Monatsarchiv: März 2021

Die (Corona-)Zeit auskaufen Epheser 5,15-20 Predigt

 Trautskirchen  Epheser 5,15-20 „Kauft die Zeit aus!“

Liebe Gemeinde!

„So achtet nun genau darauf, wie ihr euer Leben führt,

nicht als Unweise, sondern als Weise! Und kauft die Zeit aus, denn es ist böse Zeit!

Darum seid nicht unverständig, sondern versteht, was der Wille des Herrn ist.

Sauft euch nicht voll Wein, denn das führt zur Zügellosigkeit, sondern lasst euch vom Geist erfüllen.

Ermuntert einander mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern,           singt und spielt dem Herrn in euren Herzen und sagt Gott, dem Vater, allezeit Dank für alles…          Eph 5,15-20

1. Dankt für alles! Höre ich ganz am Ende heraus. Dankt für alles. Gerade in diesen Zeiten der Dank. Das ist das eine, was mich anspricht und was ich seit Monaten einübe: Jeden Tag überlege ich mir: Wofür kann ich Danke sagen. Gerade in diesen schwierigen Zeiten.  Ich will nur verraten, es gibt vieles, wofür ich danken kann. Ein Ergebnis sind hier in der Kirche die Dankesworte, die ich und auch andere gefunden haben.

Übt euch im Danken ein!

Und Kauft die Zeit aus. Über letzteres möchte ich nun nachdenken.

2. Zunächst ein paar Gedanken zum Stichwort Zeit.

Zeit verrennt. Zeit vergeht.

Unsere Lebenszeit, meine Lebenszeit verstreicht. Ich kann die Zeit nicht aufhalten. Ich kann sie auch nicht zurückdrehen.

Unsere Lebenszeit ist begrenzt.

Und gestundet.

Wie heißt es doch in einem Psalm:

„Unser Leben währet siebzig Jahre,

und wenn`s hoch kommt,

so sind´s achtzig Jahre,“ […]

und

„Es fähret schnell dahin, als flögen wir davon.“

Schnell fährt´s dahin, das Leben, als flögen wir.

Auch ungelebtes Leben fährt dahin, fliegt davon und geht zu Ende. Wie viel nicht gelebtes Leben gibt es! „Dass er starb, ist noch kein Beweis dafür, dass er gelebt hat.“ Schrieb ein Schriftsteller (Stanislaw Jerzy Lec) in seinen „Unfrisierten Gedanken“ Mancher kennt nur seine Arbeit. Ist das ein Leben? Der Stumpfsinn täglicher Arbeitsqual und täglicher Hetze nimmt den Tod vorweg.

Ungelebtes Leben … Auch ungelebtes Leben geht zu Ende.

    

Es ist immer die eigene Lebenszeit, die wir nutzen und auskosten können.

3. Deshalb: Kauft die Zeit aus!

  „Kauft die Zeit aus!“

Schon ein seltsamer Satz. Kauft die Zeit aus! Ausverkauf der Zeit? Lutherdeutsch. Gemeint  ist: Nutzt die Zeit, die ihr habt. Auch in den schwierigen Zeiten.

Die Zeit auskaufen, die Zeit nutzen. Erst einmal möchte ich sagen, was die Zeit nutzen nicht ist:

Die Zeit nutzen, damit ist nicht gemeint, dass wir uns dauernd fragen: Was bringt´s ? Was nützt es?

Essen schnell, schnell, Zeit sparen, auf der Arbeit ja keine Zeit verschwenden, Beziehungen und Freundschaften nur dann pflegen, wenn sie was bringen? Bloß keine Zeit verlieren für Menschen, die nicht wichtig sind? Nur ja keine Zeit verschwenden für unwichtige Dinge. Das ist mit Zeit auskaufen nicht gemeint.

Was bringt´s ? Was nützt es?  Wir können diese Frage nicht ernsthaft stellen, wenn der Mitmensch vor der Tür steht? Oder wenn er anruft. Auch wenn er stört und nervt, ist es doch ein Mitmensch, der nach meiner Zeit verlangt. Wie ist das, wenn jemand für mich keine Zeit hat, weil ich in seinen Augen nur störe oder unwichtig bin.

Da ist jemand, der braucht mich. Und es ist immer gut, sich für den Mitmenschen Zeit zu nehmen und dabei nicht nach dem Nutzen schielen. Gerade die scheinbar unwichtigen Menschen können auf einmal wichtig sein.

Zeit, die nur darauf schaut, was bringt´s, ist womöglich die eigentlich vergeudete Zeit. Wir leben womöglich am echten, wahren, sinnvollen Leben vorbei, wenn wir unsere Zeit nur noch auf Nutzen und Effektivität trimmen.

Jetzt in der Coronazeit haben wir Zeit, viel Zeit.

Jetzt in der Coronazeit, in der Abends nicht so viel los ist, habe ich auch an mir wahrgenommen: Mir ist langweilig. Ich mag abends nicht dauernd fernsehen. Aber in solchen langweiligen Momenten ist mir aufgegangen: Auch die Langeweile, die Muße, dass ich Zeit habe, ist wichtig. Wir  Menschen stoßen auf die wirklich wichtigen Dinge im Leben oft erst dann, wenn wir nicht eingezwängt werden im täglichen Zeitraub. Wir brauchen die Muße zum Nachdenken und Innehalten, selbst wenn die Muße langweilig ist.

Aber zurück zur Frage: Was heißt dann: die Zeit nutzen, auskaufen?

4. Aber wie? Jetzt schauen wir vielleicht doch noch einmal auf den Gesamtzusammenhang. Wie heißt es im Predigttext gleich zuerst:

4.1.  „Achtet auf euer Leben!“  So kauft ihr euer Leben aus.

Das Gegenteil wäre, das Leben nicht achten, sich im Leben träge dahintreiben zu lassen oder gar gleichgültig gegenüber dem Leben zu sein. Ist doch alles egal!

Ist doch alles scheißegal!

Gell, jetzt habe ich Sie schon ein wenig erschreckt. Aber da darf man schon mal hochschrecken. Ist doch schlimm, wenn das einer nicht nur sagt, sondern lebt: dieses Ist doch alles scheißegal!

Was für eine Lebenseinstellung verbirgt sich  dahinter?  Ich versuche dieser Lebenseinstellung eine Sprache zu geben:

„Mir doch scheiß egal, es interessiert mich  nicht, was in der Welt vor sich geht. Es interessiert mich nicht, was in der großen Politik vor sich. Scheißegal, betrifft mich nicht. Und genauso wurscht ist es mir, was vor Ort geschieht, in meinem unmittelbaren Umfeld in Trautskirchen,  in der Region, im Dorf, selbst gegenüber beim Nachbarn. Scheißegal, solange sie mir meine Ruhe lassen.“

Nicht war, über eine solche Scheißegal-Haltung kann man sich ganz schön aufregen. Sie ist weit verbreitet. Aber während ich mich über diese  – entschuldigen Sie bitte „Scheiß-Gleichgültigkeit“  aufrege, merke ich, dass auch wir, ja dass auch ich selber daran kranke. Ja, wenn wir in uns hineinschauen, erschrecken wir möglicherweise vor der eigenen Gleichgültigkeit an den Menschen um uns  herum

und an dem, was in mir und mit mir ist. Ist doch egal! Ist es eben nicht!

Es ist alles andere als egal, was in mir und um mir herum geschieht. Es ist alles andere als wurscht, was im Dorf, in der Gesellschaft, ja auf der globalen Welt so geschieht.

„Achtet auf euer Leben!“ So kann es also ausschauen, eure Zeit auszukaufen und auszukosten: Indem ihr sorgsam mit dem Leben umgeht. Mit dem Leben eurer Mitmenschen, eurer Umwelt, aber auch mit unserem eigenen Leben. Das Leben ist kostbar.

