Misericordias Domini 26.4.2020 Trautskirchen Onlinepredigt Manfred Lehnert, Pfr
Predigt über 1. Petrus 2,21-25
„21 Denn dazu hat euch Gott berufen. Auch Christus hat ja für euch gelitten, und er hat euch ein Beispiel gegeben, dem ihr folgen sollt. 22 Er hat sein Leben lang keine Sünde getan; nie kam ein betrügerisches Wort über seine Lippen. 23 Beschimpfungen ertrug er, ohne mit Vergeltung zu drohen, gegen Misshandlungen wehrte er sich nicht; lieber vertraute er sein Leben Gott an, der ein gerechter Richter ist. 24 Christus hat unsere Sünden auf sich genommen und sie am eigenen Leib zum Kreuz hinaufgetragen. Das bedeutet, dass wir für die Sünde tot sind und jetzt leben können, wie es Gott gefällt. Durch seine Wunden hat Christus euch geheilt. 25 Früher seid ihr herumgeirrt wie Schafe, die sich verlaufen hatten. Aber jetzt seid ihr zu eurem Hirten zurückgekehrt, zu Christus, der euch auf den rechten Weg führt und schützt.“
Liebe Gemeinde!
25 Früher seid ihr herumgeirrt wie Schafe, die sich verlaufen hatten. Aber jetzt seid ihr zu eurem Hirten zurückgekehrt, zu Christus, der euch auf den rechten Weg führt und schützt.“
So endet der Abschnitt aus dem 1. Petrusbrief, der uns für heute als Predigttext aufgegeben ist. Heute ist der sogenannte Hirtensonntag, Misericordias Domini, an dem generell an den Hirten Jesus Christus gedacht wird. Darum dieser Bibeltext, der vom Hirten und den Schafen redet.
Es ist für uns heute ein ambivalentes Bild, Hirte und Schafe.
Einerseits fallen mir gleich die dummen Schafe ein, zu denen ich mich nicht zähle. Wir sind keine dummen Schafe. Einerseits schauen wir heute das Bild vom Hirten und den Schafen mit anderen Augen an: Wir leben in einer Demokratie, wo es kein oben und unten gibt und jeder gleichberechtigt ist. Und auch in der Kirche sollte es diese Art von Hierarchie, von oben und unten Bischof mit Hirtenstab und Gemeindeglieder als Schafherde nicht geben.
Andererseits haben wir auch heutzutage ein tiefes Bedürfnis, in einer behüteten Welt zu leben: „Bleiben Sie gesund und behütet!“ wünsche ich seit Corona den Menschen, denen ich auf Abstand begegne. Wir haben auch in einer modernen Welt das Bedürfnis nach Orientierung, nach jemanden, der auf uns aufpasst, der klare Anweisungen gibt und sagt, wie es lang geht. Momentan sind wir mit einem Minister-präsidenten Söder damit ganz gut bedient und behütet. Wir brauchen solche verantwortlich führenden Personen auch in einer Demokratie.
Im 1. Petrusbrief spricht der Briefschreiber an Menschen, die gerade Christen geworden waren. Ihr Leben hatte eine Wende genommen. Waren sie aus der Sicht des Briefschreibers zuvor wie die irrenden Schafe gewesen, so haben sie nun einen Hirten: Jesus Christus, einen Bischof für ihre Seelen. So ist es in der Lutherübersetzung formuliert In der neueren Übersetzung wird das Wort Bischof auf treffende Weise so umschrieben: „der euch auf den rechten Weg führt und schützt.“
Das hört sich auf den ersten Blick ganz gut an. Ja, so einen Bischof für meine Seele, der mich in diesen schwierigen Zeiten führt und behütet, kann ich gut gebrauchen. Ich brauche jemanden, der meine Seele behütet und bewahrt.
Dann schaue ich mit dem zweiten Blick etwas genauer hin. Die hier angesprochenen Menschen sind vermutlich Sklaven. Ein paar Verse vorher werden sie als Sklaven angesprochent:
„Ihr Sklaven, ordnet euch euren Herren mit der notwendigen Achtung unter, nicht nur den guten und freundlichen, sondern auch den ungerechten. 1. Petrus 2,18 Hoffnung für alle
Wie das ein Sklave damals gehört hat? Vielleicht so:
„Ich bin schon enttäuscht, wenn ich das so höre. Hat sich nichts am Sklavendasein geändert? Als Sklave gehöre ich meinem Herrn. Mein Herr und Besitzer kann mit mir tun und lassen wie er will. Wenn er sich mir gegenüber anständig verhält, und das nicht nur im Gottesdienst, geht es ja noch. Aber was wenn ich einen wirklich gemeinen Besitzer habe? Der kann sich doch alles erlauben: Er kann mit mir hartherzig umspringen, mich demütigen, mich auspeitschen. Ich weiß nicht, was an diesem Satz christlich sein soll.“
Klar, die Sklaven in der damaligen Zeit wurden in der Regel nicht dauernd unterdrückt und unmenschlich behandelt. Sie waren ja auch Wirtschaftsgut und der Treibstoff, ohne den die Wirtschaft damals nicht funktioniert hat. So hat man als Sklavenbesitzer schon aus Eigeninteresse sich um seine Sklaven gekümmert.
