Monatsarchiv: April 2020

Von der Freiheit eines Sklavenmenschen – Predigt 26.4.20

Misericordias Domini 26.4.2020 Trautskirchen Onlinepredigt Manfred Lehnert, Pfr

Predigt über 1. Petrus 2,21-25

„21 Denn dazu hat euch Gott berufen. Auch Christus hat ja für euch gelitten, und er hat euch ein Beispiel gegeben, dem ihr folgen sollt. 22 Er hat sein Leben lang keine Sünde getan; nie kam ein betrügerisches Wort über seine Lippen. 23 Beschimpfungen ertrug er, ohne mit Vergeltung zu drohen, gegen Misshandlungen wehrte er sich nicht; lieber vertraute er sein Leben Gott an, der ein gerechter Richter ist. 24 Christus hat unsere Sünden auf sich genommen und sie am eigenen Leib zum Kreuz hinaufgetragen. Das bedeutet, dass wir für die Sünde tot sind und jetzt leben können, wie es Gott gefällt. Durch seine Wunden hat Christus euch geheilt. 25 Früher seid ihr herumgeirrt wie Schafe, die sich verlaufen hatten. Aber jetzt seid ihr zu eurem Hirten zurückgekehrt, zu Christus, der euch auf den rechten Weg führt und schützt.“

Liebe Gemeinde!

25 Früher seid ihr herumgeirrt wie Schafe, die sich verlaufen hatten. Aber jetzt seid ihr zu eurem Hirten zurückgekehrt, zu Christus, der euch auf den rechten Weg führt und schützt.“

So endet der Abschnitt aus dem 1. Petrusbrief, der uns für heute als Predigttext aufgegeben ist. Heute ist der sogenannte Hirtensonntag, Misericordias Domini, an dem generell an den Hirten Jesus  Christus gedacht wird. Darum dieser Bibeltext, der vom Hirten  und den Schafen redet.

Es ist für uns heute ein ambivalentes Bild, Hirte und Schafe.

Einerseits fallen mir gleich die dummen Schafe ein, zu denen ich mich nicht zähle. Wir sind keine dummen Schafe. Einerseits schauen wir heute das Bild vom Hirten und den Schafen mit anderen Augen an: Wir leben in einer Demokratie, wo es kein oben und unten gibt und jeder gleichberechtigt ist. Und auch in der Kirche sollte es diese Art von Hierarchie, von oben und unten Bischof mit Hirtenstab und Gemeindeglieder als Schafherde nicht geben.

Andererseits haben wir auch heutzutage ein tiefes Bedürfnis, in einer behüteten Welt zu leben: „Bleiben Sie gesund und behütet!“ wünsche ich seit Corona den Menschen, denen ich auf Abstand begegne. Wir haben auch in einer modernen Welt das Bedürfnis nach Orientierung, nach jemanden, der auf uns aufpasst, der klare Anweisungen gibt und sagt, wie es lang geht. Momentan sind wir mit einem Minister-präsidenten Söder damit ganz gut bedient und behütet. Wir brauchen solche verantwortlich führenden Personen auch in einer Demokratie.

Im 1. Petrusbrief spricht der Briefschreiber an Menschen, die gerade Christen geworden waren. Ihr Leben hatte eine Wende genommen. Waren sie aus der Sicht des Briefschreibers zuvor wie die irrenden Schafe gewesen, so haben sie nun einen Hirten: Jesus Christus, einen Bischof für ihre Seelen. So ist es in der Lutherübersetzung formuliert In der neueren Übersetzung wird das Wort Bischof auf treffende Weise so umschrieben: „der euch auf den rechten Weg führt und schützt.“

Das hört sich auf den ersten Blick ganz gut an. Ja, so einen Bischof für meine Seele, der mich in diesen schwierigen Zeiten führt und behütet, kann ich gut gebrauchen. Ich brauche jemanden, der meine Seele behütet und bewahrt.

Dann schaue ich mit dem zweiten Blick etwas genauer hin. Die hier angesprochenen Menschen sind vermutlich Sklaven. Ein paar Verse vorher werden sie als Sklaven angesprochent:

„Ihr Sklaven, ordnet euch euren Herren mit der notwendigen Achtung unter, nicht nur den guten und freundlichen, sondern auch den ungerechten.  1. Petrus 2,18 Hoffnung für alle

Wie das ein Sklave damals gehört hat? Vielleicht so:

„Ich bin schon enttäuscht, wenn ich das so höre. Hat sich nichts am Sklavendasein geändert? Als Sklave gehöre ich meinem Herrn. Mein Herr und Besitzer kann mit mir tun und lassen wie er will. Wenn er sich mir gegenüber anständig verhält, und das nicht nur im Gottesdienst, geht es ja noch. Aber was wenn ich einen wirklich gemeinen Besitzer habe? Der kann sich doch alles erlauben: Er kann mit mir hartherzig umspringen, mich demütigen, mich auspeitschen. Ich weiß nicht, was an diesem Satz christlich sein soll.“

Klar, die Sklaven in der damaligen Zeit wurden in der Regel nicht  dauernd unterdrückt und unmenschlich behandelt. Sie waren ja auch Wirtschaftsgut und der Treibstoff, ohne den die Wirtschaft damals nicht funktioniert hat. So hat man als Sklavenbesitzer schon aus Eigeninteresse sich um seine Sklaven gekümmert.

Aber eines wurde damals als selbstverständlich vorausgesetzt:  Sklaven sind nicht frei. D.h. sie verfügen in keinster Weise über sich. Andere verfügen über ihr Leben und das ist ihr gutes Recht. In einem Sklavenleben fehlt Wesentliches, was wir heute in unserer demokratischen Gesellschaft für ganz normal und ganz selbstverständlich halten: Sklaven haben keine Freiheit, keine Rechte und keine Beschwerdeinstanz, von Selbstverwirklichung einmal ganz zu schweigen.

Aber nun waren sie Christen geworden, diese Sklaven und Sklavinnen. Vielleicht deshalb, weil sie gespürt haben: In diesen Christengemeinden, da gelten andere Maßstäbe. Da sind auch wir  Sklaven als Menschen wert geachtet, da haben auch wir als Sklaven die gleichen Rechte wie alle anderen.

 „Jetzt ist es nicht mehr wichtig, ob ihr Juden oder Griechen, Sklaven oder Freie, Männer oder Frauen seid: In Jesus Christus seid ihr alle eins.“ Hoffnung für alle Galater

So etwas lässt die Sklaven aufhorchen: Freiheit! Menschenwürde! Liebe und Wertschätzung! Allerdings zunächst nur in den christlichen Gemeinden.  Diese grundsätzliche Unfreiheit als Sklaven ist in ihrer Lebenswelt nicht völlig überwunden. Im Gegenteil: Hier in den christlichen Gemeinden spürten sie umso deutlicher den schmerzenden Gegensatz zu ihrem Leben als Sklaven. Bei der Arbeit im Alltag waren sie einem  Sklavenbesitzer unterworfen, in den Gottesdiensten der christlichen  Gemeinden waren sie Brüder und Schwestern, gleichberechtigt mit allen anderen Christen, gleichberechtigt auch mit dem eigenen Herrn und Sklavenbesitzer. Der war auf einmal auch ihr Bruder in Christo.

Bei der Arbeit als Sklave erleben sie, wie ihr Leben weiterhin fremdbestimmt und unterdrückt wird. In den Gemeinden begegnen andere Christen, auch höher gestellte Christen ihnen wertschätzend und freundlich: „Du gehörst zu der Schafherde Jesu, du bist in den Augen des guten Hirten ein ganz wertvoller Mensch. Schön, dass es dich gibt.“

Ob sie anständig behandelt oder ausgebeutet werden, ihre Arbeit als Sklave sagt ihnen: Vergiss nicht, du bist nur ein Mensch zweiter Klasse. In den christlichen Gemeinde waren sie in die Gemeinschaft der Christen integriert. Sie gehörten dazu. Das ist ein innerer  Widerspruch.

Auf der einen Seite erleben diese Menschen etwas total Befreiendes: Uns wird unabhängig vom sozialen Stand die Menschenwürde vor Gott und in der Gemeinde zuerkannt. Auf der anderen Seite aber bleibt alles beim Alten. Eine Menschenwürde außerhalb der Gemeinschaft der Christengemeinde gab es scheinbar nicht. „Vergiss nicht,  du bleibst immer noch Sklave. Daran wird sich nichts ändern.

18 Ihr Sklaven, ordnet euch euren Herren mit der notwendigen Achtung unter, nicht nur den guten und freundlichen, sondern auch den ungerechten.                             1. Petrus 2,8 Hoffnung für alle

Diese Anweisung schmerzt, muss im Alltag eines Sklaven schmerzen. Was ist denn nun: Sind wir durch den Glauben an Christus wirklich frei oder bilden wir uns da nur was ein? Werden wir womöglich vom christlichen Herrn und Besitzer verarscht und vertröstet? Wie kann es sein, dass die befreiende Wirkung des Glaubens nur im Quarantänebereich von den paar Gottesdiensten gilt, nicht aber für den Rest meines Daseins? Wie ist es möglich, einerseits zu hören,: Ihr seid durch  Jesus Christus  frei geworden. Und andererseits erlebt man draußen in der Welt die gleiche Unfreiheit wie zuvor? Ihr Sklaven ordnet euch euren Herren unter!

Ich denke mir: Diese Sklaven hatten ein echtes Problem mit ihrem noch jungen Glauben. Der Christenglaube stand gewissermaßen auf dem Prüfstand des Lebens. Was bringt dieser Glaube überhaupt? Ist er wirklich so befreiend oder haben wir uns zu viel von ihm versprochen?

Ich denke, genau das ist der Punkt, an dem wir auch mit unserem eigenen Erleben in heutiger Zeit Zugang finden zum Text. Wir sind zwar, Gott sei Dank, keine Sklaven. Aber einen inneren oder äußeren Widerspruch unseres christlichen Glaubens zur Wirklichkeit kennen wir vielleicht auch. Manchmal erleben wir auch einen himmelschreienden Widerspruch. Mit der Freiheit eines Christenmenschen ist es vielleicht gar nicht so weit her.

Äußerlich gesehen sind wir hier in Europa frei. Oft sind wir aber gebunden von allerlei Ängsten, die uns die Freiheit madig machen.

 Wir können frei wählen und wählen vielleicht gerade die, die uns fesseln und binden wollen. Ich habe die Wahlen in Thüringen im Blick, vor Corona hat es uns ziemlich beschäftigt, wie Afd- Politik ein ganzes Land lahmlegen kann. Und jetzt sind wir lahmgelegt von einem Virus ganz anderer Art. Dem Corona-Virus. Ich weiß, es ging nicht anders. Trotzdem schmerzen die Einschränkungen mich als Demokraten und als Christen. Eigentlich unglaublich, welche Rechte als freie Bürger eingeschränkt oder gar aufgehoben sind. Die Freiheit, hin zu gehen, wohin man will und zu wem man will. Die Freiheit, zu reisen. Die Freiheit, seine Religion und seinen Glauben auszuüben und in die Kirche zu gehen.

All das und mehr sind gesetzlich verbriefte Grundrechte unserer Gesellschaft. Und aufgehoben dürfen diese Grundrechte nur auf Zeit und in einem Katastrophenfall wie der Corona-Epidemie.

