Wir erfahren den physischen und psychischen Schmerz in unterschiedlichster Weise: den Schmerz, wenn du Abschied nehmen musst von einem dir vertrauten Menschen; den Schmerz im Erleiden einer unheilbaren Krankheit; den Schmerz, wenn du das Gefühl hat, allein gelassen zu sein, den Schmerz der Einsamkeit im Alter; den Schmerz in den Verletzungen, die uns zugefügt werden. Oder der Schmerz im schreiendem Unrecht, dem wir uns hilflos ausgeliefert fühlen; der Schmerz in unzähligen Verlusterfahrungen. All das schmerzt.

Wir müssen nicht an einem Kreuz hängen, um dem Schmerz ausgesetzt zu sein. Wir müssen nicht selbst gekreuzigt sein, um uns mitten im Leben gekreuzigt zu fühlen, aufs Kreuz gelegt. Im Schrei Jesu am Kreuz drückt sich unser ganz Schmerz aus, ja der Schmerz einer ganzen geschundenen Menschheit und Schöpfung.

 Schmerz und Krankheit – daran haben wir alle in irgendeiner Weise zu tragen. Und wir alle sehnen uns nach Heilung, innerer und äußerer Heilung.

Kann der Tod Jesu Heil bringen in dem Sinn, dass er zur eigenen inneren Heilung beiträgt?

Wo Krankheit ist, kann eine innere Heilung geschehen:  Gott kann aus einem Leiden, das sonst sinnlos wäre, etwas Gutes entstehen lassen. Diese Erfahrung haben Menschen zu allen Zeiten gemacht und daran möchte auch ich festhalten: Gott kann aus dem Leiden von Menschen Gutes entstehen lassen:

Dietrich Bonhoeffer schrieb aus dem Gefängnis heraus:  

„Ich glaube,
dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten,
Gutes entstehen lassen kann und will.
Dafür braucht er Menschen,
die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.
Ich glaube,
dass Gott uns in jeder Notlage
so viel Widerstandskraft geben will,
wie wir brauchen.
Aber er gibt sie nicht im voraus,
damit wir uns nicht auf uns selbst,
sondern allein auf ihn verlassen.
In solchem Glauben müsste alle Angst
vor der Zukunft überwunden sein.“

Müsste. Bonhoeffer ist selbst unsicher, ob tatsächlich alle Angst vor der Zukunft überwunden ist, wenn wir nur glauben.

Noch einmal meine Frage:  Kann der Tod Jesu Heil bringen, dass er zu unserer inneren Heilung beiträgt?

Er müsste es jedenfalls. Er könnte es, wenn wir Gott nur genug Vertrauen entgegenbringen, dass Gott es gut mit uns meint.

Heil und innere Heilung hat Jesus schon zu Lebzeiten den Menschen gebracht, indem er den Menschen gezeigt hat: Gott ist gut zu dir. Da hat er es bewiesen: Gott ist gut zu dir, er kann dich heilen innerlich und äußerlich. Und dazu ist Jesus gekommen, sagt Jesus, den Menschen Heil und Heilung zu bringen. Zu den Mühseligen und Beladenen sieht sich Jesus gesandt. Wie einen Arzt sieht er sich, den zwar nicht die Gesunden brauchen, aber umso mehr die Kranken.

Aber nun ist er selber krank und elend am Kreuz hängend. Er ist nicht mehr Arzt und Heiler, der andern helfen kann. „Steig herunter und hilf dir selber!“ spotten sie über ihn. Ein Arzt, der sich und anderen nicht mehr helfen kann. Kann von einem solchen hilflosen Helfer Heil und Heilung kommen?

Allein mit dem Tod am Kreuz sicher nicht. Das Kreuz durchkreuzt Jesu heilende Sendung. Ganz abrupt wurde damit seine Mission, seine Sendung gestoppt, den Mühseligen und Beladenen Arzt und Helfer zu sein. Nun stirbt Jesus selbst den Tod von uns Mühseligen und Beladenen. Was Heil war, hat sich in Unheil verkehrt. Was in ihm heil war, ist zerbrochen. Auf ihn liegt sogar ein Fluch, sagt Paulus.