Aber eines wurde damals als selbstverständlich vorausgesetzt: Sklaven sind nicht frei. D.h. sie verfügen in keinster Weise über sich. Andere verfügen über ihr Leben und das ist ihr gutes Recht. In einem Sklavenleben fehlt Wesentliches, was wir heute in unserer demokratischen Gesellschaft für ganz normal und ganz selbstverständlich halten: Sklaven haben keine Freiheit, keine Rechte und keine Beschwerdeinstanz, von Selbstverwirklichung einmal ganz zu schweigen.
Aber nun waren sie Christen geworden, diese Sklaven und Sklavinnen. Vielleicht deshalb, weil sie gespürt haben: In diesen Christengemeinden, da gelten andere Maßstäbe. Da sind auch wir Sklaven als Menschen wert geachtet, da haben auch wir als Sklaven die gleichen Rechte wie alle anderen.
„Jetzt ist es nicht mehr wichtig, ob ihr Juden oder Griechen, Sklaven oder Freie, Männer oder Frauen seid: In Jesus Christus seid ihr alle eins.“ Hoffnung für alle Galater
So etwas lässt die Sklaven aufhorchen: Freiheit! Menschenwürde! Liebe und Wertschätzung! Allerdings zunächst nur in den christlichen Gemeinden. Diese grundsätzliche Unfreiheit als Sklaven ist in ihrer Lebenswelt nicht völlig überwunden. Im Gegenteil: Hier in den christlichen Gemeinden spürten sie umso deutlicher den schmerzenden Gegensatz zu ihrem Leben als Sklaven. Bei der Arbeit im Alltag waren sie einem Sklavenbesitzer unterworfen, in den Gottesdiensten der christlichen Gemeinden waren sie Brüder und Schwestern, gleichberechtigt mit allen anderen Christen, gleichberechtigt auch mit dem eigenen Herrn und Sklavenbesitzer. Der war auf einmal auch ihr Bruder in Christo.
Bei der Arbeit als Sklave erleben sie, wie ihr Leben weiterhin fremdbestimmt und unterdrückt wird. In den Gemeinden begegnen andere Christen, auch höher gestellte Christen ihnen wertschätzend und freundlich: „Du gehörst zu der Schafherde Jesu, du bist in den Augen des guten Hirten ein ganz wertvoller Mensch. Schön, dass es dich gibt.“
Ob sie anständig behandelt oder ausgebeutet werden, ihre Arbeit als Sklave sagt ihnen: Vergiss nicht, du bist nur ein Mensch zweiter Klasse. In den christlichen Gemeinde waren sie in die Gemeinschaft der Christen integriert. Sie gehörten dazu. Das ist ein innerer Widerspruch.
Auf der einen Seite erleben diese Menschen etwas total Befreiendes: Uns wird unabhängig vom sozialen Stand die Menschenwürde vor Gott und in der Gemeinde zuerkannt. Auf der anderen Seite aber bleibt alles beim Alten. Eine Menschenwürde außerhalb der Gemeinschaft der Christengemeinde gab es scheinbar nicht. „Vergiss nicht, du bleibst immer noch Sklave. Daran wird sich nichts ändern.
18 Ihr Sklaven, ordnet euch euren Herren mit der notwendigen Achtung unter, nicht nur den guten und freundlichen, sondern auch den ungerechten. 1. Petrus 2,8 Hoffnung für alle
Diese Anweisung schmerzt, muss im Alltag eines Sklaven schmerzen. Was ist denn nun: Sind wir durch den Glauben an Christus wirklich frei oder bilden wir uns da nur was ein? Werden wir womöglich vom christlichen Herrn und Besitzer verarscht und vertröstet? Wie kann es sein, dass die befreiende Wirkung des Glaubens nur im Quarantänebereich von den paar Gottesdiensten gilt, nicht aber für den Rest meines Daseins? Wie ist es möglich, einerseits zu hören,: Ihr seid durch Jesus Christus frei geworden. Und andererseits erlebt man draußen in der Welt die gleiche Unfreiheit wie zuvor? Ihr Sklaven ordnet euch euren Herren unter!
Ich denke mir: Diese Sklaven hatten ein echtes Problem mit ihrem noch jungen Glauben. Der Christenglaube stand gewissermaßen auf dem Prüfstand des Lebens. Was bringt dieser Glaube überhaupt? Ist er wirklich so befreiend oder haben wir uns zu viel von ihm versprochen?