Vor Corana lebten wir in einer Gesellschaft mit unglaublichen Freiheiten. Jeder durfte wohnen, wo er wollte, reisen, wie er wollte und sich treffen mit wem auch er wollte. Und auch jetzt während der Coronazeit haben wir immer noch unglaubliche Freiheiten:  Jeder darf denken, meinen und glauben, wie er meint, solange es nicht in die Freiheit des anderen hineingreift.Niemand schreibt uns vor, was wir glauben, was wir meinen was wir tun sollen. Es sind unglaubliche Freiheiten verglichen mit den um einiges kleineren Freiheiten, die Menschen in früheren Jahrhunderten hatten.  

Jetzt während der Corona-Krise werden uns diese Freiheiten wichtig und kostbar. Sie sind nicht selbstverständlich.

Wir erleben auch heute in unserer Gesellschaft Unfreiheit. Es gibt so vieles, was uns binden will, fesseln, die mündige Freiheit als Menschen rauben will. Und manchmal machen wir es den Freiheitsräubern leicht, dass wir irgendwelchen fragwürdigen Leuten hinterher laufen, zu faul sind, uns eine eigene Meinung oder einen eigenen Glauben zu bilden und am Ende wie die Schafe in die Irre gehen Oft genug verlieren Menschen ihre Freiheit aus Angst.

Überhaupt ist Angst der große Freiheitsräuber. Die Angst vor der Vergeblichkeit des eigenen Tuns. Die Angst vor dem Scheitern. Die Angst vor Krankheiten. Die Angst vor Ansteckung durch den Corona-Virus und die Angst vor den Folgen von Corona

Gerade was wir mit Corona gerade erleben müssen, macht eines deutlich: Eine solche Epidemie bringt Träume zum Platzen und verändert Lebensperspektiven oder macht sie plötzlich zunichte.  Auf einmal ist mein Leben eingeengt und unfrei. Und ich sitze eingesperrt in meiner Wohnung und ich frage mich: Wo ist Gott in dieser Corona-Krise? Bin ich wirklich „behütet“? Natürlich kann auch mir etwas passieren. Was bringt mir eigentlich mein Glaube, wenn ich abgeschottet von den anderen keinen Gottesdienst feiern kann? Was bringt mir in dieser Krise mein Glaube?

Was bringt mir mein Glaube? Bringt er mir wirklich die Freiheit? Was für befreiende Möglichkeiten bietet mir der Glaube?

Manchmal eröffnet eine Krise wie die Corona-Epidemie andere Möglichkeiten: Dieses und jenes geht nicht mehr. Ich kann dem Mitmenschen keine Hand geben, von Umarmen ganz zu schweigen. Aber siehe da, auf einmal tun sich ganz andere Möglichkeiten auf. Ein Gruß aus der Ferne lässt mich aufleben. Und dem anderen zu sagen, du bist mir wichtig, geht auch per Whatsapp. Leben und Liebe ist möglich auch und trotz dieser Seuche.

Wir werden sensibel für das, was wirklich wichtig ist. Wir spüren, wie wertvoll gute Worte geworden sind, wenn sie nur von Distanz aus gesagt werden können. Wir spüren, wie tut es uns gut, uns selber als wertvolle Menschen wahrzunehmen, auch wenn wir keine systemrelevanten Menschen sind, auch wenn wir momentan nicht gebraucht werden. Du sitzt allein in deiner Wohnung, kannst nicht raus, bist zu nichts nütze, – und du bist trotzdem wertvoll in Gotte Augen.

Wenn dir das an dem Ort, wo du gerade eingepfercht bist, aufgeht,  dann ist manches vielleicht gar nicht mehr so schlimm.

Die damaligen Sklaven, die frisch Christen geworden sind, werden sich vielleicht in ihrem neuen Glauben so aufgerichtet haben:

„Unser Glaube an Christus hat uns immerhin einen Ort geschenkt, wo wir Freiheit erleben: die Gemeinde vor Ort. Hier darf ich sein, der ich bin!“

Aber wir möchten doch ganz frei sind, keine Sklaven, sondern freie Menschen, nicht nur im Herzen, sondern auch im Recht. Kann man die Sklaverei nicht abschaffen?

Diese Frage war damals allerdings völlig abwegig. Für Sklaven und Herren war das ein völlig abwegiger Gedanke. Sklaverei hat es schon immer in der Gesellschaft gegeben.  Die Freiheit des Glaubens kann sich nur auf Gemeindeebene verwirklichen. Die Sklaverei abschaffen?  Auf den Gedanken sind sie damals nicht gekommen. Frei sind wir nur innerhalb der Christengemeinde.

Aber ein Stachel im Fleisch war der christliche Gedanke von der Freiheit aller Menschen schon damals.

Freiheit nur innerhalb der Christengemeinde, das kann es wohl nicht sein.

Jahrhunderte später, zu Luthers Zeiten haben die leibeigenen Bauern aufgehorcht, als sie Luthers Schrift von der „Freiheit eines Christenmenschen“ vernahmen. Und sie sind nicht dabei stehen geblieben. Sie haben sich nicht geduckt und untertänig als Leibeigene verhalten. Nein sie sind aufge-standen, haben eine Revolution angefacht, den Bauernkrieg mit dem bekannten Ende und auch den unrühmlichen Lutherworten gegen die freiheitssuchenden Bauern. Aber klar war: Gewalt kann keine Lösung sein, die Freiheit zu bekommen.

Das war auch dem Schreiber des Petrusbriefes schon damals klar:  Mit Gewalt und Krieg lässt sich die Versklavung von Menschen nicht abschaffen. Aber wie soll man sich dazu verhalten? Dazu gibt der Briefschreiber des Petrusbrief einen wirklich guten Rat:

„21  Christus hat euch ein Beispiel gegeben, dem ihr folgen sollt.

Hier trifft die Lutherübersetzung es besser:  „Tretet in die Fußstapfen eures Herrn Jesus Christus“

Bildlich sehen wir die Fußspuren, die Jesus auf dieser Welt hinterlassen hat. Denen können wir einfach nachgehen. Und das heißt dann ja: Wir orientieren uns an dem, was Jesus gelehrt und selbst gelebt hat: Gerechtigkeit und Gewaltlosigkeit. Wir verzichten wie Jesus bewusst auf Drohen und Einschüchtern. 

Jesus ist den Weg der unbedingten Gewaltfreiheit gegangen. Und der Petrusbrief legt es uns nahe, in seine Fußstapfen treten.

Leicht ist das nicht, darin Jesus nachzufolgen. Können wir das, wollen wir das überhaupt? Wer hält schon gern still, wenn er beleidigt wird? Und wer lässt sich schon gern etwas wegnehmen oder etwas antun ohne entsprechend zu reagieren?

Aber genau dieser Weg ist es, der uns Menschen langfristig in die Freiheit führt. Es hat lange gedauert, bis die Sklaverei geächtet und abgeschafft worden ist. Es war der gewaltlose Einsatz von Christen, der dazu geführt hat.

Die Sklaverei ist inzwischen abgeschafft, offiziell wenigstens. Es bleibt trotzdem unsere Herausforderung, auf weltverbreitete Sexsklaverei und Ausbeutung als Christen zu antworten. Auch andere Fragen, gesellschaftliche Fragen tun sich auf und werden uns beschäftigen:

Was können wir in einem nachchristlichen Europa als Christen beitragen, damit unsere Gesellschaft friedlicher und solidarischer wird? Was können wir als Christen tun, damit die Freiheit gewahrt und umgesetzt wird? Uns wird empfohlen in den Fußstapfen Jesu seinen Weg in dieser Gesellschaft weiterzugehen, damit Menschen Freiheit finden. Amen

Frei wie ein Adler

Quasimodigeniti , 19.4.2020 Onlinepredigt Manfred Lehnert Trautskirchen, Jes 40,26-31

Liebe Zuhörer und Zuhörerinnen!

Große Bedrängnisse haben diese Menschen erlebt.  Krieg, Gewalt und Verschleppung. Viele sind gegen ihren Willen verschleppt worden in ein fremdes Land, fern ihrer Heimat. Eine einschneidende Krise machen sie durch, an die sich ihre Nachfahren noch Jahrhunderte danach erinnern werden. Voller Angst und Zweifel erleben sie ihre schwere Zeit und fragen sich: Wo ist unser Gott? Weiß er überhaupt, wie es schlecht es uns geht, weit weg von Zuhause?

 

Ich sehe den Adler vor mir über den Himmel schweben mit Adlersflügeln.

Ein kraftvolles Bild, aber ich spüre auch die Müdigkeit eines ganzen Volkes, das nicht mehr kann und will. Es fühlt sich nicht wie ein Adler. Es fühlt sich eher wie ein Huhn unter lauter Hühnern. Ich spinne diesen Gedanken weiter:

Manchmal fühle ich mich wie ein Huhn zur Bodenhaltung verdonnert, eingegrenzt und eingezäunt.

Wie ein Vogel, unfähig zu fliegen,

flatternd, hin und her suchend, pickend, immer auf der Suche nach einem Korn.

Manchmal fühle ich mich wie am Boden eingesperrt,

unfähig mich groß zu bewegen,

eingesperrt von Ausgangsbeschränkungen und den Erwartungen anderer.

Und sie reden mir ein,

ein Huhn zu sein, ein Huhn unter vielen Hühnern, die alle denken und picken wie ich.

Manchmal wird mir alles zu viel oder auch zu blöd

und ich möchte einfach meine Ruhe habe,

Ein Abstand und gewisse Distanz zu den Zwängen und Notwendigkeiten dieser Welt

Das täte mir gut!

Manchmal habe ich das pickende Tun und Machen eines Huhnes satt,

bin sogar des Zuhörens müde

und der Forderungen leid.

Manchmal wird alles um mich herum zu laut, das Geschrei der anderen nervt.

Alle stürzen auf mich ein,

alle zerren an mir zerren und jedes Huhn will etwas von mir:

Erledige das, tue das, vergiss nicht den,

lass das sein, sprich zu diesem

und schweige zu jenem.

 

Manchmal fühle ich mich so kraftlos wie ein Huhn am Boden.

Hilflos den Zwängen und Anforderungen um mich herum ausgeliefert,

ohnmächtig, aus meiner Rolle als Huhn herauszuschlüpfen,

und dann möchte ich wie ein Vogel fliegen,

zuerst wie ein Spatz, oder Rotkehlchen mit den Flügeln unaufhörlich schlagen.

Aber dann entdecke ich zu meiner großen Freude,

ich bin ein Adler!

 

Und ich beginne

wie ein Adler meine Flügel ganz weit auszubreiten,

Ein paar Mal schwinge ich zaghaft mit den Flügeln,

bis ich dann doch tatsächlich abhebe

und frei bin von aller Bodenhaftung.

Und ich spüre mit jedem Flügelschlag

Wie die Kraft wächst und neue Kräfte mir zukommen.

 

Meine weiten Flügel tragen mich ohne Anstrengung in den Himmel.

Frei wie ein Adler drehe ich hoch oben im Himmel meine Runden,

mühelos schwebend, mühelos kreisend.

 

Und bin ich oben, beginne ich mich von allem lösen, was mich belastet  und noch belastet,

Die Sorgen auf der Arbeit, die Probleme mit dem Chef, die Sorge um die anderen.

Auch diese Corona-Epidemie mit all ihren Folgen.

 

Ich lasse alles hinter mir.

Nichts schränkt mich ein.

Nichts kann mich am Boden fesseln.

Es gibt keine Grenzen.

Alle ist mir möglich,

ich bin frei wie ein Adler.