Die Strafe liegt auf ihn, damit wir Frieden hätten, heißt es im Gottesknechtlied Jesajas.

Wer straft da Jesus? Gott? Nein, ganz bestimmt nicht. Ich kann es mir nicht vorstellen, dass sich am Kreuz ein zorniger Gott austobt.  Wenn einer straft, dann sind es wir Menschen. Was wir einander antun, manchmal wissentlich, oft unabsichtlich, das ist unsere Strafe. Die Konsequenz, die Folgen unseres manchmal so abgrundtief boshaften Lebens, hatte Jesus zu tragen.

Es ist der Hass und die Wut von Menschen, die ihm damals den Tod eingebracht haben. Es ist die Grausamkeit, zu der wir Menschen fähig sind, die ihm Nägel ins Fleisch getrieben haben. Es ist das Unheil, das Menschen aus welchen Gründen auch immer dazu bringt, den Menschen nicht mehr Mitmensch sein  zu lassen, was Jesus das Unheil einbringt All das trägt er, erträgt er bis zum Schluss.

Und seitdem bist du mit deiner Last, deinem Unheil, deiner Krankheit nicht mehr allein Wir müssen unsere Lasten nicht alleine tragen. Schau auf ihn, er trägt die gleiche Last wie wir dort  am Kreuz.

Ein jüdisches Sprichwort besagt: „Wer einen Menschen rettet, rettet die ganze Welt!“  Umgekehrt kann ein Mensch die ganze Welt retten. Symbolisch trägt dieser eine Mensch die Last der ganzen Welt. Stellvertretend für alle trägt dieser eine Mensch diese Last.

Er wäre darunter zusammen gebrochen, genauer gesagt: er ist darunter zusammengebrochen. Kein Mensch kann diese Last der gesamten Welt tragen. Auch Jesus nicht. Darum ist er zusammengebrochen. Und war am Ende. Am Ende war nur sein Schrei, der Schrei stellvertretend für den Schrei der geschundenen Menschheit.

Und nur weil Gott ihn wieder auferweckt hat, ihn wieder ins Recht gesetzt hat, kann er als gekreuzigter und auferstandener Herr uns Heil bringen. Wir dürfen unter seinem Kreuz alles abladen, was uns belastet. Wir brauchen unsere Lasten nicht alleine tragen.

Merken Sie in Ihrem Leben davon, dass Sie Ihre Last nicht dauernd selber herumschleppen müssen? Leider merke ich selber manchmal wenig davon, was mich angeht. Oft genug verhalte ich mich so, dass ich glaube ein besserer Christ zu sein, je mehr ich an Belastung trage und spüre. Ich habe das bis in meinen Körper hineingetan, gemeint, alles selber schleppen zu müssen.

Im Bild gesprochen: Unser Leben gleicht manchmal einem Eisberg. Da ragt etwas sichtbar aus dem Wasser, die Spitze des Eisberges. Bei den einen ist diese Spitze des Eisberges so groß, dass sie nicht zu übersehen ist. Bei den anderen ist die Spitze des Eisberges winzig, leicht zu übersehen. Aber was viele übersehen:  Unter der Wasseroberfläche in  den Tiefen des Lebens verbirgt sich mehr: Manchmal sind es riesige Lasten, die wir unter den Tiefen des Lebens verborgen halten. Oft genug ist es uns gar nicht bewusst, was sich da unten  in  uns verbirgt.

Es braucht uns nicht zu wundern, wenn wir möglicherweise das Leben als Riesenlast empfinden, obwohl doch oberfläch-lich gesehen nur wenig Eis zu sehen ist. Möglicherweise ist es nur die Spitze vom Eisberg. Möglicherweise schleppen wir uns mit den richtig großen Lasten in den Tiefen unserer Seele ab.

Aber auch das müssen wir nicht. Wir können eines tun: Gott heranlassen an den Eisberg in unseren Tiefen. Das bedeutet Heilung: Alles in mir Zerbrochene Gott hinhalten. Egal ob ich es zerbrochen habe oder andere in mir: Gott hinhalten, damit er es heilen kann.