Ich denke, genau das ist der Punkt, an dem wir auch mit unserem eigenen Erleben in heutiger Zeit Zugang finden zum Text. Wir sind zwar, Gott sei Dank, keine Sklaven. Aber einen inneren oder äußeren Widerspruch unseres christlichen Glaubens zur Wirklichkeit kennen wir vielleicht auch. Manchmal erleben wir auch einen himmelschreienden Widerspruch. Mit der Freiheit eines Christenmenschen ist es vielleicht gar nicht so weit her.
Äußerlich gesehen sind wir hier in Europa frei. Oft sind wir aber gebunden von allerlei Ängsten, die uns die Freiheit madig machen.
Wir können frei wählen und wählen vielleicht gerade die, die uns fesseln und binden wollen. Ich habe die Wahlen in Thüringen im Blick, vor Corona hat es uns ziemlich beschäftigt, wie Afd- Politik ein ganzes Land lahmlegen kann. Und jetzt sind wir lahmgelegt von einem Virus ganz anderer Art. Dem Corona-Virus. Ich weiß, es ging nicht anders. Trotzdem schmerzen die Einschränkungen mich als Demokraten und als Christen. Eigentlich unglaublich, welche Rechte als freie Bürger eingeschränkt oder gar aufgehoben sind. Die Freiheit, hin zu gehen, wohin man will und zu wem man will. Die Freiheit, zu reisen. Die Freiheit, seine Religion und seinen Glauben auszuüben und in die Kirche zu gehen.
All das und mehr sind gesetzlich verbriefte Grundrechte unserer Gesellschaft. Und aufgehoben dürfen diese Grundrechte nur auf Zeit und in einem Katastrophenfall wie der Corona-Epidemie.
Vor Corana lebten wir in einer Gesellschaft mit unglaublichen Freiheiten. Jeder durfte wohnen, wo er wollte, reisen, wie er wollte und sich treffen mit wem auch er wollte. Und auch jetzt während der Coronazeit haben wir immer noch unglaubliche Freiheiten: Jeder darf denken, meinen und glauben, wie er meint, solange es nicht in die Freiheit des anderen hineingreift.Niemand schreibt uns vor, was wir glauben, was wir meinen was wir tun sollen. Es sind unglaubliche Freiheiten verglichen mit den um einiges kleineren Freiheiten, die Menschen in früheren Jahrhunderten hatten.
Jetzt während der Corona-Krise werden uns diese Freiheiten wichtig und kostbar. Sie sind nicht selbstverständlich.
Wir erleben auch heute in unserer Gesellschaft Unfreiheit. Es gibt so vieles, was uns binden will, fesseln, die mündige Freiheit als Menschen rauben will. Und manchmal machen wir es den Freiheitsräubern leicht, dass wir irgendwelchen fragwürdigen Leuten hinterher laufen, zu faul sind, uns eine eigene Meinung oder einen eigenen Glauben zu bilden und am Ende wie die Schafe in die Irre gehen Oft genug verlieren Menschen ihre Freiheit aus Angst.
Überhaupt ist Angst der große Freiheitsräuber. Die Angst vor der Vergeblichkeit des eigenen Tuns. Die Angst vor dem Scheitern. Die Angst vor Krankheiten. Die Angst vor Ansteckung durch den Corona-Virus und die Angst vor den Folgen von Corona
Gerade was wir mit Corona gerade erleben müssen, macht eines deutlich: Eine solche Epidemie bringt Träume zum Platzen und verändert Lebensperspektiven oder macht sie plötzlich zunichte. Auf einmal ist mein Leben eingeengt und unfrei. Und ich sitze eingesperrt in meiner Wohnung und ich frage mich: Wo ist Gott in dieser Corona-Krise? Bin ich wirklich „behütet“? Natürlich kann auch mir etwas passieren. Was bringt mir eigentlich mein Glaube, wenn ich abgeschottet von den anderen keinen Gottesdienst feiern kann? Was bringt mir in dieser Krise mein Glaube?
Was bringt mir mein Glaube? Bringt er mir wirklich die Freiheit? Was für befreiende Möglichkeiten bietet mir der Glaube?
Manchmal eröffnet eine Krise wie die Corona-Epidemie andere Möglichkeiten: Dieses und jenes geht nicht mehr. Ich kann dem Mitmenschen keine Hand geben, von Umarmen ganz zu schweigen. Aber siehe da, auf einmal tun sich ganz andere Möglichkeiten auf. Ein Gruß aus der Ferne lässt mich aufleben. Und dem anderen zu sagen, du bist mir wichtig, geht auch per Whatsapp. Leben und Liebe ist möglich auch und trotz dieser Seuche.