Frei wie ein Adler in der Luft, über den Wolken seine Runden dreht,

wo die Freiheit grenzenlos scheint.

Frei wie ein Adler hoch oben im Himmel,

entscheide ich selbst, wie nahe ich der Welt mit ihren Sorgen kommen will,

Ich habe es selbst in der Hand,  genauer, in den Schwingen,

ein Flügelschlag und ich drehe ab.

Niemand kann mich zu irgendetwas zwingen.

 

Frei wie ein Adler hoch oben im Himmel drehe ich hoch oben meine Runden.

und wenn ich nach unten sehe mit scharfem Adlerauge,

sehe ich alles mit anderen Augen,

aus anderer Perspektive, mit mehr Überblick.

Und ich sehe plötzlich keine Probleme mehr

und keine Herausforderungen,

sondern erkenne Zusammenhänge und Lösungen

und ich weiß, wo ich eingreifen muss.

Oder wo ich es lasse.

Und unabhängig von dem, was unten ist,

genieße ich es, einfach über den Dingen zu schweben,

einfach zu sein.

 

Frei wie ein Adler hoch oben im Himmel bekomme ich neue Kraft für die Aufgaben, die da unten auf mich warten.

 

Und nun machen wir einen Perspektivenwechsel: Schauen wir als Adler hoch oben im Himmel herunter zu uns Menschen hier unten auf der Erde:

 

Schaut,

sagt uns der Adler hoch oben im Himmel.

Hier oben kann ich es ganz deutlich sehen:

 

Ihr Menschen da unten

Mit eurem Gedanken-Karussell

 

Schaut, wie wichtig ihr euch nehmt

Wie ihr euch für unentbehrlich haltet.

Und Sondertagungen haltet

Und Krisensitzungen für unverzichtbar haltet,

selbst für nicht systemrelevante Menschen.

 

Schaut

Wie klein ihr Menschen seid und unbedeutend

Wie klein selbst eure Hochhäuser und Finanztürme sind.

 

Schaut

Wie klein selbst eure Kirchen und Dome sind

Und was gestern so wichtig war,

seht wie unwichtig und belanglos es heute ist.

 

Schaut, so wird es mit den ach so wichtigen Themen von heute sein.

Irgendwann wird Euch Corona unwichtig geworden sein

Und anderes drängt sich Euch in den Vordergrund.

In 10 Jahren sind die Probleme von heute die Probleme von gestern,

erledigt und vergessen.

Seht, was heute ewig zu sein scheint, ist irgendwann vorbei.

 

Schaut,

wie klein und relativ eure Menschen-Gedanken sind,

heute hier, morgen dort

wie ihr das große Ganze nicht begreifen können,

wie auch ganz unten auf eurem Standort.

 

Schaut

Die Sterne im Kosmos sind Gottes Werk.

Sie sind keine Götter, wie die Menschen um euch glauben.

Sie sind Sternenstaub wie alles auf dieser Welt, das euch in Beschlag nehmen will.

 

Schaut

Die Sterne sind keine Götter, auch die Dinge heute, die euch zu Sternen werden wollen:

Gesundheit um jeden Preis nicht,

Geld und Macht ebenso nicht,

Konsum auch nicht, Wohlstand und Erfolg auch nicht.

Nicht einmal das unverhoffte Glück auf Erden macht euch glücklich.

 

Schaut

Worauf es ankommt im Leben:

Dass ihr Menschen kennt, die euch lieben

Und ihr sie auch.

Dass eure menschlichen Beziehungen so gut gepflegt sind,

dass ihr euch in Krisenzeiten darauf zurückziehen könnt.

 

Schaut

Worauf es ankommt im Leben:

Dass eure Arbeit und euer Dasein

Euch Sinn gibt und ihr Sinnvolles tun könnt in eurem Leben.

 

Schaut

wer systemrelevant ist in Krisenzeiten:

nicht die Finanzmanager und Banker,

nicht die großen Stars und Champions,

nicht die Prominenten und Selbstdarsteller,

sondern die Menschen,

die an der Kasse, an der Mülltonne, im Altenheim, im Krankenhaus

ihren Mann bzw ihre Frau stehen.

Menschen, die da sind für andere.

 

Woher können wir also Kraft schöpfen in schwierigen Zeiten:

Wenn wir an die Sterne denken, die uns daran erinnern, was wirklich wichtig ist auf Erden. Wir bekommen wie Adler Flügel, wir bekommen Abstand und Distanz zu dem, was uns gerade in Beschlag nimmt.

 

Was immer auch für dich und mich momentan Babylon oder Corona bedeutet und in Beschlag nimmt,

diese Zeit wird auch vorbei gehen

und wir werden die Kraft bekommen, diese Zeit zu durchstehen.

Amen.

Corona Gebet am Sonntag 19.4.20

Gebet

Guter Gott,

die Corona-Krise macht uns Angst. Solch eine Situation hatten wir noch nie.

Auf der ganzen Welt werden Menschen deswegen krank.
Und noch viel mehr bleiben zu Hause oder auf Abstand zueinander, um sich nicht anzustecken mit dem neuen Virus.

Ich bitte dich: Steh uns bei in dieser Situation.
Sei bei den Kranken und den Risikopatienten und bei allen, die sich um sie kümmern.

Hilf uns, gelassen zu bleiben.
Hilf uns, Solidarität zu zeigen mit denjenigen, die wir jetzt besonders schützen müssen.


O Gott, es gibt vieles, das ich nicht weiß. Es gibt vieles, das ich nicht durchschaue. Es gibt vieles, das ich nicht in der Hand habe.

Wenn ich mich ohnmächtig fühle, will ich einmal tief durchatmen

und darauf vertrauen, dass ich nicht das Ganze bewältigen muss,

sondern das tun kann, was mein Part ist.

Wenn ich verunsichert bin, will ich einmal tief durchatmen

und darauf vertrauen, dass ich nicht alleine bin

und dass unsere Weisheit gemeinsam reicher ist.

Wenn ich Angst habe, will ich einmal tief durchatmen

und darauf vertrauen, dass ich nicht aus Gottes Nähe herausfalle,

sondern dass Gottes Geist mir nahe ist.

Was ich weiß, ist:

Mein Leben und meine Liebe und meine Würde reichen

 so viel weiter als das, was ich leisten oder tun kann.

Was ich sehen kann, ist:

Nach jedem Winter kommt der Frühling

und neues Leben wächst aus dem kalten Erdboden.

Was ich kann, ist tief durchatmen

und dieser Welt Liebe einflößen, die sie so dringend braucht.

Osternacht zum Anschauen

https://youtu.be/hogvVxuk96E  Osternacht in Trautskirchen mit ganz vielen Kerzen und ganz wenigen Menschen, Pfarrer Manfred Lehnert

Wer wälzt uns den schweren Stein von der Seele? Ostergottesdienst zum Anschauen

https://youtu.be/pPWwJGulS8I      Ostergottesdienst 2020 Trautskirchen Pfarrer Manfred Lehnert

Wer wälzt uns den schweren Stein von der Seele?

Ostern 2020 Onlinepredigt Trautskirchen  Manfred Lehnert  Mk 15,42-47+ Mk 16,1-8

Liebe Gemeinde!
Es ist die Frage aller Trauernden:

„Wer wälzt uns den Stein von dem Grab?“

Ich hatte für Karfreitag eine Todesanzeige entworfen:

Ganz groß darüber die Überschrift: Ein schwerer Stein liegt auf seinem Grab und auf unserer Seele!

Darunter neben einem schweren Kreuz der schlichte, aber unfassbare Satz. Wir gedenken an den Tod von Jesus Ben Josef .

Darunter der Vermerk der Hinterbliebenen:

„Mit ihm gestorben sind alle unsere Hoffnungen, die wir an ihn glaubten.
Viel zu früh haben wir ihn verloren.

Ein Leben ist viel zu früh mit 38 Jahren auf eine sinnlose Weise zu Ende gegangen.

Die Beisetzung fand wegen der momentanen Ausnahmesituation in aller Stille am Karfreitag

statt. Voller Trauer und Entsetzen die Hinterbliebenen „

Ich hatte an Karfreitag darüber nachgedacht, was das für ein schwerer Stein war, der auf seinem Grab liegt und was für schwere Steine auf unserer Seele liegen. Und ich hatte gesagt: Nur nicht zu schnell nach Ostern schielen. Erst heißt es Karfreitag auszuhalten und mit diesem Tag das Leid in der Welt und bei sich selbst wahrzunehmen. Dann heißt es Karsamstag auszuhalten, diese innere Leere und Erschöpfung, die einen Menschen ausfüllen kann, wenn es nichts mehr zu hoffen gibt, wenn es aus und vorbei ist. Nun naht der dritte Tag, der anbrechende Tag, der Ostermorgen. Noch heißt er nicht so, Ostermorgen. Das kommt erst später. Noch ist es der dritte Tag nach Tod und Trauer.

Nun beginnen die Menschen, die Jesus geliebt haben, die Trauerarbeit. Sie trauern um Jesus und sammeln an guten Erinnerungen, was sie mit ihm erlebt haben. Und sie wollen seinem Leichnam einen letzten Liebesdienst erweisen, den sie in dem Chaos des Karfreitages nicht mehr tun konnten: Sie wollten seinen toten Leib salben und würdig für das Grab herrichten. Es ist ja alles so schnell gegangen. Dafür war an Karfreitag keine Zeit mehr.

Hören wir und den Anfang einer der Geschichten von damals, die den Menschen damals zur Trauerbewältigung und zur Erinnerung wichtig waren: Mk15,42-47 + Mk 16,1-3

 „Am Abend ging Josef aus Arimathäa, ein geachtetes Mitglied des Hohen Rates, zu Pilatus. Josef wartete auf das Kommen von Gottes Reich. Weil am nächsten Tag Sabbat war, entschloss er sich, Pilatus schon jetzt um den Leichnam von Jesus zu bitten. 44 Pilatus war erstaunt zu hören, dass Jesus schon tot war. Darum rief er den Hauptmann und erkundigte sich: »Lebt Jesus tatsächlich nicht mehr?« 45 Als der Hauptmann das bestätigte, überließ er Josef aus Arimathäa den Leichnam. 46 Josef kaufte ein feines Leinentuch, nahm Jesus vom Kreuz, wickelte ihn in das Tuch und legte ihn in eine Grabkammer, die in einen Felsen gehauen war. Dann wälzte er einen Stein vor den Eingang. 47 Maria aus Magdala und Maria, die Mutter von Joses, beobachteten, wohin er Jesus legte.

Am Abend, als der Sabbat vorüber war, kauften Maria aus Magdala, Salome und Maria, die Mutter von Jakobus, wohlriechende Öle, um den Leichnam von Jesus zu salben. 2 Früh am Sonntagmorgen, gerade als die Sonne aufging, kamen die Frauen damit zum Grab. 3 Schon unterwegs hatten sie sich besorgt gefragt: »Wer wird uns nur den schweren Stein vor der Grabkammer beiseite wälzen?«


„Wer wird uns nur den schweren Stein vor der Grabkammer beiseite wälzen?«

Ich verstehe den Stein, der vor dem Grab liegt, auch als ein Symbol für unsere angstvollen Gedanken, die oft wie Steine auf unserer Seele liegen – schwer und erdrückend, oft

unbeweglich und unüberwindlich.