4.2. Dann noch ein zweiter Hinweis, was es heißen kann, das Leben auszukosten:

 „Versteht, was der Wille des Herrn ist!“

Das ist nicht ganz so einfach. Wer weiß schon, was der Wille Gottes ist? Nur Fundamentalisten wissen darauf immer eine fertige Antwort.

Was Gottes Wille ist, wir Menschen finden darauf in unserem Leben nur vorläufige Antworten. Und müssen uns mit anderen beraten: Was meinst du, was ist heutzutage hilfreich, was ist jetzt für uns gut und dran?

Diese Fragen, was wirklich wichtig ist im Leben, kann ich nur mir stellen – mein Leben betreffend. Aber ich kann mit anderen darüber reden. Das öffnet das eigene Denken und erweitert meinen Horizont: Aha, so kann man es auch verstehen, das Leben auszukaufen, auszukosten.

Und schließlich noch ein letzter Hinweis, wie wir das Leben auskaufen, auskosten können:

4.3. „Sauft euch nicht voll Wein! Lasst euch vom Geist erfüllen.“

Damit ist der Lebensgenuss angesprochen.

Das Leben genießen, darf man das etwa nicht?

Nun es gibt ein Zuviel an Genuss. Alkoholiker und

Angehörige von Alkoholkranken wissen das. Es gibt den Rausch, der Leib und Leben zugrunde richtet.

Jeder Mensch kennt Trunkenheit, kennt „Besoffensein“.

Jeder Mensch kennt süchtiges Verhalten, hat seinen „Alkohol“ in seinem Leben. Immer wenn es ein Zuviel an Genuss ist, ein Übermaß, wird es gefährlich.

Der Missbrauch des Lebensgenusses schließt aber nicht den Lebensgenuss aus. Darum heißt es: füllt euch mit heiligem Geist ab.

Auf Latein heißt Alkohol „Spiritus“. Dasselbe Wort wird für den heiligen Geist benutzt, spiritus sanctus.

Es gibt im Leben einen göttlichen Geist,  der uns trunken sein lässt vor Glück. Es sind die glücklichen Momente im Leben, die kleinen und die großen Momente des Lebens, die uns spüren lassen: Das Leben ist mehr als Arbeit. Es ist Glück, Lachen, Staunen.

Es gibt in deinem und meinem Leben glückliche Momente. Wir können sie nicht machen. Das Glück fällt uns in den Schoß. Es gibt Momente im Leben, da können wir vor Freude die Welt umarmen.

Gott möchte, dass wir das Leben genießen können, dass wir uns des Lebens freuen können. Lebenslust und Lebensfreude, auch das sollen wir, dürfen wir auskosten, auskaufen.

Kauf die Zeit aus – sie ist geschenkte Zeit!

Kauf die Zeit aus: Achte auf dein Leben! Von wegen: egal!

Das Leben ist kostbar und wertvoll.

Kauf die Zeit aus, indem du immer wieder danach fragst, was wirklich wichtig ist in deinem Leben.

Kauf die Zeit aus. Füll´ dich nicht ab, aber wenn die Lebenslust dich packt,  lass dich von ihr  erfüllen!

Noch einmal die Worte aus dem Epheserbrief in der Basisbibelübersetzung:

15Achtet also sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt: Nicht voller Dummheit, sondern voller Weisheit.16Macht das Beste aus eurer Zeit, gerade weil es schlimme Tage sind.17Aus diesem Grund sollt ihr nicht unverständig sein, sondern begreifen, was der Wille des Herrn ist!18Betrinkt euch nicht mit Wein, denn das macht euch zügellos. Lasst euch lieber vom Geist Gottes erfüllen.19Tragt euch gegenseitig Psalmen, Hymnen und geistliche Lieder vor .Singt für den Herrnund preist ihn aus  vollem Herzen!20Dankt Gott, dem Vater, zu jeder Zeit und für alles …  Amen

Das Ende der Volkskirche und der Anfang eines neuen Was- auch -immer!

Machen wir uns nichts vor.

Unsere Kirchen und Gemeinden  werden kleiner und kleiner werden.

Kirchengemeinden werden zusammengelegt.

Pfarrer und Pfarrhäuser halbiert.

Die Zahl der Kirchenaustritte wird nicht abnehmen

aller kirchlichen Selbstbeschäftigungsprogrammen zum Trotz.

Die Volkskirche, so wie wir sie kennen, ist am Ende.

Wie können wir Kirche für das Volk sein,

wenn das Volk sich nicht mehr für die Kirche interessiert, geschweige denn für Gott?

Wie können wir Kirche für das Volk sein,

wenn die Menschen fehlen und noch mehr in Zukunft fehlen werden?

Kirche als Amtskirche hat sich in 15 Jahren spätestens überlebt.

In 15 Jahren, wenn sich alles halbiert ist,

werden sich auch die obrigkeitshörigen Strukturen bei den Kirchen überlebt haben

und Kirche wird sich nicht mehr von Kirchensteuer finanzieren können.

Was weg muss und sich überlebt hat, muss weg.

Was Ballast geworden ist, ebenso.

Am Ende bleiben kleine Gemeinden ohne Amt und Würden.

Diese kleinen Gemeinden vor Ort haben durchaus Chancen.

Wir können, wenn wir wollen,

in unseren realexistierenden Gemeinden

jetzt schon

geschwisterlicher leben.

In einer Gesellschaft mit Ellenbogen und erkaltender Liebe können wir unser Christsein vor Ort leuchten lassen.

Eine Kirchengemeinde,

in der Geschwisterlichkeit, Respekt und Wertschätzung gelebt wird,

kann vor Ort signalisieren,

dass es auch anders geht.

Und es geht auch anders:

Wo das freundliche Wort, das Mitgefühl, die Geschwisterlichkeit regieren

können sich Gleichgültigkeit und Hass und Egoismus am Ende nicht durchsetzen.

Die Menschen vor Ort sehen so etwas,

Und unsere kleinen Kirchengemeinden

sind auf einmal kleine Lichter ,

die den Menschen zeigen,

so geht Christsein,

so geht Liebe!

Worauf bauen wir?

Predigt zum Weltgebetstag vom 5. März 2021 aus Vanuatu zu Matthäus 7,24- 27

24»Wer diese Worte von mir hört und sie befolgt, ist wie ein kluger Mann: Er baute sein Haus auf felsigem Boden.25Dann kam ein Wolkenbruch. Die Flüsse traten über die Ufer, die Stürme tobten und rüttelten an dem Haus. Doch es stürzte nicht ein, denn es war auf felsigem Untergrund gebaut.26Wer diese Worte von mir hört und sie nicht befolgt, ist wie ein dummer Mann: Er baute sein Haus auf sandigem Boden.27Dann kam ein Wolkenbruch. Die Flüsse traten über die Ufer, die Stürme tobten und prallten gegen das Haus. Da stürzte es ein und fiel völlig in sich zusammen.«  Basisbibel

Liebe  Gemeindeglieder!

„Worauf bauen wir?“, das fragen uns die Frauen aus Vanuatu, anlässlich des Weltgebetstages 2021. „Worauf bauen wir?“ Die Menschen in Vanuatu bewohnen Inseln im Südpazifik. Da gibt es viel Sand und Vulkanstein. Ich habe mich neugierig gefragt: Worauf bauen die Menschen auf den Inseln Vanuatus ihre Häuser? Ist es Sand wie an den vielen Stränden? Oder ist es vulkanisches Gestein, wenn man ins Landesinnere einer Insel kommt? Und halten diese Häuser stand, wenn wieder einmal ein Wirbelsturm über die Inseln hinwegfegt? Diese Welt am anderen Ende der Erde ist eine ganz andere Welt als hier bei uns in Deutschland. Trotzdem hören wir auf dasselbe Evangelium, dieses Mal ein Gleichnis, das Jesus erzählt hat. Und wir fragen uns, was dieses Gleichnis für die Menschen von Vanuatu und was sie für unser Leben bedeutet.

