יְבָרֶכְךָ יְהוָה וְיִשְׁמְרֶךָ
jewarechecha Adonai vejischmerecha
יָאֵר יְהוָה פָּנָיו אֵלֶיךָ וִיחֻנֶּךָּ
ja’er Adonai panaw eleicha wichuneka
יִשָּׂא יְהוָה פָּנָיו אֵלֶיךָ וְיָשֵׂם לְךָ שָׁלוֹם
jissa Adonai panaw eleicha wejasem lecha schalom
Sie müssen kein Hebräisch verstehen. Es ist nicht wichtig, wenn Sie von der Predigt nicht alles verstehen und nicht alles behalten. Wenn am Ende des Gottesdienstes dieser uralte und vertraute Segen uns allen zugesprochen wird, ist das Wichtigste am Gottesdienst geschehen. Und wenn Sie nichts als den Segen mit nach Hause nehmen, haben Sie für sich das Wichtigste mitgenommen:
Der HERR segne dich und behüte dich.
Der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.
Der HERR hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden.
Ich taste mich mit ein paar Fragen an den Segen als Predigttext heran. wer? wem? wann? Und dann die beiden großen Fragen: was und wer!?!
1. Wer? Wer spricht den Segen?
„Aaronitischer Segen“ heißt dieser Segen. Nach der biblischen Überlieferung im 4. Buch Mose gibt Gott der Herr dem Mose die Anweisung an dessen Bruder Aaron:
6,22 „Und der HERR redete mit Mose und sprach:
23 Sage Aaron und seinen Söhnen und sprich: So sollt ihr sagen zu den Israeliten, wenn ihr sie segnet:
24 Der HERR segne dich und behüte dich;
25 der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig;
26 der HERR hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden.
27 Denn ihr sollt meinen Namen auf die Israeliten legen, dass ich sie segne.“
Ein priesterlicher Segen ist das also. Aaron und seine Söhne waren die Priester im alten Israel. Bis heute dürfen bei orthodoxen jüdischen Gottesdiensten nur die „Nachfahren“ der Priester den Segen sprechen, also Männer mit dem Nachnamen Cohen (Cohen = Priester).
Weil es der Segen des Priesters ist. In christlichen Gottesdiensten ist es zum großen Teil auch so: Den Segen spricht im katholischen Gottesdienst nur der katholische Priester, eigens geweiht. Im evangelischen Gottesdienst ist es anders. Da spricht der Pfarrer, die Pfarrerin am Schluss den Segen, oder auch die Lektorin oder der Prädikant. Nach evangelischem Verständnis sind wir alle durch die Taufe zu Priestern geweiht. Im 1. Petrusbrief heißt: „Ihr seid ein königliches Priestertum“. Deshalb kann und darf diesen Segen jeder getaufte Christ“, einer dem anderen zusprechen: „Der Herr segne dich und behüte dich …“!
2. Wem?
Wem? Wem gilt der Segen? Die biblische Antwort wird uns vielleicht verblüffen und ein wenig schocken: Ganz eindeutig gilt der Segen dem Volk Israel! „So sollt ihr sagen zu den Israeliten, wenn ihr sie segnet: … Denn ihr sollt meinen Namen auf die Israeliten legen, dass ich sie segne.“
Der Segen gilt dem Volk Israel. Und in der christlichen Kirche gilt er nicht ohne oder gegen Israel, sondern nur so, dass sich die Christen in dem Juden Jesus von Nazareth mit Israel mitgesegnet wissen. Wir sollten das immer auch mitdenken: Es ist der Gott Israels, Jahwe-Adonai, an dessen Segen wir durch den Juden Jesus teilhaben. Das sollte uns Christen bescheiden machen. Jede antisemi-tische Äußerung innerhalb von christlicher Kirche raubt uns den Segen. Wir sollten auch nicht vorschnell den aaronitischen Segen trinitarisch auslegen und christlich vereinnahmen. Wir stehen als Christen unter dem uralten jüdischen Segen, den auch der Jude Jesus gesprochen hat.