Oder im Bild des Eisberges: Heilung bedeutet, sich der heilenden Wärme und Liebe Gottes immer und immer wieder auszusetzen, bis das Eis schmilzt, bis sogar ein ganzer Eisberg schmilzt, auch das Eis in meinen Tiefen.

Es dürfte klar sein, dass Heilung nicht von heute auf morgen geschieht, dass Heilung Zeit braucht. Gott richtet das in mir Zerbrochene so gut wie möglich wieder her. Heilung bedeutet aber auch, dass die Macht der Zerbrochenheit von Gott gebrochen wird und du frei wirst von der Macht von Sünde, Krankheit und anderen Todesmächten, die dich beherrschen wollen. Bis wir wirklich frei und heil geworden sind, bis wir eine neue Schöpfung geworden sind, das kann dauern,

Was kann uns heilen? Es ist letztlich die bedingungslose Liebe Gottes, die alles, was in uns erstarrt und wie tot ist, wieder zu neuem Leben erwecken kann.

Ach, wenn du es doch bloß fassen könntest,
wie tiefgehend diese Liebe Gottes ist,
dann würdest du es tief in dir drinnen spüren,                      wie sehr du geliebt bist von Gott!

Du fragst dich, wie das zusammenpasst, Dein Schicksal, deine Schicksalsschläge, deine Krankheiten, das was du gerade durchmachst oder durchgemacht hast, wie das zusammen passt mit einem gütigen, liebenden Gott?
Schau auf den einen, der genauso fragend am Kreuz hängt.

Du zweifelst, dass da ein Gott ist, der dich lieben kann?
Du meinst du, du hast schon zu viel durchgemacht, dein Herz ist schon zu verschlossen für diesen Gott?
Vertraue darauf. Gott ist da in allem Leid, in aller Krankheit und allem Schmerz ist Er da und seine Liebe geht tief genug,  um dich in den Tiefen deines Herzens zu erreichen.
Glaub mir, Gottes Liebe ist unglaublich heilsam für deine Seele

Aus dieser heilsamen Liebe Gottes ist auch Jesus  am Kreuz nicht herausgefallen.  Und auch, wir, ganz egal welche Last uns belastet, ganz egal welche Krankheit, welches Leid, welche Schuld auf uns lastet, ganz egal, welcher Schmerz uns quält, auch wir fallen nicht aus dieser heilsamen Liebe Gottes. Und je länger wir dieser Liebe ausgesetzt sind, desto eher geschieht Heilung und Versöhnung.

Es gibt besondere Zeiten für Heilung. Gott handelt dann sehr intensiv. Heilung ist aber auch ein lebenslanger Prozess. Der vielleicht noch intensiver ist. Wir werden hineingenommen in den Heilungsprozess Gottes. Gott sieht uns jetzt schon heil und vollkommen. Und ob wir es glauben können oder nicht, wir sind schon längst auf der Reise der „Inneren Heilung“: Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen, damit wir heil werden. Amen.

Das Leben als Wettkampf Predigt am Palmsonntag, 28.3.21

Gottesdienst am 28. März 2021

Hebräer 11,1-2  12,1-3

1 Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht dessen, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht. 2 In diesem Glauben haben die Alten Gottes Zeugnis empfangen.

Weil wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, lasst uns ablegen alles, was uns beschwert, und die Sünde, die uns umstrickt.

Lasst uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist, 2 und aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens, der, obwohl er hätte Freude haben können, das Kreuz erduldete und die Schande gering achtete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes. 3 Gedenkt an den, der so viel Widerspruch gegen sich von den Sündern erduldet hat, dass ihr nicht matt werdet und den Mut nicht sinken lasst.  (Lutherbibel)


Liebe Gemeinde!

Wir befinden uns in einem Wettkampf. Viele Leute stehen daneben und feuern uns an. Diese haben den Wettkampf auch schon gekämpft und gewonnen. Wir sind mitten im Lauf. Und wir spüren: Es ist unser Kampf im Leben. Wir müssen ihn bestehen. Da müssen wir durch. Aufgeben geht nicht.

Das Leben als Wettkampf. Und wir müssen ihn bestehen, in der Gesellschaft, jetzt unter Coronabedingungen, in der Gemeinde, weil so vieles sich verändern wird und auch in unserem Glaubensleben.