Worauf bauen wir? Auf Fels oder auf Sand? Immer wieder kommt es vor, dass ein Gebäude in sich zusammenbricht. 

Oft stellt es sich erst während des Einstürzens  oder viel später heraus: Wir haben auf Sand bebaut.

Die ganze Welt kommt mir inzwischen wie ein Haus vor, das ins  Rutschen kommt. Die Inseln im Pazifik drohen durch die drohende Klimakatastrophe unterzugehen. Den Menschen dort steht mehr als uns hier im sicheren Franken mittelfristig das Wasser bis zum Hals. Und zur Zeit machen wir Menschen eine globale Pandemie durch. Es ist egal, wo wir wohnen. Es trifft uns überall. Wir sind überall davon betroffen. Unsere Lebensgewohnheiten kommen ins Rutschen. Unsere Fundamente. Haben wir womöglich auf Sand gebaut?

Häuser kommen ins Rutschen und stürzen ein. Inseln verschwinden im Meer. Eine Pandemie lähmt uns global und konfrontiert uns mit handfesten Fragen: Haben wir genug Impfstoff – weltweit? Haben wir genug Masken – weltweit? Meistern wir diese Pandemie weltweit oder nur auf uns bezogen? Diese weltweite Pandemie stellt auch so manche selbstverständlich genommenen Grundwerte und Fundamente in Frage:

Wird unsere Gesellschaft noch von einem gemeinsamen Fundament getragen? Wie sieht es aus mit dem Respekt vor den Traditionen der Generationen vor uns, auf deren Grund wir bauten?
Oder sind gemeinsame Werte und Traditionen ins Rutschen gekommen?

Wir leben in einer Gesellschaft, in der der Einzelne eine große Last zu tragen hat. „Jeder muss selber wissen, was gut für ihn ist.“
So hört man es über die Zäune und Straßen hinweg, wenn wir uns überhaupt noch an den Zäunen und Straßen begegnen.  Wenn sich Nachbarn über das sonderbare Verhalten eines Dritten unterhalten, dann zucken wir vielleicht mit den Schultern, wenn es um Fragen von Sitte, Anstand, Moral, Ethik geht. „Muss jeder selber wissen!“


Eigentlich ein Widerspruch. Denn Sitte, Anstand, Moral sind gemeinschaftliche Traditionen. Wir regeln mit ihnen unser Zusammenleben.“ Das gehört sich so. Das macht man so. Daran hält man sich tunlichst.“

Oder anders gesagt: „Das gehört sich nicht. Das sagt mir mein Anstandsgefühl. Das tut man nicht.“

Wir leben in einer Gesellschaft, in der der Einzelne, das Individuum betont wird. Das hat schon was: Ich als Einzelner suche mir selber aus, an welchen Gemeinschaften mit welchen Regeln ich teilnehme: zu welchem Verein, zu welchen Kollegen ich mich halte,. Auch ob mir die Gemeinschaft im Gottesdienst oder in der Kirche wichtig ist, ist meine Entscheidung und wenn ich mich nicht zur Kirche geht, ist es auch meine Entscheidung.

Und jeder und jede entscheidet anders. Unser Bedürfnis nach Gemeinschaft ist individuell anders.

Die Sozialforscher sagen sogar: Wir leben in unterschied-lichen Lebenswelten, so als würden wir von der einen Gruppe zur anderen wie auf einen anderen Planeten uns wiederfinden.

Das fordert uns einzelne Menschen mitunter richtig heraus. Wir müssen ständig umschalten, uns auf andere menschliche Gemeinschaften einstellen, und  auch auf die unterschied-lichen Regeln und Traditionen der unterschiedlichen Kreise.
Und fallen wir dort aus der Rolle, müssen wir uns erklären und rechtfertigen.
Deswegen ist der Anpassungsdruck ziemlich groß. Ebenso die Versuchung, den Mund zu halten, zu schweigen, wenn man besser man was sagen sollte.
So fällt es uns Menschen in unserer individualistischen Gesellschaft zunehmend schwer, gemeinsame Ziele für alle unsere Lebensbereiche zu finden. Im Konfliktfall zucken wir dann mit den Schultern und sagen: Muß jeder selber wissen.

Einerseits muss es tatsächlich jeder und jede selber wissen und verantworten, was er oder sie zu tun oder zu lassen hat. Einerseits ist in einer globalen Pandemie jeder und jede gefragt:

Wie steht eigentlich mein persönliches Lebensgebäude da?
Wie stark ist es im Felsen verankert?
Was habe ich doch auf Sand gebaut!
Und was hält mich, wenn unten der Grund nachgibt?

Andererseits ist es ungeheuer hilfreich und entlastend für den Einzelnen, zu wissen, was in unserer Gesellschaft unsere Werte und Traditionen sind, worauf wir uns in der Gesellschaft uns normalerweise verlassen kann und was uns gemeinsam Halt und ein Fundament im Leben gibt gerade in Krisenzeiten.

In Krisenzeiten werden auch die Werte und Traditionen unserer Gemeinschaft gefragt, auch die unserer christlichen Gemeinschaften:

Was verbindet uns als Gemeinde? Wenn wir unsere Fühler ausstrecken, merken wir: Wir sind gar nicht allein auf uns gestellt. Da gibt es neben Trautskirchen auch Neuhof und Markt Erlbach und Wilhermsdorf u.a. Da gibt es unser Dekanat, unsere Landeskirche. Und auch unsere evang. Luth. Kirchen sind nicht allein auf sich gestellt. Wir leben unser Christsein in einer globalen Welt und sind auf einmal mit den Christen aus Vanuatu am anderen Ende der Welt verbunden. Von denen hatte ich vorher nichts gewusst. Und doch gibt es sie und auch für die Menschen im Südpazifik gibt es uns hier in Franken.

Wenn die Menschen auf den Südseeinseln wegen dem Klimawandel absaufen, kann es uns nicht egal sein. Wir sind mit ihnen und allen anderen Menschen verbunden. Die globale Pandemie zeigt es uns eindrücklich, wie abhängig und verbunden wir sind.


Und was haben wir als christliche oder kirchliche Wertegemeinschaft der Gesellschaft zu sagen? Vertreter der nichtchristlichen Gesellschaft können uns kritisch zurückfragen: Inwiefern seid ihr als Kirchen wirklich glaubwürdige Wertegemeinschaft? Die Kirchenaustritte katholischer Christen in Köln wegen sexueller Mißbräuche einiger katholischer Priester gehen uns Evangelische sehr wohl was an. Die Gesellschaft macht keine großen Unterschiede zwischen Evangelisch und Katholisch. Wir hängen als christliche Gemeinschaften da mit drin, ob wir wollen oder nicht. Und auch in unserer evangelischen Kirche ist der Umgang mit Machtmissbrauch auch durchaus ein Thema.

Ob evangelisch oder katholisch, wir sind zudem auch nur ein Teil unterschiedlicher Lebenswelten unserer Gemeinde-glieder, und oft nur ein kleiner Teil.
Viele sind ausgetreten. Viele werden noch austreten. Weil sie unsere christliche Werte nicht mehr teilen oder auch nur aus finanziellen Gründen.


Hat die Kirche einen sicheren Stand, wenn immer mehr Menschen ihr den Rücken kehren?
Passt das Bild einer Volkskirche noch ins Gesamtbild unserer Gesellschaft
Bröckelt und rutscht es hier nicht auch gewaltig?