Der Stein auf unserer Seele – welchen Namen trägt er? Vielleicht heißt er „Angst“. Vielleicht heißt

unser Stein „Einsamkeit“. Vielleicht trägt er auch den Namen „Traurigkeit“, oder er heißt „Stress

und Ehrgeiz“. Vielleicht heißt der Stein auch „Schuld“ oder „Versagen“.

Vielleicht aber hat Ihr Stein, liebe Gemeindeglieder, auch einen ganz anderen Namen. Einen Namen,

den nur Sie selbst kennen.

An Karfreitag bat ich Sie, zu Hause einen Stein in die Hand zu nehmen. Er sollte ein Zeichen sein für all die schweren

Steine, die auf unserer Seele liegen und die einen ganz individuellen Namen tragen.

Vielleicht ist das ein Stein, an dessen Last Sie sich längst gewöhnt haben. Vielleicht ist es auch ein Stein, an dem Sie schwer zu tragen haben – vielleicht bis an die Grenze Ihrer Belastungsfähigkeit.

Vielleicht heißt dieser Stein Corona oder Krebs oder steht für eine andere Krankheit oder körperliche Einschränkung.

Vielleicht steht der Stein auch bei Ihnen ein Grabstein wie bei den Frauen am Grab Jesu: die ohnmächtige, verzweifelte Trauer um einen lieben Menschen. Wie ein Stein lastet ein Grabstein auf den Herzen von uns Menschen.

Denn in der Trauer leben die Toten immer noch weiter.
Ihre Macht zeigt sich in den Tränen, die sie aufwühlen, und in den Träumen, in denen sie uns heimsuchen.
Beim Gang auf den Friedhof verspüren wir immer wieder diesen Wunsch:
Der Stein soll weg.
Aber wie soll diese Last so einfach weg sein? Wer kommt gegen einen solch riesigen Steinbrocken der inneren Leere und der Sinnlosigkeit an? Wer kann einen solchen riesigen Steinbrocken wegwälzen?

 Wer wälzt uns den Stein von dem Grab? So fragen die Frauen damals, so fragen wir in unserer Trauer.
Aber genauso fragen immer wieder auch Menschen mitten im Leben, wenn sie das Gefühl haben, vom Leben abgetrennt zu sein:
Wenn tote Gewohnheiten das Leben haben erkalten lassen,
wenn tödliche Selbstverständlichkeiten die Tage grau gemacht haben,
wenn Hoffnungen begraben werden mussten.
Wenn man nur noch nach rückwärts gewandt ist,
das große, gute Gestern verklärt,
die Jugend, die längst vergangenen Jahre preist:
Früher war alles besser!
Weißt du noch, damals?
Wenn Träume sterben, dann wirst du alt , heißt es.
Oder: Wer aufhört zu lernen, hört auf zu leben.
Dann schiebt sich die Lebensmüdigkeit oder das Alter wie ein Schleier vor das Leben.
Dann ist der Blick getrübt für die Schönheiten des Frühlings,
dann scheint es Herbst zu werden in Erwartung des Winters.

Gut ist es und heilsam kann es sein, diese Frage nach dem Leben dann überhaupt noch zu hören:  

Wer wälzt mir diesen Stein vom Grab?                                     Wer gibt mir neue Hoffnung auf dem Friedhof meiner Träume?
Wer schenkt mir Mut und Herausforderungen,
neuen Glauben und neue Kraft zum Leben?

Sie haben als Ostergruß ein Gedicht von Inge Müller bekommen:

„Immer wenn…

das Licht aufersteht,
ein neuer Tag beginnt,
ein Frühling,
ein zweiter Frühling,
immer wenn
eine Krankheit sich bessert,
ein Streit mit einer Versöhnung endet,
ein Mensch eine zweite Chance bekommt,
immer wenn
ich einen schweren Stein beiseite rolle,
den Stein meines Schweigens,
meiner Angst,
meiner Verlassenheit,
immer wenn man mir sagt,
dass das Ende nie das Ende ist,
und ich glaube es
… dann ist Ostern.“

Inge Müller

Wer wälzt uns den Stein von dem Grab? Im Evangelium des Markus ist dies der letzte Satz, den Menschen in der Geschichte Jesu von Nazareth sprechen.
Aber diese Frage geht durch die Welt:
Bei den Trauernden, bei den Angefochtenen, bei den Enttäuschten.
Wir alle müssen mit den Verlusten und mit den Enttäuschungen unseres Lebens fertig werden.
Und wir alle müssen darauf achten, dass mit all den Verlusten und mit den Enttäuschungen unseres Lebens unsere Herzen nicht zu Stein werden.
Wer wälzt uns den Stein von des Herzens Tür?

Wie viele Menschen muss man verloren haben,
wie viele Ideale müssen verflogen sein,
wie viele Verletzungen muss man erlitten haben,
damit man kalt wird wie Stein?
Ich denke an Lebensgeschichten, an Lebensschicksale, die gehen über alles hinaus, was Menschen ertragen können.
How many roads ? How many years?
So hat Bob Dylan gefragt und keine Antwort gegeben.
The answer, my friend, is blowing in the wind…

Im Markusevangelium hören wir eine andere Antwort:

„4 Umso erstaunter waren sie, als sie merkten, dass der riesige Stein nicht mehr vor dem Grab lag. 5 Sie betraten die Grabkammer, und da sahen sie auf der rechten Seite einen jungen Mann sitzen, der ein weißes Gewand trug. Die Frauen erschraken sehr. 6 Aber der Mann sagte zu ihnen: »Habt keine Angst! Ihr sucht Jesus aus Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist nicht mehr hier. Er ist auferstanden! Seht her, das ist die Stelle, wo man ihn hingelegt hatte. 7 Und nun geht zu seinen Jüngern und zu Petrus und sagt ihnen, dass Jesus euch nach Galiläa vorausgehen wird. Dort werdet ihr ihn sehen, wie er es euch angekündigt hat.«

Seitdem suchen Menschen den Auferstandenen.
Sie graben unter den Steinen und in der Erde,
sie untersuchen Leichentücher,
sie schauen in Emmaus vorbei und am See Genezareth,
sie forschen in den Schriften,
bauen Dome und Kirchen auf der Suche nach ihm.
Aber sie finden ihn nicht, denn sie suchen den Lebendigen bei den Toten und erfahren immer wieder:
Er ist nicht hier.

In der Kirche werden Sie dieses Schild sehen:

Wo er gerade ist, das ist nie ganz sicher.
Manche sagen, er komme immer wieder mit Leuten zusammen,
Menschen mit schwerem Gemüt,
Menschen, deren Tränen nicht trocknen,
Menschen, die vor Verzweiflung nicht in den Schlaf finden.

Wo er gerade ist, das können wir nie ganz begreifen. Aber eines ist sicher, und daran können wir begreifen, dass sich an Ostern etwas getan hat:

Der Grabstein ist weg. Der Stein ist fort.

Der Stein, der das Grab verschloss, war nicht das Ende, nach dem es zunächst aussah. Es ging im Leben weiter, und die Frauen mussten nicht unverrichteter Dinge umkehren. Gott kann Steine wegschieben. Er hatte durch einen Engel den Stein von Jesu Grab beiseitegeschoben. Gott kann auch die Steine auf unserer Seele beiseiteschieben. Der Stein vom Corona-Virus, der Stein der Angst; der Stein der Einsamkeit; der Stein des Stresses und des falschen Ehrgeizes; der Stein der Schuld; der Stein mit seinem ganz persönlichen Namen – er kann von Gott beiseite geschoben werden, damit es auch in uns licht und hell werden kann.

Ostern heißt: der Stein ist weg, und der Weg ist wieder frei. Ein neuer Weg ins Leben ist wieder möglich. Gott selbst befreit uns von den Steinen auf der Seele. Uns können physisch wie psychisch Steine vom Herzen fallen, weil Gott diesen Stein von uns nimmt. Dadurch wird es in unserem Herzen hell und licht. Die Osterkerze zeugt von diesem Licht, das von Ostern ausgeht. Sie leuchtet in den Gottesdiensten, um das Licht des Lebens anzuzeigen, das Gott uns allen schenkt.

Sie haben beim Nachdenken über den Stein in Ihrem Leben Ihrem Stein einen Namen gegeben: einen Namen, der anzeigen soll, für welche Last in Ihrem Leben dieser Stein steht. Sie können, wenn Sie möchten, Ihren Stein irgendwann in der Osterwoche in die Kirche bringen und vor dem Altar ablegen.

Was immer Sie bedrückt und beschäftigt, legen Sie diesen Stein in Gottes Hände und lassen Sie sich von dem österlichen Licht des Lebens beschenken. Lassen Sie sich durch diese Osterlichter sagen: Gottes Licht ist stärker als alle Steine dieser Welt.

Amen.

Österliches Vaterunser

Vater unser im Himmel.
Dein Sohn hat durch seine Auferstehung den Himmel uns nahe gebracht.

Geheiligt werde Dein Name.
Wir wollen ihn heiligen, indem wir immer mit Jesu Gegenwart rechnen.

Dein Reich komme.
Durch Ostern ist ein neuer Anfang gemacht: Dein Reich ist nahe herbeigekommen. Dein Reich der Liebe und des Friedens.

Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.
Dein Wille ist, dass Du uns durch Ostern neues Leben geben willst jetzt und in Ewigkeit.

Unser tägliches gib uns heute.
Das Brot auf dem Tisch und das Osterwort, das unseren Glauben stärkt, gib uns täglich.

Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Vergib, wenn wir mit unserem Glauben immer wieder hinter Deine Ostertat zurückfallen.

Und führe uns nicht in Versuchung,
durch das, was wir vor Augen haben, wie Leid, Krankheit und Tod, an Dich nicht mehr zu glauben.

Sondern erlöse uns von dem Bösen.
Erlöse uns von dem, was uns noch gefangen hält und uns davon abhält, ganz auf Deiner Seite zu stehen.

Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.

Österlicher Segen:

Möge das Licht der Auferstehungssonne
unsrem Dunkel heimleuchten

Mögen die Risse und Brüche unseres Lebens
es einlassen
durchscheinen lassen
in ihm
verwandelt werden

Mögen uns die Augen des Herzens aufgehen
für seine Gegenwart
in uns
durch uns
unter uns

und unsere Arme sich weit
öffnen
zu empfangen
und weiterzugeben

Katja Süss

Gebet an Karfreitag zum Hören

Hier klicken: https://soundcloud.com/manfred-lehnert-850999479/gebet-an-karfreitag

Karfreitagspredigt 2020

Steine, die auf Jesus und auf unserer Seele liegen

Karfreitag 2020 – Onlinepredigt Manfred Lehnert, Trautskirchen

Markus 15,42-46 „Am Abend ging Josef aus Arimathäa, ein geachtetes Mitglied des Hohen Rates, zu Pilatus. Josef wartete auf das Kommen von Gottes Reich. Weil am nächsten Tag Sabbat war, entschloss er sich, Pilatus schon jetzt um den Leichnam von Jesus zu bitten. 44 Pilatus war erstaunt zu hören, dass Jesus schon tot war. Darum rief er den Hauptmann und erkundigte sich: »Lebt Jesus tatsächlich nicht mehr?« 45 Als der Hauptmann das bestätigte, überließ er Josef aus Arimathäa den Leichnam. 46 Josef kaufte ein feines Leinentuch, nahm Jesus vom Kreuz, wickelte ihn in das Tuch und legte ihn in eine Grabkammer, die in einen Felsen gehauen war. Dann wälzte er einen Stein vor den Eingang.“

Liebe Gemeinde!