Wenn wir als Christen unseren Glauben leben wollen, befinden wir uns in einem Wettkampf. Wer hält durch? Wer macht unterwegs schlapp? Was gibt uns in Zeiten der Herausforderung Kraft? Wo haben wir Kraftreserven? Was macht uns stark?

Wie ein Wettkampf fühlt sich das an. Und in jedem Wettkampf gibt es unterschiedliche Phasen: In manchen Zeiten laufe ich schnell und beschwingt.  Ich habe einen Lauf, sage ich mir dann und gebe Gas. In anderen Zeiten tue ich mich unheimlich schwer, durchzuhalten. Und dann gibt es ehrlicherweise auch Zeiten, wo ich am liebsten aufgeben möchte und es auch tue. Es hat doch keinen Sinn mehr!

Ein Wettkampf ist ein gutes Bild für unser eigenes Leben und für unseren Glauben und auch für Gemeinden.

Im Hebräerbrief  hat der Schreiber tatsächlich eine Gemeinde vor Augen. Die Gemeinde existiert am Ende des 1. Jahrhunderts . Sie besteht aus Menschen, die an Jesus Christus glauben und die die Bibel der Juden, das hebräische Alte Testament, kennen. Diese Gemeinde lebt wahrscheinlich nicht im Land der Hebräer, in Israel, wie man vielleicht aufgrund des Namens vermuten könnte. Heutige Forscher glauben: Sie leben eher in Europa, vielleicht in Italien. Aber das spielt keine große Rolle. Entscheidend ist, in welcher Verfassung sich diese Gemeinde befindet. Sie befindet sich in einer eher kläglichen Verfassung.

Diese Christen leben zwei Generationen nach Jesu Tod. Keiner lebt mehr, der Jesus selbst gekannt hat. Man erzählt die Geschichten von Jesus. Man kennt die Geschichten der hebräischen Bibel, die man von der jüdischen Gemeinde übernommen hat. Man trifft sich als Gemeinde. Woche für Woche, Monat für Monat, Jahr für Jahr. Jahrzehnte sind so vergangen. Kein schnelles Ende der Welt war eingetreten. Das hatten sich die ersten Christen so vorgestellt: Jesus wird bald wiederkommen. Aber Jesus ist immer noch nicht wiedergekommen. Aber an der Hoffnung hält man trotzdem fest. (Hebr 10,37)

Und so haben sie sich in dieser Gemeinde längst wieder eingerichtet  in der Welt. So ähnlich wie wir. Mit unseren Häusern und Wohnungen, mit den Familien, Kindern, mit großen Sorgen wie Corona und mit Alltagssorgen. Mit der Arbeit, mit all den Mühen des Lebens. Auch mit den Freuden. So vieles beschäftigt uns Tag für Tag, Woche für Woche. An manchen Tagen kommen wir kaum zur Besinnung. Wir versuchen uns durchs Leben zu kämpfen ohne großes Konzept. So ähnlich war es damals auch.

Die im Hebräerbrief angesprochenen Christen werden im Laufe der Jahre müde und matt. Haben kein Feuer mehr so wie die ersten Christen nach Ostern und Pfingsten. Manche verlieren den Glauben, kommen nicht mehr zu den Zusammenkünften der Gemeinde. Sie müssen neu gewonnen werden für den Glauben, brauchen Motivation für den Kampf des Glaubens. Oder eine Mischung aus Ermutigung und Ermahnung, wie es der Hebräerbrief versucht.

Ich finde das direkt spannend. Denn uns ergeht es ja ganz ähnlich. Wir sind auch oft ohne Feuer. Das wirft man „der“ Kirche als Ganzes heute immer wieder vor.  Jede Gemeinde wurstelt sich für sich so durch. Unser christliche Glaube, je nach Gemeinde vor Ort, mal lebendig, mal auch eher müde und ermattet. Und egal ob lebendig oder ermattet, unser christlicher Glaube droht in der Gesellschaft zu verdunsten. Wozu brauchen wir eigentlich noch Kirche? Fragen sich viele in der Gesellschaft und treten aus.