24»Wer diese Worte von mir hört und sie befolgt, ist wie ein kluger Mann: Er baute sein Haus auf felsigem Boden“

„Diese Worte von mir.“ Es sind die Worte, die Jesus unmittelbar vorher gesagt hat. Auf diese Rede müssen wir hören.

 Aber was ist das denn für eine Rede? Es ist die Bergpredigt.
Die lange Rede Jesu in der Bergpredigt Mt 5-7. Worum geht es Jesus in der Bergpredigt?

Er preist die Armen, die Friedenstifter,
die nach Gerechtigkeit Dürstenden selig.

Es ist die Rede Jesu, in der er sagt: Halt auch noch die andere Backe hin, wenn dich einer auf die eine haut.
Es ist die Rede Jesu, in der er sagt: Kümmere dich um den Balken im eigenen Auge, bevor du am Splitter im Auge des Nächsten operierst.
Und: Sorgt euch nicht. Trachtet vielmehr zuerst nach dem Reich Gottes zuerst, alles andere wird euch zufallen.

»Wer diese Worte von mir hört und sie befolgt, ist wie ein kluger Mann:
Was Jesus sagt, sollen wir als Nachfolger nicht nur hören, sondern auch tun!

Hören  – dazu haben wir die Bibel zu Hause und hier im Gottesdienst wird die Bibel ausgelegt.

Aber lasst uns die Rede Jesu nicht in den Mauern der Kirche und Familien einsperren für gemütlich-weihevolle Stimmung. Lasst es uns von Jesus auch gesagt sein lassen.

26Wer diese Worte von mir hört und sie nicht befolgt, ist wie ein dummer Mann: Er baute sein Haus auf sandigem Boden.2
Ist das deutlich? Wenn wir als Gemeinde unsere christlichen Traditionen in der verstaubten Bibel im Regal archivieren,
ihr keine Kraft für unser heutiges Leben zutrauen,
werden unsere christlichen Werte im Boden versinken.

Wer diese Worte von mir hört und sie befolgt, ist wie ein kluger Mann: Er baute sein Haus auf felsigem Boden.2
Wenn wir die Rede Jesu hören und tun, was er von uns heute fordert, werden wir fest stehen und im Leben bleiben,
und kein Sturm und keine Pandemie der Welt wird uns den Boden entziehen können.
Amen.

Wenn Gott sauer ist und enttäuscht…

Jesaja 5,1-7 | 28.2.21  Trautskirchen Jesajas Weinberglied

Liebe Gemeinde,

unser heutiger Predigttext ist ein uraltes Lied. Es wurde vor rund 2.700 Jahren gesungen. Jesaja hat es gesungen einst auf den Gassen in Jerusalem. Den Leuten damals wird es gefallen haben, am Anfang wenigstens.

-1-          Jesaja 5, Vers 1 und ein Teil von Vers 2:

Ein Lied von meinem Freund will ich euch singen. Es ist das Lied von meinem Freund und seinem Weinberg: Mein Freund hatte einen Weinberg auf einem fruchtbaren Hügel.2Er grub ihn um, entfernte die Steine und bepflanzte ihn mit den besten Weinstöcken. Mittendrin baute er einen Wachturm. Auch eine Kelter zum Pressen der Trauben hob er aus. Dann wartete er auf eine gute Traubenernte,

Jesaja singt von seinem Freund. Er kennt ihn offenbar gut. Er schätzt, ja liebt ihn. Der Freund des Liedsängers legt einen Weinberg an. Dafür sucht er sich einen gut geeigneten Ort aus und macht sich umsichtig ans Werk. Er gräbt den Boden um. Steine werden entfernt, Die Reben werden gepflanzt. Der Freund tut noch mehr. Er baut einen Turm und gräbt eine Kelter, um später den Saft der Reben auf zu fangen. Damit ist alles getan. Nun beginnt wie auch für die Bauern nach der Saat das Warten. Der Freund ist erwartungsvoll. Er kann es auch sein, denn er hat alles, wirklich alles getan.

-2-  Aber. Ja, Aber. Es kommt ganz anders als der Freund es erwartet hat. Hören Sie selbst

Jesaja, 5 Vers 2b:

aber der Weinberg brachte nur schlechte Beeren hervor.

Jesaja sieht erstaunte Gesichter: „Das kann doch nicht wahr sein., denken sie. Doch es stimmt,  der Weinberg, brachte schlechte“ Früchte singt Jesaja.  Er geht noch einen Schritt weiter. Er ruf seine Zuhörer, Bürger Jerusalems, zu Zeugen auf. Sie verstehen offenbar Einiges vom Weinbau.  Und er macht noch etwas. Er wechselt die Person. Er spricht nicht mehr von „seinem Freund“, sondern von sich selbst. Er geht noch weiter. Er macht die Zuhörer zu Richtern. Er macht sie zu Richtern zwischen sich und dem Weinberg. Hören Sie selbst:

Jesaja 5, die Verse 3 und 4:

3Jetzt urteilt selbst, ihr Einwohner von Jerusalem und ihr Leute von Juda! Wer ist im Recht – ich oder mein Weinberg? 4Habe ich irgendetwas vergessen? Was hätte ich für meinen Weinberg noch tun sollen? Ich konnte doch erwarten, dass er gute Trauben trägt. Warum hat er nur schlechte Beeren hervorgebracht?

„Was sollte man noch mehr tun?“  Die Zuhörer, die Bürger Jerusalem – damals arbeiten sie offenbar in den Weinbergen der Umgebung. Sie, die Zuhörer sind Fachleute. Sie kennen den Weinbau, Die Lage eines Weinberges ist wichtig für die Güte des Weins. Sie wissen, wie ein Weinberg zu bearbeiten ist.

Ihre Antwort kann darum nur sein: Nichts. Nichts ist vergessen oder falsch gemacht worden.- Diese Antwort, aber wartet Jesaja gar nicht ab. Sie ist selbst verständlich. Er  kommt darum gleich zur Konsequenz.  Er sagt den Männern, was er tun wird. Hören Sie selbst:

-3-  Jesaja 5, die Verse 5 und 6:

5Ich will euch sagen, was ich mit meinem Weinberg tun werde: Die Hecke um ihn herum werde ich entfernen und seine Schutzmauer niederreißen. Dann werden die Tiere ihn kahl fressen und zertrampeln.6Ich werde ihn völlig verwildern lassen: Die Reben werden nicht mehr beschnitten und der Boden nicht mehr gehackt. Dornen und Disteln werden ihn überwuchern. Den Wolken werde ich verbieten, ihn mit Regen zu bewässern.

Dieser Teil des Liedes wird ihnen nicht gefallen haben: Das ist das Ende des Weinberges. Er wird zerstört. Und wieder geht Jesaja ins Detail. Der Zaun wird weggenommen, damit alle, Mensch und Tier drüber laufen können. Die Mauer wird eingerissen. Schritt für Schritt wird der Weinberg zerstört. Zum Schluss lässt er es sogar nicht regnen. Trockenheit ist angesagt.

Regen soll ausbleiben. Das kann ein Winzer nicht tun. Er ist nicht in der Lage, dem Wetter zu verbieten zu regnen. Das kann nur Gott. Damit wird klar:   Es geht hier um Gott. Wir Menschen sind sein Weinberg und Gott ist als Weinberg-besitzer über uns Menschen tief enttäuscht und frustriert.

Gott selbst ist enttäuscht und frustriert. Und dieser frustrierte Gott singt zornig sein Klagelied über die Menschen, die er liebt und die er gehegt und gepflegt hat, wie ein Winzer seinen Weinstock, aber einfach keine Frucht bringen wollen.

Nun das kennen wir doch auch. „Mensch, bin ich jetzt gefrustet! Alles umsonst, vergebliche Liebesmühe, alles für die Katz! Mensch, bin ich jetzt enttäuscht. Und sauer!“

Da gibst Du alles in der Schule, büffelst wie blöd und verzichtest auf alle Freizeit und wieder nur eine fünf  in der Matheklausur!