„Dann wälzte er einen Stein vor den Eingang.“ Um diesen Stein geht es heute.

Ich stelle mir eine Traueranzeige vor:

Ganz groß darüber die Frage: Ein schwerer Stein liegt auf seinem Grab und auf unserer Seele!

Darunter neben einem schweren Kreuz der schlichte, aber unfassbare Satz

Wir gedenken an den Tod von Jesus Ben Josef .

  1. Ein schwerer Stein liegt auf seinem Grab.

Ein schwerer Stein liegt auf seinem Grab! Man muss die Schwere dieses Grabsteines erfassen und begreifen. Und nicht gleich an Ostern denken.

An Karfreitag wurde sein Leichnam vom Kreuz abgenommen und seine Leiche in ein Grab gelegt und davor ein schwerer Grabstein gerollt.

Dieser Grabstein symbolisiert etwas Endgültiges:

Es ist aus und vorbei. So dachten die Menschen, die um Jesus Ben Josef getrauert haben. Tief erschüttert von dem was sie erleben mussten: dies schändliche Kreuzigung, Leid und Schmerzen des Gekreuzigten.  Der Tod von Jesus machte für sie keinen Sinn.

Die Schwere des Grabsteines Jesu symbolisiert: Dieser Tod ist grausam und sinnlos! Viel zu früh ist er gestorben! Sein Sterben war grausam, sein Tod am Kreuz schändlich. Er wurde noch am Karfreitagabend  in aller Stille  wegen der Ausnahmesituation bestattet.

Ich lese diese Todesanzeige, sehe das Kreuz auf der Todesanzeige wie gewohnt auf den üblichen Todesanzeigen. Dann erschrecke ich aber doch: Jesus, Sohn des Josef, Geburtsjahr 4 v.Chr. und sein Todesjahr 34 n Chr.

Darunter der Vermerk der Hinterbliebenen:

„Mit ihm gestorben sind alle unsere Hoffnungen, die wir an ihn glaubten.
Viel zu früh haben wir ihn verloren.

Ein Leben ist viel zu früh mit 38 Jahren auf eine sinnlose Weise zu Ende gegangen.

Die Beisetzung fand wegen der momentanen Ausnahmesituation in aller Stille am Karfreitag

statt. Voller Trauer und Entsetzen die Hinterbliebenen „

In aller Stille beerdigt, noch weniger als momentan die 15 Leute, die erlaubt sind, eine momentane Ausnahmesituation, damals wie heute einfach schrecklich. Einfach nur schrecklich, zum Fürchten.

Ich stehe unter dem Kreuz.

Ich schaue auf das Kreuz in unserer Trautskirchener Kirche. Wie bei allen anderen Kirchen hängt  auch bei uns das Kreuz unübersehbar.

Ich schaue auf zu dem der da am Kreuz hängt.

Welchen Sinn hatte der Tod dieses Menschen am Kreuz?

In dem Moment, an Karfreitag und Karsamstag, hatte der Tod Jesu keinen Sinn.

Als ob man dem Tod einen Sinn geben könnte und dann alles nicht so schlimm wäre.

Der Tod bleibt grausam und sinnlos.

Auch der Tod Jesu am Kreuz war grausam und sinnlos.

Er war der Gipfel der Grausamkeit.

Und nein: An Karfreitag deutet noch nichts darauf hin, dass dieser Tod irgendeinen Sinn haben könnte. Später kommt den Jüngern manches in den Sinn, was seinem Tod einen Sinn geben könnte. Aber jetzt an Karfreitag und Karsamstag nicht.

Da stehe ich unter dem Kreuz.

Ich schaue auf zu dem der da hängt.

Für ihn und die Menschen um ihn war sein Tod einfach nur grausam und sinnlos.

Da stehe ich unter dem Kreuz.

Ich schaue auf zu dem der da hängt.

Ich denke mir:

Ja, irgendwann ist diese schwere Zeit vorüber.

Sie wird vorübergehen.

Noch können wir das nicht sehen.

Noch ist Karfreitag.

Noch kommt Karsamstag

Noch liegt ein schwerer Stein auf seinem Grab.

Noch.

  • Ein schwerer Stein liegt auf unserer Seele          Corona Deutschland: Zahl der Fälle übersteigt 100.000 – Karte ...

Ein anderer schwerer Stein liegt im Moment auf unserer Seele. In Miniaturform sieht er wie ein Stein mit Stacheln aus, das Corona-Virus – tödlich, sinnlos und grausam.

Das muss ich gerade jetzt laut und deutlich sagen. Jetzt, wo wir alle umgeben sind von Nachrichten über Epidemie und Tod.

Wo wir diese schrecklichen Bilder von vielen Särgen in Leichenhäusern, Lastzügen und Kühlwägen sehen.

Gerade jetzt will ich laut und deutlich sagen: Dieses Virus ist grausam und sinnlos.

Es widerstrebt mir, diesem Virus einen Sinn unterstellen zu wollen.

Nein, dieses Virus ist nicht die Strafe Gottes, der damit die Menschheit züchtigt.

Dieses Virus fragt nicht, ob die, die sterben, es verdient haben oder unschuldig sind. Dieses Virus macht keine Bogen um die Kinder und jungen Menschen. Dieses Virus holt sich alte Menschen und Menschen mit bestimmten Krankheitsvorgeschichten. Aber auch die jungen Menschen, die Menschen in der Mitte des Lebens, die Gesunden und Starken sind nicht davor gefeit, mit diesem Virus tödlich angsteckt zu werden. Dieses Virus ist einfach unberechenbar tödlich.

Und dieses Virus ist auch nicht die Gelegenheit, dass wir uns als Gesellschaft endlich wieder auf das Gute, auf die Solidarität und den Zusammenhalt besinnen.

Dieses Virus fragt nicht, ob wir solidarisch waren oder nicht. Dieses Virus ist einfach tödlich.

Der massenhafte Tod durch dieses Virus ist einfach sinnlos und grausam. Der einsame Tod irgendwo im Altenheim genauso wenig.

Warum versuchen wir, diesem Virus irgendeinen Sinn zu geben?

Vielleicht kommt es daher, dass Menschen sich schwer tun, dass es das gibt: das einfach nur Sinnlose und das einfach nur Grausame.

Lieber erfinden wir einen Sinn, dann können wir damit besser umgehen.

Aber worin soll der Sinn liegen davon, dass vielleicht hunderttausende Menschen auf der ganzen Welt an diesem Virus sterben müssen?

Worin soll der Sinn liegen davon, dass Menschen in unseren Altenheimen keinen Besuch von ihren Angehörigen mehr empfangen dürfen. Dass ihre Kinder, ihre Enkel ihnen nicht die Hand halten dürfen?

Worin soll der Sinn liegen davon, dass so viele Menschen Angst um ihre wirtschaftliche Zukunft haben müssen?

Worin soll der Sinn liegen davon, dass Kinder auch dann in der Wohnung bleiben müssen, wenn die Eltern immer ungeduldiger und schließlich vielleicht sogar gewalttätig werden?

Nein, dieses Virus tötet blindlings und ist einfach nur sinnlos tödlich.

Auch wir Christen sollten nicht versuchen, ihm einen fragwürdigen Sinn zu geben.

Dieses Virus ist ein schwerer Stein auf unserer Seele.

Es gibt noch andere große und schwere Steine in unserem Leben. Ich halte einen Stein in meiner Hand und betrachte ihn. Wenn Sie wollen, nehmen Sie sich auch einen Stein Ihrer Wahl zu Hause in die Hand und betrachten ihn.

Dieser Stein ist klein.

Den braucht mir keiner wegrollen.

Kein Problem. Denn kann ich weglegen.

Schwer ist er allerdings schon, wenn ich ihn in meiner Hand fühle. Und hart ist er. Und kalt. Und er erinnert mich an andere Steine: große, schwere, kalte Steine in meinem Leben.

Es sind Steine, die ich mir nicht selbst freiwillig in die Hand genommen habe. Die ich auch nicht einfach weglegen kann. Steine in meinem Leben.

Die sind wie Grabsteine manchmal: sie sperren ein. Sie lassen kein Licht hinein und kein Leben.

Steine wie diese sind wie eine Last, die ich mit mir herumtrage. Die mir die Luft abdrückt. Unter der ich zusammenbreche.

Wer nimmt mir den Stein weg, der auf mir ruht? Schwer, niederdrückend, kalt, eckig und kantig?

Ich kann dem Stein einen Namen geben: er kann den Namen von einem Menschen haben, von einem der mir das Leben schwermacht, ein Vorgesetzter, ein Arbeitskollege, ein Nachbar, ein Mensch, dem ich nichts gut genug mache, der immer wieder mit einem solchen Stein nach mir wirft und mich wohlwissend an den schmerzhaftesten Wunden meines Lebens trifft.

Dieser Stein kann den Namen eines Menschen haben, dessen Schicksal mir wehtut. Den ich mit mir trage in meinen Gedanken. Dieser Stein kann der Grabstein eines Menschen sein, von dem ich mich letztes Jahr verabschieden musste.

Mein Stein, das kann der Name eines Ortes sein, behaftet mit einer schlimmen Erinnerung. Er kann nach einem Problem benannt sein, mit dem ich nicht fertig werde. Nach dem großen Fehler, den ich gemacht habe – und nun weiß ich nicht, wie es weitergehen soll.

Mein Stein kann den Namen Corona oder Krebs tragen oder den einer anderen schlimmen Krankheit. Hart und unnachgiebig ist diese Krankheit, wie dieser Stein hier. Kantig und eckig, Schmerzen bereitend, wenn er auf einem drückt.

Vielleicht ist das ein Stein, an dessen Last Sie sich bereits seit Jahren gewöhnt haben. Vielleicht ist es auch ein Stein, an dem Sie schwer zu tragen haben – vielleicht bis an die Grenze Ihrer Belastungsfähigkeit und drüber hinaus. Vielleicht als Pfleger und Arzt, als Pflegerin und Ärztin in den Altenheimen und auf den Intensivstationen…

Hat Ihr Stein auch einen Namen?

Nehmen Sie sich für einen Moment Zeit, diesen Stein zu fühlen. Diesen Stein in meiner Hand, und den anderen Stein oder die anderen Steine, die auf unsere Seele lasten.

Geben Sie dem Stein, der auf Sie lastet ist, einen Namen. Wir  lauschen für einen kurzen Moment der Stille unseres Herzen und werden dabei still.

Stille

Der Stein kann viele Namen haben. Er sperrt ein. Er belastet. Er macht mir das Leben schwer. Wer nimmt mir diesen Stein von meiner Seele?

  • Ein schwerer Stein liegt nicht für immer auf uns.
  • Nicht immer auf dem Grab Jesu
  • Nicht immer auf unserer Seele

Eines ist sicher: Egal wie schwer die Steine, die auf unserer Seele lasten, sie werden nicht für immer auf uns lasten. Es kommt die Zeit, da wird Gott „ wird ihnen alle Tränen abwischen. Es wird keinen Tod mehr geben, kein Leid, keine Klage und keine Schmerzen; denn was einmal war, ist für immer vorbei.« Off 21,4)

Aber noch ist es nicht soweit. Noch ist auch nicht Ostern.

Noch ist Karfreitag: Es ist die Zeit, das Leid wahrzunehmen, und der Schwere in unserem Leben nicht auszuweichen.

Noch ist noch nicht Karsamstag: Es ist die Zeit, die innere Leere und das Gefühl der Sinnlosigkeit aushalten.