In der Kirche sind wir beschäftigt. Viel zu viel mit uns selbst sind wir beschäftigt. Wir sind beschäftigt mit Finanzen, Bauen, Renovieren und Erhalten, mit jeder Menge Bürokratie. Und seit einem Jahr mit Sicherheitskonzepten und Hygieneplänen wegen Corona. Hin und wieder gelingt uns der Blick über den Kirchturm. Und dann machen wir uns Sorgen. Wir sorgen uns um die Zukunft der Kirche. Das alles macht uns auch manchmal in der Tat müde und mutlos. Und das ewige Coronathema tut das seine dazu, dass uns alles zum Hals heraushängt.


Und uns ergeht es ähnlich wie der bröckelnden Gemeinde damals Ende des 1. Jahrhunderts.  Heute im 21. Jahrhundert wenden sich immer mehr heutzutage vom christlichen Glauben ab. Sie halten nicht durch. Sie werden müde. Sie finden es nicht mehr reizvoll, Teil der Kirche und der Glaubensfamilie zu sein. Die beiden großen Kirchen in Deutschland werden sich in den nächsten 30–40 Jahren halbieren: Wir werden nur noch die Hälfte der Mitglieder haben, die Hälfte der Mitarbeitenden, die Hälfte der Finanzen und Gebäude.  In 15 Jahren werden wir die Hälfte an Pfarrhäusern und die Hälfte an Pfarrer und Pfarrerinnen haben. Und wir fragen uns auch: Was können wir tun, außer hilflos zuzusehen?

Der Schreiber des Hebräerbriefs hatte damals die Sorge, dass immer mehr Christen auf der Strecke liegen bleiben. Er schreibt und predigt, er mahnt und ermutigt. Einen Teil davon haben wir heute gehört. 

Was können wir für unseren Glauben im 21. Jahrhundert von den Sorgen und Nöten der Gemeinden am Ende des 1. Jahrhunderts lernen?

Die erste Erkenntnis ist vielleicht schon hilfreich: Zu allen Zeiten sind Christen und Christinnen in ihrem Glauben herausgefordert worden. Ob in den Anfängen einer kleinen Schar von Jüngern und Jüngerinnen, die Jesus nachfolgt sind, oder in den Anfängen von vielen kleinen Splittergemeinden Ende des 1. Jahrhunderts über das ganze Weltreich zerstreut. Oder zur Reformationszeit, Dreißigjähriger Krieg, 2. Weltkrieg, und wir 21. Jahrhundert, die wir in einer Corona-Epidemie feststecken. Zu allen Zeiten war christliches Leben und christlicher Glaube herausgefordert. Und Christen haben sich zu allen Zeiten in ihrem Glauben bewährt. Und ihr Glaube hat Menschen zu allen Zeit in Krisenzeiten tatsächlich geholfen.

Und zu allen Zeiten sind die Gemeinden und Kirchen herausgefordert worden, haben sich anpassen müssen, um zu überleben oder gerade nicht angepasst und irgendwie haben Gemeinden und Kirchen überlebt. Gemeinden und Kirchen sind immer im Wandel. Wir merken es erst, wenn wir zurückschauen.

Und zu allen Zeiten haben Christen darum gerungen, wie ihr Glaube an Jesus zeitgemäß sein kann, wie Traditionen und Veränderungen sich abwechseln.


Hier in der Kirche, im Gottesdienst erwarten wir uns ein paar Inspirationen für die nächste Zeit: Wie kann unser Glaubensleben jetzt im März 2021 aussehen? Wie schaffen wir es Corona durchzuhalten? Wie gelingt es, dass wir als Christen unseren Lauf gut laufen? Woher kriegen wir Kraft für den Kampf?

1. Inspiration: Wir können ablegen, was uns beschwert „Lasst uns ablegen alles, was uns beschwert, und die Sünde, die uns umstrickt.“ (Hebr 12,1)
Ganz zu Anfang eines Gottesdienstes besinnen wir uns auf Gott. Ich meine das klassische Sündenbekenntnis. Wir legen bei Gott alles ab, was uns beschäftigt, was uns beschwert, was uns am Leben und Glauben hindert. Wir bringen es Gott und bitten ihn um Erbarmen. Er möge uns annehmen, wie wir sind, und uns unsere Sünden vergeben. Dann erfolgt der Gnadenzuspruch. Genau das wird uns zugesagt: Du darfst erleichtert weiterleben, unbeschwert sein, frei von Sünde.