Und wir sollten auch nicht vorschnell den aaronitischen Segen auf dich und mich als Einzelindividuen beziehen.
Der Segen gilt dem Volk, den Israeliten, der Gemeinde – und dann schon auch dem einzelnen Menschen dir und mir in der großen Gemeinschaft. Aber der Segen gilt nicht außerhalb der Gemeinschaft. Das „dich“ und „dir“ in diesem Segen ist nach dem hebräischen Sprachgebrauch eine kollektive Anrede. Sie gilt „Euch“ als Gemeinde und „dir“ je als Teil der Gemeinschaft. Also auch, wenn ich jemanden persönlich den Segen zuspreche, auch dann stelle ich ihn in die Gemeinschaft der Gemeinde, in der er den Segen empfängt. Der Segen vereinzelt nicht, sondern verbindet. Segen gibt es nur in der Gemeinschaft.
Wem gilt der Segen? Wem gilt der aaronitische Segen speziell, unser Segen? Er gilt „allem Volk“.
Dieser Segen gilt allen Menschen, jüdisch, christlich, in der Synagoge, in der Kirche oder daheim. Er gilt ohne Bedingungen, er gilt für das ganze Leben in unserer Zeit und für immer.
3. Wann? Von wann stammt dieser Segen?
Soviel steht fest: Es ist ein uralter Segen. Diese uralten Segensworte gehören zum ältesten erhaltenen Text des hebräischen Alten Testaments. Sie befinden sich auf zwei winzigen Schriftrollen aus Silber. Diese wurden vor über 40 Jahren bei archäologischen Grabungen unterhalb der südwestlichen Stadtmauer der Altstadt Jerusalems in einem Familiengrab gefunden. Es stammt aus der Zeit, als noch der erste salomonische Tempel stand. Die Silberrollen sind 2600 Jahre alt und damit 400 Jahre älter als die ältesten Bibelhandschriften aus Qumran.
Die Frage hat noch eine andere Dimension: Wann?: Wann wird der Segen im Gottesdienst gesprochen. Er wird immer am Ende des Gottesdienstes ganz am Schluss gesprochen. Er muss nicht mehr ergänzt oder kommentiert werden.
4. Was?
Was wird zugesprochen mit diesem Segen?
- Der HERR segne dich und behüte dich.
- Gott segnet.
Sind wir gesegnete Menschen?
Wo sehen wir etwas von dem Segen Gottes in unserer Gesellschaft?
Wir leben in einer Demokratie. Und trotz Corona-Epidemie leben wir in einer gut gehenden Wirtschaft. Wir haben genug Geld, um Milliarden auszugeben.
Es geht uns gut.
Wir haben Kinder, Enkelkinder, Ehepartner, oder Menschen, zu denen wir jederzeit gehen können. Wir haben ein funktionierendes Gesundheitssystem. Wir leben in einer Welt voller Nahrung, Technik, einer Welt des Überflusses.
Ja, wir sind gesegnet, von Gott gesegnet. Und frage mich, warum wir es sind. Denke ich, an Teile unserer deutschen Geschichte, spüre ich, dass wir es nicht verdient haben, von Gott gesegnet zu sein. Aber wir sind gesegnet.
- Gott behütet.
… und behüte dich.
Sind wir behütet?
„Bleiben Sie gesund und seien Sie behütet!“ So schreibe ich oft genug und sage es Menschen, wenn wir uns verabschieden. Jetzt in dieser unbehüteten Zeit ist es mir wichtig, mich und die Meinen behütet zu wissen. Gott ist für mich so etwas wie ein Schutz in der Gefahr und Zuflucht in Angst. Gott behütet uns auch vor allem Argen, allem Bösen.
Gerade dann, wenn uns unser Lebensweg zu schwer vorkommt oder wir meinen, nicht mehr zu können, keinen Ausweg und keinen Lichtblick mehr sehen, gerade dann ist es gut, sich eines bewusst zu machen: Wir sind behütet von Gott. Wenn wir Angst haben, ist Gott da, umgibt uns wie die Luft zum Atmen und stellt sich vor uns in unserer Not.