Erinnern wir uns an die schweren Steine´, die in unserem Leben sich schon in irgendeiner Weise gelöst haben

Das Leben findet seinen Weg. Das Leben geht weiter.

Ich stehe

vor dem steinernen Kreuz in der Trautskirchener Kirche,

lauter Steine sind zu einem Kreuz zusammengefügt.

Ich ahne, dass die Steine in meinem Leben und im Leben meiner Mitmenschen doch einen Sinn haben. Ich ahne, dass auch der Tod Jesu im Nachhinein von Gott Sinn und Würde bekommen wird.

Aber noch ist Karfreitag

Noch kommt Karsamstag

Noch

Onlinepredigt Mk 9,14-27 Aus der Sicht der Gemeinde und Zuhörer

  1. Die Jesus-Geschichte aus der Sicht von Euch Gemeindegliedern, und Zuhörern (Jünger und Menschenmenge)

14 Bei ihrer Rückkehr fanden sie die anderen Jünger zusammen mit einigen Schriftgelehrten mitten in einer großen Volksmenge. Die Schriftgelehrten hatten die Jünger in ein Streitgespräch verwickelt. 15 Sobald die Leute Jesus sahen, liefen sie ihm aufgeregt entgegen und begrüßten ihn. 16 »Worüber streitet ihr euch mit meinen Jüngern?«, fragte er sie. 17 Einer aus der Menge antwortete: »Lehrer, ich habe meinen Sohn hergebracht, damit du ihn heilst. Er kann nicht sprechen, weil er von einem bösen Geist beherrscht wird.[1] 18 Wenn dieser Geist Gewalt über ihn gewinnt, wirft er ihn zu Boden. Dann tritt dem Jungen Schaum vor den Mund, er knirscht mit den Zähnen, und sein Körper wird ganz starr. Ich habe schon deine Jünger gebeten, den bösen Geist auszutreiben, aber sie waren machtlos.« 19 Da rief Jesus: »Was seid ihr nur für eine ungläubige Generation! Wie lange soll ich noch bei euch sein und euch ertragen? Bringt den Jungen her zu mir!« 20 Sie brachten ihn, und sobald der böse Geist Jesus erblickte, zerrte er den Jungen hin und her. Der stürzte zu Boden, wälzte sich umher, und der Schaum stand ihm vor dem Mund. 21 »Wie lange leidet er schon darunter?«, fragte Jesus den Vater. Der antwortete: »Von Kindheit an. 22 Schon oft hat ihn der böse Geist in ein Feuer oder ins Wasser geworfen, um ihn umzubringen. Hab doch Mitleid mit uns! Hilf uns, wenn du kannst!« 23 »Wenn ich kann?«, fragte Jesus zurück. »Alles ist möglich, wenn du mir vertraust.« 24 Verzweifelt rief der Mann: »Ich vertraue dir ja – hilf mir doch, meinen Unglauben zu überwinden!« 25 Als Jesus sah, dass immer mehr Leute zusammenliefen, bedrohte er den bösen Geist: »Du stummer und tauber Geist, ich befehle dir: Verlass diesen Jungen und kehre nie wieder zu ihm zurück!« 26 Da stieß der Dämon einen Schrei aus, zerrte den Jungen heftig hin und her und verließ ihn. Der Junge lag regungslos da, so dass die meisten sagten: »Er ist tot!« 27 Aber Jesus nahm seine Hand und half ihm aufzustehen. Markus 9,14-27 

Liebe Gemeinde und alle, die zuhören!

Diese Jesus-Geschichte beginnt mit einem handfesten Streit:

 14 Bei ihrer Rückkehr fanden sie die anderen Jünger zusammen mit einigen Schriftgelehrten mitten in einer großen Volksmenge. Die Schriftgelehrten hatten die Jünger in ein Streitgespräch verwickelt. 15 Sobald die Leute Jesus sahen, liefen sie ihm aufgeregt entgegen und begrüßten ihn. 16 »Worüber streitet ihr euch mit meinen Jüngern?«, fragte er sie.

Die Jünger streiten mit den Schriftgelehrten. Worüber streiten sie? Sie streiten darüber, ob diese nicht studierten Jünger zu Recht diesen kranken Jungen heilen dürfen. Die Schriftgelehrten sehen sich außerstande, selber zu helfen. Aber diesen einfachen, ungebildeten Jüngern steht es einfach nicht zu, zu heilen. Dass der Heilungsversuch erfolglos abgebrochen wurde, lässt den Streit zwischen Jüngern und Schriftgelehrten handfest werden. Sie werden handgreiflich. Die Leute sehen das, sehen Jesus kommen, laufen ihm aufgeregt entgegen. Was wird Jesus machen? 16 »Worüber streitet ihr euch mit meinen Jüngern?«, fragte er sie.

Aus der Menschenmenge antwortet einer, der dann die Hauptrolle spielen wird:  Der  Vater eines tauben, stummen und von einem bösen Geist beherrschten Kindes.

. 17 Einer aus der Menge antwortete: »Lehrer, ich habe meinen Sohn hergebracht, damit du ihn heilst. Er kann nicht sprechen, weil er von einem bösen Geist beherrscht wird.[1] 18 Wenn dieser Geist Gewalt über ihn gewinnt, wirft er ihn zu Boden. Dann tritt dem Jungen Schaum vor den Mund, er knirscht mit den Zähnen, und sein Körper wird ganz starr. Ich habe schon deine Jünger gebeten, den bösen Geist auszutreiben, aber sie waren machtlos.«

Was wohl gerade den Leuten durch den Kopf geht? Die einen waren sicher schlichtweg neugierig. Wie bei einem Unfall kommen die Schaulustigen dahergelaufen. Sicher waren einige so richtig schadenfroh: Da haben sich welche ausprobiert und sind kläglich gescheitert. Andere waren voreingenommen und arrogant: So verhält man sich nicht! So steht es nirgends in der Schrift!

Die Jünger selber sind wohl noch beschäftigt, ihr Versagen zu verarbeiten. Sie wollten helfen, konnten es nicht. Sie haben kläglich versagt.

Sie alle, Menschenmenge, neugierige Zuhörer, schadenfrohe Schriftgelehrte und beschämte Jünger, wird Jesus wohl gemeint haben, als er dann spontan ausruft:

 19 Da rief Jesus: »Was seid ihr nur für eine ungläubige Generation! Wie lange soll ich noch bei euch sein und euch ertragen?

Ehrlich gesagt, geht es mir manchmal genauso:  Ich würde so gerne helfen und kann es nicht. Ich würde so gerne Menschen erreichen, ihnen  Mut zusprechen. Aber die Gottesdienste ist geschlossen, schlimmer noch, so machen Ohren und Herzen sind verschlossen. Mehr noch: Plötzlich sehe ich mich womöglich Hass und Wut gegenüber.  Alles ist so verwirrend und kompliziert. Bis Jesus das sagt, was naheliegt:

Bringt den Jungen her zu mir!«

Bringen wir unsere Mitmenschen, die uns lieb und wert sind, zu diesem Jesus?

Bringen wir unsere Sorgen und Nöte zu diesem Jesus?

Unsere Nöte und unsere Verzweiflung wegen der Pandemie? Zu Jesus?

20 Sie brachten ihn, und sobald der böse Geist Jesus erblickte, zerrte er den Jungen hin und her. Der stürzte zu Boden, wälzte sich umher, und der Schaum stand ihm vor dem Mund. 21 »

Damals dachten die Menschen allgemein: Dieser Junge ist von einem bösen Geist ergriffen. Heute wissen wir: Das sind wohl epileptische Anfälle. Aber die Not ist dieselbe. Und die Menschenmenge dieselbe.

Heute wie damals wird gegafft: Neugier, Schaulust, am besten mit dem Handy aufnehmen und auf Facebook laden. So versucht man sich heute die Not des anderen vom Hals zu halten, auf Distanz zu halten.

Und wenn andere helfen, werden entweder die Helfer und Rettungssanitäter blöd angeredet, oder sie stehen im Weg herum und gaffen. Heute wie damals genauso.

Und heute wie damals wird es Menschen in dieser Menge geben, die hilflos dastehen, entsetzt über das, was gerade vor ihren Augen geschieht: Da wälzt sich ein Kind im Staub, mit Zuckungen, die Zunge sich zerbeißend und keiner hilft!

Und wir spüren als Zuschauer unsere eigene Hilflosigkeit. Hilft denn keiner? Vorhin hatten es diese Jünger versucht. Alle Achtung, dass sie sich das getraut haben. Sind aber kläglich gescheitert, wie auch sie selber kläglich gescheitert wären. Zum Glück haben wir uns herausgehalten. Und was ist jetzt mit diesem Jesus?

21 »Wie lange leidet er schon darunter?«, fragte Jesus den Vater.

Ah, ein Arzt oder Heiler. Vielleicht kann er wirklich helfen?

 Der Vater antwortet: »Von Kindheit an. 22 Schon oft hat ihn der böse Geist in ein Feuer oder ins Wasser geworfen, um ihn umzubringen. Hab doch Mitleid mit uns! Hilf uns, wenn du kannst!«

Wieder eine wilde Mischung in der Menschenmenge: Mitleid, ja das gibt es, dazu sind wir Menschen fähig. Wir Menschen können mit einem anderen Menschen echtes Mitleid haben, nicht oben heraus, sondern auf Augenhöhe. Wir sehen es, wie achtsam wir während der Corona-Virus- Epidemie miteinander umgehen Wir sehen, wozu Menschen zum Guten fähig sind, auf einander zu achten, für den Nachbarn einzukaufen usw.

Aber auch schaulustig, skeptische und neugierige Menschen, auch das sind wir. Heute wie damals. Und fragen uns unwillkürlich: Kann der wirklich was?

23 »Wenn ich kann?«, fragte Jesus zurück. »Alles ist möglich, wenn du mir vertraust.«

Wie denken wir „Otto Normalverbraucher“ über diesen Satz? Wie denken wir Menschen, die mitten im Leben ihren Mann bzw. ihr Frau stehen: „Ich glaube nur, was ich sehe!“  Ich habe es nicht so mit solchen Sprüchen. Alles ist möglich, Toyota!  Klar. Aber alles ist möglich, wenn du mir vertraust! Eher nicht!

Was ist das überhaupt für einer, der einen solchen Spruch raushaut. Nimmt er damit nicht wie seine Jünger den Mund etwas zu voll?

24 Verzweifelt rief der Mann: »Ich vertraue dir ja – hilf mir doch, meinen Unglauben zu überwinden!«

Es ist für uns Menschen, die bloß zuschauen und zuhören, einfach spannend. Egal wie wir zur Sache stehen, dieser Moment ist spannend. Da hört jeder hin.

Die Schriftgelehrten, immer bereit den Glauben gegen den Unglauben zu verteidigen.

Die Jünger, genauso hin und hergerissen wie dieser Vater. Sie spüren ja ihren eigenen Unglauben, ihr nicht  mehr glauben können, in sich.

Und die Leute, die als distanzierte Zuhörer zuhören, kriegen solche Ohren : »Ich vertraue dir ja – hilf mir doch, meinen Unglauben zu überwinden!« Sie spüren, das schreit ein Mensch in Existenznot. Dem steht das Wasser bis zum Hals. Neugierig laufen immer mehr Leute zusammen.