Ablegen, was uns beschwert, können wir auch im Alltag außerhalb der Kirche: Was uns beschwert, mag unterschiedlich sein. Unser Sorgen und Kreisen um Corona, unser Kreisen um die Kirche, den Arbeitsplatz, unser Sorgen und Kreisen um familiäre Probleme.

Es gehört Übung dazu, abzulegen, loszulassen, Gott zu vertrauen, dass uns dann nichts fehlen wird, wenn wir loslassen. Ablegen zu können, was beschwert. Nur dann kann man gut laufen. Stellen wir vor, was wir möglicherweise die ganze Zeit mit uns schleppen an Lasten, die wir zu mindestens kurzzeitig ablegen und loslassen können. Ganz praktisch kann das so aussehen, dass ich, wenn ich merke, wie wieder etwas auf mir lastet, ich gedanklich diese Last innerlich loslasse: Hier hast du Gott, trag du diese Last für mich. Entlaste mich von meinen Sorgen. Und siehe da, es läuft sich schon entlasteter.. und befreiter…

2. Inspiration:  Wir können uns in Geduld einüben.  Geduldig sein
Lasst uns laufen mit Geduld …“ (Hebr 12,1)

In unserem Wettkampf müssen wir geduldig sein. Wir dürfen nicht vorschnell aufgeben. Geduldig sein, ist allerdings schwer zu leben in einer ungeduldigen, schnelllebigen Zeit. Aber ohne Geduld und Beharrlichkeit kommt man nicht weit. Geduldig sein heißt auch, dass ich Frust aushalten kann. In jeder Beziehung, auf jeder Arbeitsstelle und auch in jedem Glaubensleben gibt es Frustmomente und Frustphasen. Da denke mir: Das bringt doch nichts. Am besten breche ich ab und suche mir was Neues. Das ist meines Erachtens eine der größten Schwachstellen in der heutigen Gesellschaft, dass Menschen zu wenig Geduld haben, Geduld mit unseren Kindern und sie mit uns, Geduld mit unseren Ehepartnern und sie mit uns, gerade in den schwierigen Phasen einer Partnerschaft, Geduld auf der Arbeit, Geduld mit dem Chef, und er mit uns, Geduld mit den Kolleginnen und sie mit uns. Warum sind wir miteinander immer so ungeduldig und warum so schnell gefrustet? Vielleicht wir perfekt sein wollen, immer gut vorbereitet und es sollte einfach leichter gehen als es tatsächlich geschieht.

Und so gehen wir schnell weiter, wenn es uns irgendwo nicht passt. Wir haben uns schon fast daran gewöhnt, an dieses ungeduldige Drängeln in unserer Zeit. Impfdrängler kommen mir in den Sinn, sie können nicht abwarten, bis sie an der Reihe dran sind.

Im Wettkampf brauche ich viel Geduld. Als Läufer habe ich auch Frustphasen in meinem Lauf. Wo ich wirklich nicht mehr will. Nicht mehr kann. Fast zusammenbreche. Wenn ich diese Frustphasen nicht überwinde, komme ich nicht an, gewinne ich nie. Durchzuhalten ist wichtig im Leben und im Glaubensleben. Deswegen lasst uns laufen mit Geduld! Und Geduld üben! Und andere ermutigen, geduldig zu sein und durchzuhalten. Dabeizubleiben. Ohne Geduld kämen wir nicht an.

3. Inspiration:   Schauen, wie die anderen es vor uns gemacht haben, besonders auf Jesus schauen. Zu ihm aufsehen, von ihm lernen.
„Darum auch wir: Weil wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, lasst uns ablegen … lasst uns laufen mit Geduld … und aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens …“ (Hebr 12,1–2)

Die „Wolke der Zeugen“ – Gemeint sind damit viele Vorbilder des Glaubens aus der Geschichte Israels. Wir kennen sie alle mehr oder weniger gut. Der Schreiber fängt an mit Abel, Noah, mit Abraham und Sarah und kommt bis zu den Propheten und Glaubensmärtyrern. Er kommt richtig in Fahrt und nennt immer mehr Glaubenszeugen und erzählt zu jeder und jedem ein, zwei Verse, benennt, was ihren Glauben ausmacht. Aber schließlich sieht er, dass uns Christen ein noch viel besseres Vorbild gegeben ist. Vor unseren Augen steht der „Anfänger und Vollender des Glaubens, Jesus Christus“. Der hat auch so manchen Frust ausgehalten und Geduld geübt und hat durchgehalten.