Da setzt Du Dich ein in Deinem Beruf, bist kreativ und voller Tatendrang und dann kriegst wieder eine auf die Fresse! Ja sogar bei den engsten Familienangehörigen kennen wir das. Mensch bin ich sauer auf meine Kinder! Mensch, was fällt meine Alten Eltern ein! Mensch, bin ich enttäuscht über den Ehepartner, den besten Freund! Sowas hätte ich ihm, ihr nicht zugetraut!

Wo immer wir mit Menschen zu tun haben, menschelt es und machen wir diese Erfahrungen: „Ich habe mich in jemanden schwer getäuscht. Ich bin einem Zerrbild hinterhergelaufen zu sein. Ich bin richtig frustiert!

Manchmal möchten wir am liebsten auf den Tisch hauen, auf den Boden stampfen, vor Wut brüllen: „Ach lasst mich doch in Ruh ihr blöden A…!“

So denken wir Menschen manchmal. Aber gilt das auch für Gott? Ist Gott ein enttäuschter Weinbergbesitzer, der alles  hinschmeißt, bloß weil es nicht so läuft wie er es erwartet?

In dem Weinberglied Jesajas können wir noch ein weiteres Gefühl nachspüren. Da ist nicht nur der Frust des Weinberg-besitzers zu spüren, der umsonst geschuftet hat. Es kommt noch schlimmer: In dem Weinberglied gibt sich Gott als schwer gekränkter Liebhaber des Lebens zu erkennen.

Der Weinberg, das ist ein allen Zuhörern vertrautes Bild für die Braut. An vielen Stellen der Bibel, besonders im Hohen Lied der Liebe, vergleicht der verliebte Bräutigam seine Braut mit dem Weinberg „deine Liebe ist köstlicher als Wein, Liebste. Du bist mein Weinberg, lass mich heran, Liebste!“ Im Hohen Lied geht es um ein  erotisches Verhältnis zwischen zwei verliebte Menschen. Und nehmen wir das Lied vom Weinberg Jesajas ernst, hat Gott auch ein erotisches Liebesverhältnis zu uns. Und so wie einem enttäuschten Bräutigam mit seiner treulosen und seiner Liebe nicht würdigen Braut geht es Gott mit uns. Das Lied besingt Gottes leidenschaftliche Liebe zu uns, die in enttäuschte Liebe und Wut und Hass umschlägt.

Gott macht schon etwas mit mit uns Menschen: Was investiert Gott nicht an Zeit und Liebesenergie in uns als Weinberg.

Wir kennen das auch von unserer Liebesmüh, die oft eine verlorene Liebesmüh wird. Da habe ich mich bemüht und ganz viel Zeit und Kraft in eine Freundschaft oder in eine Liebesbeziehung gesteckt und plötzlich scheint alles umsonst, weil andere Kräfte viel stärker sind. Das kann eine andere Liebe sein, die alles durcheinanderwirbelt, oder eine Alkoholabhängigkeit, die einen Menschen vollkommen verändert. Manchmal gehen Freundschaften aber auch schlicht an Bequemlichkeit zu Grunde. Jedenfalls ist es sehr enttäuschend, wenn man merkt: Ich habe so viel in diese Beziehung eingebracht und so viel von mir selbst gezeigt und am Ende kommt nichts zurück. Ich kenne Menschen die nach solch einer Erfahrung äußerst zurückhaltend bei jeder neuen Freundschaft geworden sind. Andere haben sich ein Leben lang auf keine weitere Beziehung mehr eingelassen aus Angst wieder enttäuscht zu werden

Und auch das kennen wir doch auch:  Die Erfahrung, mit Liebesentzug bestraft zu werden, wenn wir nicht sind wie wir sein sollten. Oder noch anders: Anderen Menschen, einst heiß geliebt, mit einem Mal die Liebe und Zuneigung zu entziehen, nur weil sie nicht unseren eigenen Erwartungen entsprechen.  Im zwischenmenschlichen Leben scheitern unsere Liebesbemühungen und schlagen um in Hass und Gleichgültigkeit. Ich mag diesen Menschen nicht mehr lieben. Ich hasse ihn und will nichts mehr mit ihm zu tun haben!

So denken wir manchmal. Aber trifft das auch auf Gott zu? Ist Gott ein enttäuschter Liebhaber, der uns nun hart mit Liebesentzug bestraft, weil wir nicht so sind wie wir sein sollen?

Wir merken:  Das Weinberglied des Propheten Jesajas, das so harmlos begann, ist kein fröhliches Liedchen, es ist ein bitterer Gesang ohne happy end. Es ist ein Lied von einer enttäuschten göttlichen Liebe, einer göttlichen Liebe, die in Bitterkeit, Wut und Enttäuschung endet.

Es ist Gott, der über uns Menschen frustriert und enttäuscht ist. Es ist Gott, der so richtig sauer ist wegen uns Menschen.

Es ist Gott, der uns Menschen androht, uns seine Liebe zu entziehen.

Es ist Gott, der alles andere als ein lieber Gott ist.

Dieser Gott kann richtig sauer sein. Dieser Gott gibt sich nicht dafür her, unsere Wünsche und Bedürfnisse zu befriedigen.

Dieser Gott ist nicht die Projektion unserer Wünsche. Der Gott dieses Weinbergliedes kann von uns richtig verletzt werden, und er von uns enttäuscht. Dieser Gott kann uns zum Gegenpart werden. Dieser Gott will von uns Antwort haben und gibt sich nicht damit zufrieden, wenn wir schweigen und alles verdrängen wollen. Dieser Gott findet unseren Lebensunsinn, den wir verbreiten, unerträglich. Ein Gott, dessen Liebe immer wieder von uns enttäuscht wird und der darauf sauer reagiert.

Ja, es stimmt: Jesaja singt ein Liebeslied. Ja, es stimmt: Auch die zornige Reaktion Gottes ist eingerahmt in die göttliche Liebe. Jesaja singt vom Schmerz der göttlichen Liebe, vom Schmerz der Liebe Gottes.

Aber – und das ist mir wichtig: Der Schmerz Gottes wird nicht zugedeckt von seiner Liebe. Wenn wir den Schmerz Gottes wie Jesaja nachspüren, ist Gott abgrundtief weit weg von uns. Der enttäuschte, zornige Gott ist uns fremd, muss uns fremd sein. Und wir sind Gott auch fremd. Da ist keine Nähe. Da ist Gott verborgen und vielleicht sich selbst fremd.

Auch das kennen wir doch vom uns selber. Es gibt Phasen in meinem Leben, in denen ich vom Leben und von mir selber enttäuscht bin, Phasen, in ganz auf mich selbst zurückgeworfen bin, wo ich nur noch mich selber habe. Dann warte ich vergeblich darauf, angesprochen zu werden, angesehen, berührt, herausgeholt zu werden aus meiner Menschen-, Welt- und Gottverschlossenheit. In meiner Einsamkeit höre ich kein Wort und finde keinen Lichtblick.

Wüste, Dornen und Disteln, auch das gehört zu unserem Leben. Enttäuschung, nichts an Hoffnung will wachsen und gedeihen, und auch eine feindlich gesinnte Umwelt,  auch das kann  zu unseren Glaubenserfahrungen als Gotteserfahrungen gehören. Zur Liebe und zum Glauben, das lehrt uns das Weinberglied, gehört auch die Passion, das Leiden, der Schmerz.

Das gehört auch zur Passion Gottes. Gott leidet. Gott leidet nicht nur mit uns. Gott leidet auch an uns. Gottes Schmerz gehört auch zum Glauben dazu, wie unser Schmerz zum Leben dazugehört.