 25 Als Jesus sah, dass immer mehr Leute zusammenliefen, bedrohte er den bösen Geist: »Du stummer und tauber Geist, ich befehle dir: Verlass diesen Jungen und kehre nie wieder zu ihm zurück!« 26 Da stieß der Dämon einen Schrei aus, zerrte den Jungen heftig hin und her und verließ ihn. Der Junge lag regungslos da, so dass die meisten sagten: »Er ist tot!«

Die erste Reaktion aus der Volksmenge ist: „Er ist tot!“. Jesu befiehlt dem bösen Geist, aus dem Jungen auszufahren. Ein Schrei, der Junge zuckt hin und her und liegt dann regungslos da. Jesus heilt erfolgreich diesen Jungen, ganz gleich  ob man jetzt eine Geisteraustreibung wie damals die Menschenmenge sich vorstellte oder einen Jungen, der einen epileptischen Anfall bekommt, wie wir Menschen es uns heute vorstellen. Jesus heilt den Jungen erfolgreich, – aber die erste Reaktion aus der Menschenmenge heraus, ist: »Er ist tot!«

Wenn eingefahrene Verhaltungsweisen aufhören, wie Herumzappeln und Herumzucken, ist das für die einen erst Recht der Beweis, dass alles vergeblich war. „Siehste, alles für die Katz!“ Oder es hat zum schlimmsten Fall geführt: „Der Junge ist tot!“

Aber das gehört mit zur Heilung dazu, dass eingefahrene Verwaltungsweisen aufhören. Menschen hören auf, sich so zu verhalten wie die anderen es gewohnt waren. Sie liegen da, unbeweglich, wie tot.

Sind aber nicht tot.

 27 Aber Jesus nahm seine Hand und half ihm aufzustehen.

Wir sind immer noch Zuschauer und Zuhörer dieser Szene. Wir sehen und hören: Da nimmt Jesus die Hand des Jungen und richtet ihn auf.

Wenn wir das in unseren Gemeinden miterleben, dürfen wir uns ehrlich freuen:

Gott ergreift jemanden sanft an seiner Hand und richtet ihn auf. Da ist ein Mensch, der sich aufrichten darf, sein Leben  wieder selber leben darf.

Auch ich darf dieser Mensch sein, den Gott sanft an der Hand nimmt und den er aufrichtet.

Ich darf das hören und zugebener Zeit, wenn ich am Boden liege, darf ich das glauben: Da ist jemand, der auch mich aufrichtet, der mich bei meiner Hand hält. Jemand, in dessen Hand ich unendlich geborgen bin, ganz gleich was geschieht.

Liebe Gemeindeglieder und alle, die zuhören, wir befinden uns ja gerade in einer Zeit, in der wir es tunlichst meiden sollen, einander an der Hand zu ergreifen und einander zu berühren. Nehmen wir es momentan auf Distanz schon wahr: Einander berühren, heilt. Sich dem anderen zuwenden, berührt. Die Hand des anderen richtet auf. Ich wünsche uns in unserer Gemeinde viele solche berührender Gottesdienste, in denen wir zuschauen und uns mitfreuen können, wenn Menschen  von Gott oder von Jesus berührt und aufgerichtet werdet. Bis zu den nächsten Gottesdiensten und Konfirmationsfeiern behüte Gott auch Euch. In seiner Hand seid Ihr, sind wir alle geborgen. Amen.

Onlinepredigt Mk 9,14-27 Aus der Sicht des Vaters

  1. Die Jesus-Geschichte aus der Sicht von Euch Eltern, Großeltern und Verwandten  (Vater/Mutter – Familie)

14 Bei ihrer Rückkehr fanden sie die anderen Jünger zusammen mit einigen Schriftgelehrten mitten in einer großen Volksmenge. Die Schriftgelehrten hatten die Jünger in ein Streitgespräch verwickelt. 15 Sobald die Leute Jesus sahen, liefen sie ihm aufgeregt entgegen und begrüßten ihn. 16 »Worüber streitet ihr euch mit meinen Jüngern?«, fragte er sie. 17 Einer aus der Menge antwortete: »Lehrer, ich habe meinen Sohn hergebracht, damit du ihn heilst. Er kann nicht sprechen, weil er von einem bösen Geist beherrscht wird.[1] 18 Wenn dieser Geist Gewalt über ihn gewinnt, wirft er ihn zu Boden. Dann tritt dem Jungen Schaum vor den Mund, er knirscht mit den Zähnen, und sein Körper wird ganz starr. Ich habe schon deine Jünger gebeten, den bösen Geist auszutreiben, aber sie waren machtlos.« 19 Da rief Jesus: »Was seid ihr nur für eine ungläubige Generation! Wie lange soll ich noch bei euch sein und euch ertragen? Bringt den Jungen her zu mir!« 20 Sie brachten ihn, und sobald der böse Geist Jesus erblickte, zerrte er den Jungen hin und her. Der stürzte zu Boden, wälzte sich umher, und der Schaum stand ihm vor dem Mund. 21 »Wie lange leidet er schon darunter?«, fragte Jesus den Vater. Der antwortete: »Von Kindheit an. 22 Schon oft hat ihn der böse Geist in ein Feuer oder ins Wasser geworfen, um ihn umzubringen. Hab doch Mitleid mit uns! Hilf uns, wenn du kannst!« 23 »Wenn ich kann?«, fragte Jesus zurück. »Alles ist möglich, wenn du mir vertraust.« 24 Verzweifelt rief der Mann: »Ich vertraue dir ja – hilf mir doch, meinen Unglauben zu überwinden!« 25 Als Jesus sah, dass immer mehr Leute zusammenliefen, bedrohte er den bösen Geist: »Du stummer und tauber Geist, ich befehle dir: Verlass diesen Jungen und kehre nie wieder zu ihm zurück!« 26 Da stieß der Dämon einen Schrei aus, zerrte den Jungen heftig hin und her und verließ ihn. Der Junge lag regungslos da, so dass die meisten sagten: »Er ist tot!« 27 Aber Jesus nahm seine Hand und half ihm aufzustehen. Markus 9,14-27 

Liebe Eltern und Familien!

Versetzen wir uns in die Situation dieses Vaters. Immer wenn er seinen Sohn anschaut, muss er den schweren Gedanken denken: „Mein Sohn ist von einem bösen Geist besessen“. So dachte er damals mit allen anderen:  Heute wissen wir: Der Junge ist stumm und taub und hat epileptische Anfälle – von Kindheit an. Schlimm genug. Mein Junge kann nicht reden. Mein Junge kann nicht hören. Und er bekommt Anfälle. Noch schlimmer der Gedanke: Ein böser Geist hat mein Kind ergriffen! Von allen guten Geistern verlassen. Hopfen und Malz verloren. Böses Kind? Es ist doch mein Kind, mein Sohn? Ich habe ihn als kleines Kind gewaschen, die Windeln gewechselt. (Mutter). Hilflos und auch ein klein wenig verärgert über das eigene Kind: Es ist nicht so, wie ich es haben möchte. Nicht brav und angepaßt, fällt immer wieder unangenehm auf. Ist es vielleicht böse?

Ich als Vater verspüre auch einen enormen Ärger über diese Jünger, die versagen: Sie können nichts. Sie machen nichts. Stehen nur hilflos da und tun nichts!

Wie lange leidet er schon darunter?«, fragt Jesus den Vater. Ich antwortete an seiner Stelle: »Von Kindheit an“

Hört sich wie ein Arzt an wie der redet und fragt. Kann der was? Ist der so etwas wie ein Arzt oder wenigstens ein Heiler? Wenn es helfen würde, würde ich auch zum Homöopathen rennen, auch wenn es noch so fragwürdig ist. Aber Quacksalber geht gar nicht!  Ich bin hin- und hergerissen.in

Aber dann schildert der Vater, was er seit Kindheit seines Kindes erleben musste:  Hilflos musste er immer wieder mitansehen, wie das eigene Kind sich ins Feuer wirft oder ins Wasser. Jedes Mal lebensgefährlich für das eigene Kind.

„Hab doch Mitleid mit uns! Hilf uns, wenn du kannst!« 23 

Hier bittet ein verzweifelter Vater, hier betet im Hintergrund eine verzweifelte Mutter: Hilf uns! Stellvertretend für das eigene Kind, aber auch aus einer eigenen Notsituation heraus. Seit seiner Kindheit geht das so. Wir können nicht mehr! Wir halten das nicht mehr aus!   Hilf uns! Wir können unserem Kind nicht helfen. Hilf uns, wir sind ohnmächtig, fühlen uns völlig überfordert und hilflos.

 „Hilf uns, wenn du kannst!« 23 

Ich bin in der Rolle des Vaters ganz verblüfft und verärgert über das, was ich dann von diesem Jesus mir anhören muss:

23 »Wenn ich kann?«, fragt Jesus zurück. »Alles ist möglich, wenn du mir vertraust.« Ich bin mir ehrlich gesagt nicht sicher, ob du wirklich etwas kannst, ob du wirklich unserem Kind helfen kannst. Ehrlich gesagt, stecken in mir tausend Vorbehalte und Zweifel. Deine Jünger haben versagt. Wie wahrscheinlich ist es, dass der Meister dieser Versager nicht auch versagt!

Phrase, Phrasen dreschen! Alles ist möglich!

Abspeisen, wie soll ich dem vertrauen? wie soll ich dir vertrauen?

Schlüpfen wir aus der Rolle des Vaters. Und ich frage Euch Erwachsene: Seid ihr Eltern nicht auch hier und da mit Phrasen abgespeist worden?

„Alles ist möglich. Musst halt mehr Gottvertrauen haben, dann geschieht ein Wunder und wenn es nicht eintritt, das Wunder, dann bist du schuld: Du hast nicht genug gebetet, nicht genug geglaubt! Da war noch ein sündiger Gedanke in dir, der es Gott unmöglich gemacht hat, dir zu helfen.“

Nein, so ein Quatsch! Und so wird es Jesus nicht gemeint haben. So hat Jesus es nicht gemeint: Alles ist möglich, wenn du mir vertraust!

Wie könnte er es gemeint haben?

Vielleicht so: Alles ist möglich, wenn du mir vertraust, wofür ich mit Worten und Taten mein Leben lang eingestanden bin: Vertraue dem Gott, von dem ich die ganze Zeit erzählt habe. Vertraue diesem Gott. Gott ist gut den Gesunden und den Kranken. Gott ist gut den Gerechten und den Ungerechten. Gott den Menschen gut, ob sie es verdient haben oder nicht. Gott ist gut. Vertraue ihm. Vertraue dir selbst, wenn du tief in dich hinhörst: Vielleicht hörst du die Stimme Gottes, die dir sagt: Du bist mir gut genug! Du sollst leben. Dein Kind auch. Ich möchte, dass alle Menschen leben kann! Ich möchte, dass dein Leben, das Leben deines Kindes und das Leben aller anderen Menschen gelingt.

Ich bin für das Leben! Vertraue mir!

So verstehe ich den Satz Jesu: „Alles ist möglich, wenn du mir vertraust.“:

Im Leben ist alles möglich, wenn du dem Gott des Lebens vertraust. Es wird zwar nicht alles so in Erfüllung gehen, so wie du es dir gerade vorstellst. Aber das Leben geht seinen Weg. Gott will Leben!