Die Wolke der Zeugen ist seit dem Schreiben des Hebräerbriefes Ende des 1. Jahrhunderts größer und größer geworden.

Überlegen wir mal kurz, wer da alles in der Wolke der Zeuge da steht und uns anfeuert: Martin Luther, Martin Luther King, Dietrich Bonhoeffer, aber auch unsere eigenen Vorfahren, die schlichten, einfachen Leute, die vor uns ihren Glauben gelebt haben, so gut sie gekonnt haben.

Wir wissen, all diese Vorbilder, auch die besonders großen Vorbilder wie Martin Luther, sind auch durchaus fragwürdige Zeugen, Kinder ihrer Zeit, verwickelt und verstrickt in den Verstrickungen ihrer Zeit. Manche auch höchst unglaubwürdig durch ihre Versäumnisse und Schuld.

Aber bevor wir uns über den einen oder anderen aufregen, der dabei ist und uns anfeuert, sind wir doch einfach froh, dass wir selber auf diesem Lauf sein dürfen. Und es ist unser Lauf, mein Lauf des Lebens, den ich verantworte, den ich laufe  und selbst wenn ich hinkend, auf allen vieren kriechend, müde, erschöpft bei Gott ankomme, bin ich dann  da zusammen mit vielen anderen. Und dann  stehen wir zusammen mit Jesus bei Gott und haben Zugang zum himmlischen Jerusalem (Hebr 12,22ff). Was für ein Sieg, den wir da miterleben und mitfeiern dürfen.

Solange wir leben, ist unser Lauf nicht beendet. Wir sollen uns ruhig Jesus als Ziel und als Vorbild nehmen. Wir Christen und Christinnen schauen Jesus. Das  erspart uns manche Irrwege und Abgründe der Menschheitsgeschichte. Wir sollen weiterlaufen in unserem Leben und in unserem Glauben. Wir sollen Teil der Gemeinde Jesus Christi bleiben.

Drei Inspirationen für unterwegs:

1.ablegen, was uns beschwert, 2. Geduld haben, Frust aushalten und 3. auf die schauen, die vor uns geglaubt haben. Ganz besonders hilft, auf Jesus zu schauen.
Manches im Glaubensleben können wir ganz gut zu Hause oder der freien Natur leben. Aber anderes funktioniert besser in Gottesdiensten. Wir brauchen Gemeinschaft miteinander. Wir brauchen unsere Mitchristen, um uns gegenseitig zu ermutigen, wenn wir müde werden und verzagen.

111Der Glaube ist ein Festhalten an dem, worauf man hofft –ein Überzeugtsein von Dingen, die nicht sichtbar sind.2Aufgrund ihres Glaubens hat Gott den Alten das gute Zeugnis ausgestellt.

Den Blick auf Jesus richten

121Wir sind also von einer großen Mengen von Zeugen wie von einer Wolke umgeben. Darum lasst uns alle Last abwerfen, besonders die der Sünde, in die wir uns so leicht verstricken. Dann können wir mit Ausdauer in den Kampf ziehen, der vor uns liegt.2Dabei wollen wir den Blick auf Jesus richten. Er ist uns im Glauben vorausgegangen und wird ihn auch zur Vollendung führen. Er hat das Kreuz auf sich genommen und der Schande keine Beachtung geschenkt. Dies tat er wegen der großen Freude, die vor ihm lag: Er sitzt auf der rechten Seite von Gottes Thron.3Denkt doch nur daran, welche Anfeindungen er durch die Sünder ertragen hat. Dann werdet ihr nicht müde werden und nicht den Mut verlieren.                Basisbibel

 Ich wünsche uns allen einen guten Lauf und hoffe, alle kommen mit und alle kommen an! Amen.