Wir werden sensibel für das, was wirklich wichtig ist. Wir spüren, wie wertvoll gute Worte geworden sind, wenn sie nur von Distanz aus gesagt werden können. Wir spüren, wie tut es uns gut, uns selber als wertvolle Menschen wahrzunehmen, auch wenn wir keine systemrelevanten Menschen sind, auch wenn wir momentan nicht gebraucht werden. Du sitzt allein in deiner Wohnung, kannst nicht raus, bist zu nichts nütze, – und du bist trotzdem wertvoll in Gotte Augen.
Wenn dir das an dem Ort, wo du gerade eingepfercht bist, aufgeht, dann ist manches vielleicht gar nicht mehr so schlimm.
Die damaligen Sklaven, die frisch Christen geworden sind, werden sich vielleicht in ihrem neuen Glauben so aufgerichtet haben:
„Unser Glaube an Christus hat uns immerhin einen Ort geschenkt, wo wir Freiheit erleben: die Gemeinde vor Ort. Hier darf ich sein, der ich bin!“
Aber wir möchten doch ganz frei sind, keine Sklaven, sondern freie Menschen, nicht nur im Herzen, sondern auch im Recht. Kann man die Sklaverei nicht abschaffen?
Diese Frage war damals allerdings völlig abwegig. Für Sklaven und Herren war das ein völlig abwegiger Gedanke. Sklaverei hat es schon immer in der Gesellschaft gegeben. Die Freiheit des Glaubens kann sich nur auf Gemeindeebene verwirklichen. Die Sklaverei abschaffen? Auf den Gedanken sind sie damals nicht gekommen. Frei sind wir nur innerhalb der Christengemeinde.
Aber ein Stachel im Fleisch war der christliche Gedanke von der Freiheit aller Menschen schon damals.
Freiheit nur innerhalb der Christengemeinde, das kann es wohl nicht sein.
Jahrhunderte später, zu Luthers Zeiten haben die leibeigenen Bauern aufgehorcht, als sie Luthers Schrift von der „Freiheit eines Christenmenschen“ vernahmen. Und sie sind nicht dabei stehen geblieben. Sie haben sich nicht geduckt und untertänig als Leibeigene verhalten. Nein sie sind aufge-standen, haben eine Revolution angefacht, den Bauernkrieg mit dem bekannten Ende und auch den unrühmlichen Lutherworten gegen die freiheitssuchenden Bauern. Aber klar war: Gewalt kann keine Lösung sein, die Freiheit zu bekommen.
Das war auch dem Schreiber des Petrusbriefes schon damals klar: Mit Gewalt und Krieg lässt sich die Versklavung von Menschen nicht abschaffen. Aber wie soll man sich dazu verhalten? Dazu gibt der Briefschreiber des Petrusbrief einen wirklich guten Rat:
„21 Christus hat euch ein Beispiel gegeben, dem ihr folgen sollt.
Hier trifft die Lutherübersetzung es besser: „Tretet in die Fußstapfen eures Herrn Jesus Christus“
Bildlich sehen wir die Fußspuren, die Jesus auf dieser Welt hinterlassen hat. Denen können wir einfach nachgehen. Und das heißt dann ja: Wir orientieren uns an dem, was Jesus gelehrt und selbst gelebt hat: Gerechtigkeit und Gewaltlosigkeit. Wir verzichten wie Jesus bewusst auf Drohen und Einschüchtern.
Jesus ist den Weg der unbedingten Gewaltfreiheit gegangen. Und der Petrusbrief legt es uns nahe, in seine Fußstapfen treten.
Leicht ist das nicht, darin Jesus nachzufolgen. Können wir das, wollen wir das überhaupt? Wer hält schon gern still, wenn er beleidigt wird? Und wer lässt sich schon gern etwas wegnehmen oder etwas antun ohne entsprechend zu reagieren?
Aber genau dieser Weg ist es, der uns Menschen langfristig in die Freiheit führt. Es hat lange gedauert, bis die Sklaverei geächtet und abgeschafft worden ist. Es war der gewaltlose Einsatz von Christen, der dazu geführt hat.
Die Sklaverei ist inzwischen abgeschafft, offiziell wenigstens. Es bleibt trotzdem unsere Herausforderung, auf weltverbreitete Sexsklaverei und Ausbeutung als Christen zu antworten. Auch andere Fragen, gesellschaftliche Fragen tun sich auf und werden uns beschäftigen:
Was können wir in einem nachchristlichen Europa als Christen beitragen, damit unsere Gesellschaft friedlicher und solidarischer wird? Was können wir als Christen tun, damit die Freiheit gewahrt und umgesetzt wird? Uns wird empfohlen in den Fußstapfen Jesu seinen Weg in dieser Gesellschaft weiterzugehen, damit Menschen Freiheit finden. Amen