Gott weiß also auf schmerzhafte Weise, , was es heißt, sich umsonst abgemüht und vergeblich geliebt zu haben. Der schmerzhafte Weg, den Gott mit Jesus später gegangen ist, lässt uns ahnen: Für Gott ist kein „Umsonst“ endgültig. Für Gottes Schmerz gibt es kein Zu-spät und kein Aus und Vorbei.  Mit der Passion Jesu zeigt Gott: Gott begibt sich selber ins Leid der Welt, sogar ins selbstverschuldete Leid der Welt. Seitdem haben der Schatten des Umsonst und des vernichtenden Zorns, die Dornen und die Wüste unseres kleinen Lebens und des ungeheuren Leides der Welt nicht mehr das letzte Wort.

Das Lied vom Schmerz und der Liebe Gottes wird weiter gesungen, auch in der Heiligen Schrift. Dort gibt es dann das Lied vom lieblichen Weinberg, den Gott Tag und Nacht behütet (Jesaja 27, 2-5). Und es gibt im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg das Lied vom überraschend großzügigen und seine Liebe völlig unverdient und nicht berechnend austeilenden Gott (Matthäus 20, 1-15).

-4-     Ganz zum Schluss lesen wir am Schluss des Liedes vom Weinberg in Vers 7:

7Wer ist dieser Weinberg? Der Weinberg des Herrn Zebaot, das sind die Bewohner von Israel. Die Leute von Juda, sie sind sein Lieblingsgarten. Der Herr wartete auf Rechtsspruch, doch seht her, da war Rechtsbruch. Er wartete auf Gerechtigkeit, doch hört nur, wie der Rechtlose schreit.

Gott wartet auf Rechtsspruch. Gott wartet auf Gerechtigkeit.

Was  Rechtsbruch und das Geschrei der Rechtlosen bedeuten, dazu brauchen wir keine Auslegung. Das wissen wir alle. Was Recht und Gerechtigkeit in unserer Welt bedeuten, wissen wir eigentlich auch. Wir müssen es nur tun, das Recht einhalten und für Gerechtigkeit sorgen.

Und das wäre dann auch ein gutes Ende des Weinbergliedes:

Wir sind Gottes Weinberg und Gott erfreut sich an den Früchten der Gerechtigkeit und des Rechtes. Amen.

Coronafasten – wenn Corona zu etwas gut ist…

Jesaja 58,1-11  Basisbibel Coronafasten     14.2.21 Trk

Liebe Gemeinde!

Was war das sicher für ein Jubel, als sie aus der babylonischen Gefangenschaft wieder zurückgekommen sind in die Heimat ihres Volkes. Endlich frei! Endlich daheim! Eine regelrechte Aufbruchstimmung tut sich auf. Jetzt wird in die Hände gespukt und alles wieder aufgebaut. So wie wir Deutschen nach dem 2. Weltkrieg.

Und wie wir Deutschen am Volkstrauertag an die Katastrophe der letzten Kriege gedenken, gedenken die wieder heimgekehrten Juden an ganz bestimmten Fastentagen der Katastrophe der Gefangenschaft: Nie wieder darf das geschehen, das wir uns unterjochen lassen! Nie wieder Sklaverei in Babylon! Der Blick geht zuversichtlich nach vorn.

Aber mit den Jahren holt sie der Alltag ein. Ernüchterung macht sich breit. Es geht nicht so, wie sie sich das vorgestellt haben. Die wirtschaftliche Not bringt ihre Pläne ins Stocken. Der Alltag ist hart.

Der Prophet, wir nennen ihn Tritojesaja, tritt auf.  Gott rührt sein Herz an, lässt ihm keine Ruhe, bis er die Menschen im Namen Gottes aufrüttelt:

581Ruf, so laut du kannst, halt dich nicht zurück! Lass deine Stimme erschallen wie ein Widderhorn! Halt meinem Volk seine Verbrechen vor, den Nachkommen Jakobs ihre Vergehen.2Sie befragen mich Tag für Tag und wollen wissen, was mein Wille ist. Als wären sie ein Volk, das Gerechtigkeit übt und das Recht seines Gottes nicht missachtet! Sie fordern von mir gerechte Entscheidungen und wollen, dass ich ihnen nahe bin.

Und dann zitiert Tritojesaja das jüdische Volk selber wie es mault:

3Und dann fragen sie mich: Warum achtest du nicht darauf, wenn wir fasten? Warum bemerkst du nicht, wie wir uns quälen?

Statt froh und dankbar zu sein, dass sie wieder im verheißenen Land leben dürfen, jammern und klagen sie. Mir kommt das bekannt vor: Jammern und klagen, das können auch wir Franken. Aber zurück zum jüdischen Volk: Kaum zurück aus dem babylonischen Exil jammern und klagen auch sie. Es geht ihnen ja so schlecht. Sie jammern Gott die Ohren voll: Sie fordern von ihm ihr vermeintliches Recht. Ist es nicht unser Recht, dass du Gott uns hilfst, dass es uns wieder besser geht?

Und darauf antwortet Tritojesaja im Auftrag Gottes:

Ich antworte: Was tut ihr denn an den Fastentagen? Ihr geht euren Geschäften nach und treibt eure Untergebenen zur Arbeit an!4Ihr fastet nur, um Zank und Streit anzuzetteln und mit roher Gewalt zuzuschlagen. So wie ihr jetzt fastet, findet eure Stimme im Himmel kein Gehör.5Meint ihr, dass ich ein solches Fasten liebe? Wenn Menschen sich quälen, den Kopf hängen lassen wie umgeknicktes Schilf und in Sack und Asche gehen? Nennst du das Fasten, einen Tag, der dem Herrn gefällt?

Nennst du das Fasten?  Das “Fasten” beim Volk Israel nach der Rückkehr aus dem Exil schaut anders aus als das Fasten 2021 bei uns Christen.Damals war das “Fasten” des jüdischen Volkes ein Ausdruck der Not und des Mangels im Volk! Nach der Rückkehr aus dem Exil hatten sie nichts, zu mindestens lebten sie nicht im Überfluss. Die Fastentage damals sind Tage der Trauer und der Klage: Menschen quälen sich, lassen den Kopf hängen wie umgeknick-tes Schilf und gehen in Sack und Asche.

Was aber ist falsch an ihrem “Fasten”? Die Fastentage erinnern an die Katastrophe der Gefangennahme und der Gefangenschaft. Aber anscheinend wurden sie nicht mehr so verstanden. Sie haben ihren Sinn verloren. Die Menschen damals haben den Sinn dieser speziellen Feiertage nicht mehr verstanden, diese Feiertage sind zu leeren und hohlen Ritualen verkommen – darum bleiben sie wirkungslos. Eigentlich tun sie im Alltagsleben genau das ihren Mitmenschen an, was sie damals vor Jahren selber erlitten haben und woran ihre Fastentage erinnern. Ihr Fasten ist sinnentleert und hohl. Die Menschen wissen nicht einmal mehr, warum und wozu sie diese Fastentage frei haben!

Damals zur Zeit Tritojesajas hatten sich die “Fastentage” sogar in ihr Gegenteil verkehrt: Wie könnt ihr – während ihr anscheinend eurer Gefangenschaft und Unterdrückung gedenkt, selber eure Mitmenschen unterdrücken? Wie könnt ihr gnadenlos eure Geschäfte machen, den alltäglichen Kleinkrieg gegeneinander führen?