Ich gebe zu: Manchmal fühle ich mich nicht behütet. Manches ist geschehen, das mich fragen lässt, warum Gott dieses und anderes zugelassen hat. Behütet mich wirklich Gott? Und was ist mit den anderen Menschen, die er offensichtlich nicht behütet hat?
Wie auch immer, ich merke staunend: Es sind mehr Lebensphasen, in denen ich gut behütet war als Phasen, in denen ich mich alleingelassen gefühlt habe. Ja, ich bin ein behüteter Mensch!
Liebe Gemeindeglieder! Es ist natürlich ein Bild, aber ein kraftvolles Bild: Gott behütet uns alle, er hält seine Hände über uns, um uns zu schützen und zu behüten.
Der zweite Teil des aaronitischen Segens enthält ein ebenso kraftvolles Bild:
B) Der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir….
Es ist ein Bild wie bei einer Audienz beim König: Der König nimmt uns wahr. Nun haben wir keine Erfahrung mit Königen. Stellen wir uns vor, Kanzlerin Merkel kommt vorbei, mit großen Anhang. Für einen Moment sieht sie dich an und grüßt dich freundlich in der Menge.
Ich habe gerade ein Gegenbild vor Augen: Trump wie er triumphierend die Bibel vor einer Kirche hochhält, grimmig in die Menge blickt, nachdem er vorher mit Tränengas die demonstrierende Menschenmenge zur Seite hat räumen lassen.
Wenn Gottes Angesicht über uns leuchtet, schaut Gott uns freundlich an. Der ewige Gott nimmt uns wahr.
Das ist für uns Menschen etwas, worüber wir nur staunen können. Wir sind doch nur Staubkörner und doch nimmt uns der Ewige Gott freundlich wahr.
Wir sind nicht zufällig in dieser Welt. Wir sind keine Laune der Natur. Wir sind gewollt und erwünscht. Das sagen wir uns als von Gott gesegnete Menschen.
…. und sei dir gnädig.
Da geht es um unsere Gottesbeziehung, um Schuld und Vergebung. Wenn Gott segnet, erkennen wir auch Schuld und erfahren Vergebung.
Wenn Gott uns freundlich anschaut, erwärmt sein Blick Gott ist uns gnädig, wenn Schuld uns drückt, lässt er uns aufatmen und macht uns frei. Es ist eine Gnade, wenn Gott uns nicht verschlossen lässt in unserer Schuld, wenn er uns von allem Bösen löst und uns frei macht.
„Gott lasse sein Angesicht über dich leuchten und sei dir gnädig“: Das ist die Zusage für ein gelingenden Lebens.
- Der HERR hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden.
Noch einmal die Rede vom Angesicht Gottes. Gott schaut uns noch einmal an. Unser Gott sieht dabei, wenn er uns ansieht, unser Leid, all das, was uns im Innersten beschäftigt.
Und Gott hört unser Rufen, selbst wenn wir sprachlos geworden sind.
Gott heilt unsere seelischen Wunden und tröstet uns.
So ist das, wenn Gott uns anschaut. Unser Herz wird still und friedvoll. Schalom, Friede breitet sich in unserem Herzen aus.
Es gibt Momente in meinem Leben, da zieht wirklicher Friede ein. Ich sitze dann da und bin ganz still. Denke nichts mehr, habe keine Wünsche und keine Sorgen mehr. Ich spüre für einen kurzen, kostbaren Moment der Stille, bis er wieder von der Unruhe des Lebens vertrieben wird. Ich sehne mich danach, irgendwann vollends von diesem Frieden Gottes erfüllt zu sein.
… und gebe dir Frieden,
5. Wer? Wer segnet? In wessen Namen spricht der Segnende den Segen? „Gott der Herr, Jahwe Adonaj segne dich. Es ist der Gott, der sich Mose mit dem Namen Jahwe offenbart hat: „Ich werde bei euch sein!“
Geht mit dem Segen dieses Gottes!