Ich höre das als Vater dreier erwachsener Kinder. Ich will das glauben. Das Leben geht nicht unter. Trotz Corona-Virus-Pandemie. Das Leben geht weiter, auch wenn das eine oder andere im Leben meiner Kinder anders läuft, als ich und sie es sich vielleicht wünschen. Das Leben geht weiter, auch wenn nicht alle Wünsche und Träume meiner Kinder in Erfüllung gehen. Und so viele Wünsche und Träume meiner Kinder sind in Erfüllung gegangen: Sie haben eine gute Ausbildung, sie sind motiviert und am Leben interessiert. Vor so mancher Todesgefahr sind sie schon bewahrt worden. Gott sei Dank!

Natürlich höre als Vater dreier erwachsener Kinder auch die sorgenvolle Einwände anderer Mütter und Väter. Natürlich sehe ich manches aus privilegierter Sicht. Wenn meine Kinder in einem der Zelte auf Lesbos von geflüchteten Familien ihr Leben fristen müssen, sähe es schon ganz anders aus. Ja, meine Kinder haben keine Leukämie, sie sind gesund, sie haben keinen Corona-Virus in sich, hoffentlich. Klar, das Leben ist manchmal abgrundtief. Es gibt wahre Abgründe, die sich vor Menschen auftun. Meine Kinder hatten eine schöne behütete Kindheit, sie waren erträgliche Jugendliche und sind alle drei ihren Weg gegangen und gehen ihn weiter. Andere Kinder haben vielleicht eine grausame Kindheit, sie hatten unerträgliche Eltern, oder keine Eltern und sind auf einen falschen Weg geraten, gehen ihn, obwohl er sie vom Leben abbringt: Saufen, Drogen, ein Abdriften ins Rechtsextreme.

Ich weiß aus eigener Erfahrung: „Alles ist möglich, wenn du mir vertraust.“ Ist nicht so einfach, wie es klingt. Das Leben ist nicht so einfach. Das Leben ist manchmal ein Kampf. „Kleine Kinder, kleine Sorgen, große Kinder große Sorgen.“ Und die Sorge eines Vaters oder einer Mutter bleibt immer: Was wird aus meinen Kindern? Werden sie mich überleben? Das Schlimmste, was einem als Eltern passieren kann, ist doch, wenn Kinder vor einem selber gehen müssen, wie auch immer, warum auch immer. Es ist einfach eine schlimme Erfahrung, die Eltern durchmachen müssen.

Darum kann ich den wilden Ausbruch des Vaters in der Jesus-Geschichte nur zu gut verstehen: Ich vertraue dir ja – hilf mir doch, meinen Unglauben zu überwinden!« Ja, dieser Satz ist nicht dahingemurmelt, sondern ein Schrei: „Ich will dir ja vertrauen, hilf mir doch, meinen Unglauben zu überwinden!«

Glaube und Unglaube, Vertraue und tiefes Misstrauen, der berühmte letzte Strohhalm, an dem man sich klammert und gleichzeitig die Verzweiflung, man weiß doch, dass ein Strohhalm ein Strohhalm ist.

Der Vater befindet sich in einem regelrechten Glaubensdilemma: „Ich würde ja so gern glauben, aber ich kann nicht! Hilf mir!“

Ich verstehe diesen Mann nur zu gut. Es gibt immer wieder Dinge im Leben, bei denen ich mich selber sehr, sehr hilflos gefühlt habe. Als mein Vater letztes Jahr gestorben ist, fühlte ich mich hilflos. Der Tod meines Langenfelder Kollegens im Dezember machte mich ebenfalls sprachlos. Es gab auch sonst im letzten Jahr so manche Erlebnisse, die ich eigentlich niemanden wünschen würde: Konflikte auf der Arbeit etwa. Sie kennen es vielleicht aus dem eigenen Arbeitsleben. Auf einmal ist die Stelle nicht mehr sicher.

Und jetzt ganz aktuell: die  Corona-Virus -Krise. Sie legt für Monate das gesamte gesellschaftliche Leben lahm, auch das gottesdienstliche Leben. Ich hätte mir nie als Pfarrer träumen lassen, dass ich eine Konfirmation ausfallen lassen muss. Ich hatte anfangs gedacht, das geht schon, eine andere, sicherere Abendmahlspraxis, wir machen halt unsere Gottesdienste vor Corona sicher. Aber schon Konfirmandeneltern haben mich darauf gebracht, das geht so nicht. Später kam dann das allgemeine Gottesdienstverbot von Staat und Kirche dazu. Und da hat sich die Frage ganz von selbst erledigt. Nicht einmal der Karfreitagsgottesdienst und die Ostergottesdienste (einschließlich Osternacht, auf die ich mich so gefreut hatte) wird es geben, alles fällt aus. Ersatzlos. Konfirmation vielleicht im September oder gleich nächstes Jahr. Ist alles noch offen, vage.

Ich weiß nicht, wann die Konfirmation Ihrer Kinder sein wird. Hundertprozentig sicher ist gar nichts in dieser Zeit. Mein Thema für die Konfirmation heute am Palmsonntag wäre die Jahreslosung gewesen: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben“ (Mk 9,24). Sie   i s t   zum Thema des heutigen Palmsonntages geworden, auch ohne Konfirmationsfeier.

Was möchte ich Ihnen als Eltern, als Vater und Mutter Ihrer Konfirmandin bzw Ihres Konfirmanden aus dieser Jesus-Geschichte heraus sagen?

1) Zunächst: Glaube ist in der heutigen Zeit ein ganz kostbares Pflänzlein, das gehegt und gepflegt werden muss. Sie müssen ihren eigenen Glauben hegen und pflegen und als Eltern haben sie auch den Glauben Ihrer Kinder gehegt und gepflegt.

Der Glaube unserer Zeit ist genauso schwach und hin – und hergerissen zwischen Glaube und Unglaube wie in der biblischen Geschichte. Natürlich spielen Aufklärung und Naturwissenschaft eine wichtige Rolle in der Entfremdung vom traditionellen Glauben. Die Beschäftigung mit Vernunft  und Glaube ist für den Glauben für uns Erwachsene nur heilsam, wenn er nicht im Kinderglauben erstarren will. Wir Christen und Christinnen leben heute einen eigenverantwortlich gelebten Glauben. Kein Papst, kein Pfarrer kann Ihnen heute vorschreiben, wie und was Sie zu glauben haben. Und das ist gut so.  Es ist heutzutage nicht mehr so einfach, an einen Schöpfergott zu glauben, schon gar nicht, dass dieser Gott die Welt in sieben Tagen geschaffen hat. Nimmt man diesen Mythos wörtlich, wird es unglaubwürdig. In der Jesus-Geschichte ist von einem bösen Geist die Rede. Damals war klar: Der Sohn ist von einem bösen Geist besessen. Heute wissen wir: Der Junge ist stumm und taub und hat epileptische Anfälle – von Kindheit an. Wir leben heute in keiner böse-Geisterwelt. Das sagt uns unser Glaube und Verstand.

2) Dann möchte ich Ihnen und uns als modernen Menschen Mut machen. Die Jesus-Geschichte von dem Vater, der hin- und hergerissen ist zwischen seinem Glauben und seinem Unglauben, empfinde ich als eine Geschichte, die Mut macht. Als der Vater den Satz herausschreit: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben“, verurteilt Jesus ihn  nicht für seinen Unglauben. Der Vater tritt für sein Kind ein, glaubt stellvertretend für ihn und ermöglicht dadurch die Heilung seines Sohnes.

Die biblische Geschichte vom Vater, der sich für sein Kind einsetzt, ist eine Geschichte, in der Glaube stellvertretend geglaubt wird. Auch wir können als vorangehende Generation stellvertretend für unsere Kinder und Kindeskinder glauben. Wir können unser Glaubenspotential und auch das bisschen, was von unserem Glauben übrig geblieben ist, stellvertretend für unsere Kinder und nachfolgende Generationen einsetzen. Es wird nie der traditionelle Glaube unserer Väter und unserer Mütter sein, den wir weitergeben, sondern immer der eigene Glaube, geformt und geprägt von den Fragen, Zweifeln, aber auch Hoffnungen  unserer Zeit. Und es gibt keinen Glauben, für den wir uns schämen müssten.

Jesus zeigt damit: Wir dürfen zu Gott auch mit unserem Unglauben kommen. So kann sogar der Unglaube eine Kraftquelle sein, die uns Kraft gibt,  und uns zu Gott hintreibt, wenn wir nicht mehr aus und ein wissen. Das Glaubensdilemma ist auf einmal gar nicht so schlimm: Wenn wir genug Kraft zum Glauben haben, ist es gut. Und auch wenn wir nur noch Unglauben in uns vorfinden oder zwischen Glaube und Unglaube hin- und hergerissen werden, ist Gott da und trägt uns. „Ich glaube; hilf meinem Unglauben.“

3) Bei den Jüngern von Jesus hatte der Vater bereits vergeblich um Hilfe gebeten. Jetzt bittet er Jesus selbst.

Sie werden als Väter und Mütter vielleicht eine ähnliche Erfahrung gemacht haben: Die Jünger versagen. Die Kirche versagt. Auch in einer Kirchengemeinde menschelt es manchmal gehörig. Und auch Pfarrer sind alles andere als moralisch integre Persönlichkeiten. Ich nehme mich da nicht davon aus. Es gehört zu den Grunderfahrungen der Christenheit, dass Kirche immer wieder mal versagt. Unter der Nazidiktatur etwa, als vielen ihre gregorianischen Gesänge lieber waren als ein Eintreten für die Juden. Heute ist es vielleicht der Klimawandel, der die Zukunft unserer Kinder in Frage stellt. Auch Christen versagen. Die Missbrauchsberichte in katholischer, aber z.T. auch evangelischer Kirche spricht eine deutliche Sprache. Vom Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit im persönlichen Leben ganz zu schweigen. Da sind auch Sie und ich mit betroffen. Wer kann ehrlich von sich sagen, in völliger Übereinstimmung mit seinen Idealen zu leben…

Der Vater der Jesus-Geschichte hat das Versagen der Jünger leidvoll erlebt. Sie konnten seinem Sohn nicht helfen. Er wendet sich jetzt nicht verzagt ab, sondern bittet Jesus selbst. Auch da braucht es einen schmerzhaften Lernprozess. Gott lässt sich nicht von uns vereinnahmen. Frei und souverän ist die Hilfe Gottes. Sie kann nicht eingeklagt werden. Aber Gott ist da. Gott ist auch da, wenn keine Heilung erfolgt. Wie auch immer Jesus macht Vater und Sohn Mut zum Leben. Aus dem Vater bricht sein letzter Glaube heraus, vermischt mit Unglaube und Zweifel. Jesus wendet sich von ihm nicht ab. Und das Kind des Vaters ergreift er sanft an der Hand und richtet es auf. In einer Zeit, in der wir es tunlichst meiden, einander an der Hand zu ergreifen und einander zu berühren, nehmen wir es momentan auf Distanz schon wahr: Einander berühren, heilt, sich dem anderen zuwenden, berührt, die Hand des anderen richtet auf.

 „Ich glaube; hilf meinem Unglauben.“  

Ich als Vater dreier Kinder, glaube dem, der sich dem Leben verschrieben hat. Ich vertraue dem Gott, der das Leben will. Ganz gleich, was dagegen sprechen mag, Gott tritt ein für das Leben. Und dieser Gott behüte unsere Kinder und unsere Familien. Dieser Gott eröffne ihnen und  uns selbst Wege zum Leben. Bis zur Konfirmation  Eurer Kinder und Jugendlichen behüte Euch Gott. In seiner Hand seid ihr, sind wir alle geborgen.