Wir haben auch unsere Fastentage und Feiertage, zum Teil völlig sinnentleert. Aber darauf will ich heute nicht eingehen. Seit März 2020 und weit über heute hinaus befinden wir uns in einem zwanghaften Dauer-Fasten. Ob wir wollen oder nicht, wir müssen seit vielen Monaten fasten und verzichten. Nicht freiwillig, sondern mit staatlichen Auflage, Gesetzen und Verboten leben wir 2020 und 2021 in einem Dauerfasten und Dauerverzicht. Wir leben in erheblichen Einschränkungen. Wir müssen kein Klopapier horten, und die Lebensmittelvorräte reichen allemal. Aber keine Schule, kein Kindergarten, für viele keine Arbeit und vor allem immer auf Abstand zum Mitmenschen mit Maske. Das ist unser Fasten heute!

Seit März 2020 und sicher weit bis in die Mitte das Jahres 2021 hinein müssen wir uns erheblich  einschränken. Ich nenne es mal das Doppeljahr von Corona.

Ich finde, dieses Jahr des Verzichts, diese sechzehn oder achtzehn Monate, in denen wir uns einschränken müssen,

dieses Doppeljahr von Corona stellt vieles in Frage:

Worauf kommt es an?

Welche Wünsche willst du dir noch erfüllen?

Welche Träume hast du auf Eis gelegt.

Was bedeutet dir wirklich etwas?

Und wo hast du dir selbst nur etwas vorgespielt – und den anderen?

Ich finde, dieses Jahr des Verzichts,

diese sechzehn oder achtzehn Monate, in denen wir uns einschränken müssen,

dieses Doppeljahr von Corona stellt die Frage nach dem wahren Wert unseres Miteinanders.

Was wäre für dich die Krönung deines Lebens?

Was ist dir am Ende wirklich wichtig?

Wollte ich tatsächlich noch einmal Kreuzfahrten machen, an Orte, die ich eh schon kenne?

Einmal noch mit dem Flugzeug fliegen, die Schönheit der Korallen im Meer sehen? Oder die Schönheit der Gletscher Islands?

Noch einmal die Welt besehen? Und da dabei die Welt verpesten?

Angesichts der Todeszahlen überlege auch ich neu,

wie ich meine Prioritäten aufstelle:

Was bleibt von den Lebensträumen?

Was ist mir wirklich wichtig?

Dieses Jahr des Verzichts,

diese sechzehn oder achtzehn Monate, in denen wir uns einschränken müssen, dieses Doppeljahr von Corona stellt jeden und jede von uns in Frage:

Verschleudere nicht deine Resourcen und die Resourcen der Welt? Geh achtsam mit deinem Leben und deiner Welt um!

Das ist die Predigt, die ich mir selbst predigen will:

Das Leben ist zu kurz, um Unnützes zu pflegen.

Das Leben ist viel zu schön, als dass man sich verzetteln könnte.

Du hast zu wählen. Du wirst dich entscheiden müssen.

Diese Corona- Fastenzeit, die sich keiner freiwillig aussucht, hilft dabei,

noch einmal in uns hinein zu hören:

die Prioritäten neu aus zu richten,

die Dinge ins rechte Licht zu stellen,

und auch die Träume zu bewerten.

Was habe ich erreicht? Was will ich noch erleben?

Ich habe schon von Menschen kurz vor dem Ruhestand gehört, die den Traum von Kreuzfahrten aufgegeben haben, weil sie den jungen Menschen nicht ihre Zukunft verbauen wollen.

Nicht nur im Alter stehen wir vor solchen Entscheidungen.

Auch in jungen Jahren tut es gut,

sich die Zeit zur Besinnung

zu organisieren,

einzurichten.

Etwas weniger Fernsehen, mehr Sport und Bewegung.

Auch als junger Mensch kann man mal

auf einen Friedhof gehen,

ein Buch lesen,

sich zu bilden und weise zu leben,

all das kann helfen – und vieles andere mehr,

damit wir uns auf das bleibend Wichtige besinnen.

Was will ich im Leben noch erreichen?

Wofür hat es sich zu leben gelohnt?

Da ist es eine gute Übung, Gewohnheit zu unterbrechen,

den Rhythmus des Lebens umzulenken,

einmal etwas anderes zu denken und zu tun.

Ernährung          bewusste Entscheidungen treffen:

All das ist gemeint, wenn wir fasten;

genauer gesagt – und mit den Worten Tritojesajas:

richtig fasten. In sich gehen.

Sich an die Brust schlagen

und den Puls fühlen:

Wo ist echt Bedarf?

Was macht Sinn?

Wo engagiere ich mich?

Hören wir noch mal diese Worte des Propheten:

6Löst die Fesseln der zu Unrecht Gefangenen, bindet ihr drückendes Joch los! Lasst die Misshandelten frei und macht jeder Unterdrückung ein Ende!

7Teil dein Brot mit dem Hungrigen, nimm die Armen und Obdachlosen ins Haus auf. Wenn du einen nackt siehst, bekleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Nächsten!

8Dann bricht dein Licht hervor wie die Morgenröte, und deine Heilung schreitet schnell voran. Deine Gerechtigkeit zieht vor dir her, und die Herrlichkeit des Herrn folgt dir nach.

9Dann antwortet der Herr, wenn du rufst. Wenn du um Hilfe schreist, sagt er: Ich bin für dich da!

Hören wir, was Gott hier zusagt und verspricht: Ich bin für euch da! Aber nicht, wenn ihr beim Fasten eure Mitmenschen bescheißt!  Ich, Gott, bin für euch da, bei eurem Fasten, wenn es dabei gerecht zu geht. 

In eurem gerechten Tun verkörpert sich Gott. Darum sagt der Prophet:

Schaff die Unterdrückung bei dir ab, zeig auf niemanden mit dem Finger und unterlass üble Nachrede. 10Nimm dich des Hungrigen an und mach den Notleidenden satt.

Das Tun des Guten ist wichtiger als religiöse Wahrheiten.

Tue das Gute! Das sind klare Ansagen und Herausforderungen – die auch für uns heute auch unter völlig veränderten Lebensumständen genau so aktuell sind:

Löst die Fesseln der zu Unrecht Gefangenen, bindet ihr drückendes Joch los! Lasst die Misshandelten frei und macht jeder Unterdrückung ein Ende!7Teil dein Brot mit dem Hungrigen, nimm die Armen und Obdachlosen ins Haus auf. Wenn du einen nackt siehst, bekleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Nächsten   (V6+7).

In all dem, was Tritojesaja gerechtes Tun, das Tun des Guten nennt, verkörpert sich das, was wir Gott nennen.

Wenn Gott da ist, dann darf es keine Unterdrückung geben. Und Unterdrückung kann viele Facetten: jedes Ausgrenzen von Menschen ist eine Form der Unterdrückung. Ausgrenzen heißt: jemanden die Lebensmöglichkeiten beschneiden, jemandem die Luft zum Atmen nehmen.

Wenn Gott da sein soll, dann dürfen wir uns auch im Blick auf die Lebensmittel nicht uns unseren Mitmenschen entziehen. „Unser tägliches Brot gib uns heute“ beten wir und damit beten wir ausdrücklich dazu: alle Menschen mögen genug zu essen haben, nicht nur du und ich, die gerade Nahrung in Fülle haben. Und das gilt sogar für den Impfstoff. Er soll gerecht verteilt werden und Impfdränglern eine Absage erteilt werden, selbst wenn sie Landrat oder Bischof sind.

Kurz und knapp gesagt: Gott ist da,  indem wir – gemeinsam, aber auch jede und jeder einzeln – die Gegenwart Gottes und seine liebevolle Zuwendung zu uns Menschen verkörpern, indem wir ihr einen Körper, ihre Gestalt geben.  Das können wir ganz wörtlich verstehen, liebe Gemeinde: Wir verkörpern die Liebe Gottes auf dieser Welt.

Das Elend in der Welt werden wir nicht abstellen – aber die Liebe Gottes gewinnt dort eine sichtbare Gestalt durch uns, wenn wir andere ‘unser Herz finden’ lassen. Dann ist Gott da, dann geschieht Gott. Dann lässt Gott sich bei uns auch finden.

Lass die Menschen in Not “dein Herz finden” und du findest Gott.  Gottes Liebe verkörpert sich in uns Menschen.

Aber wie übersetzen wir das in unsere Zeit, in unser Leben, in unseren Alltag? –

Wir können beten, dass Gott für Gerechtigkeit in dieser Welt sorgt und dass er Menschen das Thema aufs Herz legt! Und Gott wird sich von uns finden lassen.

Wir können bewusster einkaufen und unseren übermäßigen Konsum überdenken. Jeder von uns hat täglich Kontakt mit Sachen die von ausgebeuteten Menschen erstellt wurden: Socken die wir tragen, Schokolade die wir essen, T-Shirts die wir kaufen,…  Und Gott wird sich von uns finden lassen.

Wir können Geld in Menschen investieren, z.B. durch eine Kinderpatenschaft statt es auf dem Bankkonto zu bunkern. Und Gott wird sich von uns finden lassen.

Wir dürfen kreativ werden und auf ganz unterschiedliche Weisen Armut und Ungerechtigkeit bekämpfen Und Gott wird sich von uns finden lassen. Gott wird sich verkörpern in unserer Liebe, in unserem gerechten Tun auf Erden.

Gottes Liebe verkörpert sich in uns Menschen. Diesen Satz können wir auch in das Leben  unserer Gemeinden übersetzen: Als Gemeinde sind wir nicht bloß für uns da, dass es uns gut geht, dass Gott uns behütet und mit allem versorgt, was wir brauchen. Nein, als Gemeinde sind wir immer für einander und für andere Menschen da. Das können Mitmenschen im unmittelbaren Umfeld sein: Einander besuchen, auch die, die wegen Corona sich nicht aus ihren Häusern trauen. Auf außenstehende Menschen achten, gerade wenn sie alt, einsam, krank sind. Immer wenn das in einer Gemeinde getan wird, berührt das das Herz vieler Menschen: Das finden sie gut und dadurch  finden sie sogar Gott in unserer Mitte.

Dann strahlt im Dunkeln ein Licht für dich auf. Die Finsternis um dich herum wird hell wie der Mittag.11Der Herr wird dich immer und überall führen. Er wird dich auch in der Dürre satt machen und deinen Körper stärken. Dann wirst du wie ein gut bewässerter Garten sein, wie eine Quelle, die niemals versiegt.  Amen

„Dornen, Steine, Ackerboden – von der Landschaft unserer Seele“

Lukas 8,4-8   7.2.21 Trautskirchen


Das Gleichnis vom Säen auf verschiedenen Böden

4Eine große Volksmenge versammelte sich um Jesus, und aus allen Orten strömten die Leute zu ihm. Da erzählte er ihnen ein Gleichnis:5»Ein Bauer ging aufs Feld, um seine Saat auszusäen. Während er die Körner auswarf, fiel ein Teil davon auf den Weg. Die Körner wurden zertreten, und die Vögel pickten sie auf.6Ein anderer Teil fiel auf felsigen Boden. Die Körner gingen auf und vertrockneten schnell wieder, weil sie keine Feuchtigkeit hatten.7Ein weiterer Teil fiel zwischen die Disteln. Die Disteln gingen mit auf und erstickten die junge Saat.8Aber ein anderer Teil fiel auf guten Boden. Die Körner gingen auf und brachten hundertfachen Ertrag. «Dann rief Jesus noch: »Wer Ohren zum Hören hat, soll gut zuhören.«


Liebe Gemeinde!

Wenn Jesus Geschichten erzählt, dann spielen die oft mitten im Alltag seiner Zuhörerinnen und Zuhörer. Dann haben die Leute sofort vertraute Bilder vor Augen oder einen vertrauten Duft in der Nase, oder sie hören Geräusche und Klänge, die sie gut kennen. Wir hören diese Geschichten heute sicher anders, weil die Bedingungen sich geändert haben. Wir leben und arbeiten ganz anders als die Menschen um Jesus damals. Und trotzdem haben diese alten Geschichten eine enorme Kraft, unser Herz und unsere Sinne anzusprechen. Schaut mal, welche Bilder oder Klänge in Euch auftauchen, wenn Ihr die folgende alte Geschichte neu hört.


Stell dir vor, Jesus geht mit dir über die Felder um Trautskirchen herum spazieren. Und während ihr beide da so lauft, räusperst du dich und traust dich Jesus etwas zu fragen.  „Du, Jesus, hör mal, ich fand das Gleichnis vom Sämann schon spannend, das du vorhin erzählt hast! Nur haben wir heutzutage große Bulldogs und Sämaschinen. Dein Bauer mit Saatschürze, der so großzügig die Samenkörner ausstreut, ist etwas altmodisch. Wir machen das längst nicht mehr so.“ Und Jesus antwortet dir: „Da hast du recht, da hat sich in der Landwirtschaft viel verändert. Aber weißt du was, so Ecken und Fluren kennt ihr auch. Geh mal mit.“

Und dann bleibt er an einem Landschaftsfleck stehen. „Stell Dir mal einen Bauern vor, der bald im Frühjahr hier über dieses Feld geht und aussät.“ – „Da brauch ich nicht viel Phantasie“, sagst du. – „Genau“, sagt Jesus, „Du weißt, wie das ist. Also, dieser Bauer nimmt sein Saatgut und geht über seinen Acker und wirft es mit vollen Händen in alle Richtungen.“ – „Moment mal“, sagst du „das würde ein kluger Landwirt nicht so machen. Der würde schon gucken, wo er das kostbare Saatgut hinwirft.“ – „Ja!“ lacht Jesus. „Genau! Du hast völlig Recht! Jeder vernünftige Landwirt würde das so machen. Aber der, von dem ich Dir erzähle, der macht das anders. Der wirft das mit vollen Händen in alle Richtungen.“ – „Das klingt nicht sehr vernünftig “, meinst du etwas irritiert. „Stimmt“, sagt Jesus. „Aber so ist er nun mal, dieser Bauer! Misst nicht genau ab, rechnet auch nicht nach, der schüttet das, was er zu geben hat, einfach so über die Erde.“ Du schaust ein bisschen verständnislos und Jesus fragt dich freundlich: „Und jetzt sag mir mal: Was passiert, wenn einer das Saatgut so übers Land wirft?“ – „Das ist doch klar“, sagst du, „es landet längst nicht alles da, wo es was bringt!“ – „Ganz genau!“, sagt Jesus. „Jetzt schau Dir mal den Boden an, auf dem wir gerade gehen. Wo wird hier was wachsen um uns herum?“ – „Ist auch klar“, sagst du, „da vorne ist guter Mutterboden, da wird einiges wachsen. Da drüben sind nur Steine, da wächst schon mal gar nichts. Und da hinten, da sind die dichten Sträucher und die Disteln, da ist keine Luft, kein Licht. Da kommt nichts. Ja und hier natürlich auch nicht. Da ist der Wanderweg, da laufen jeden Tag zig Leute drüber, da wird der Boden immer neu festgetreten – keine Chance.“ – „Ja!“ sagt Jesus. „Und genau so ist das bei vielen Leuten, wenn ich ihnen vom offenen Himmel erzähle. Da sind zum Beispiel manchmal Leute, die wissen immer schon alles von Gott. Die kennen ihn ganz genau, als wenn sie gerade mit ihm gefrühstückt hätten. Die wissen ganz genau, wie Gott ist und was er will und was man machen muss, wenn man ihm nahe sein will. Die sagen um Beispiel: Gott ist nur bei denen, die zur richtigen Gemeinschaft gehören und die die richtigen Sätze unterschreiben. Er liebt nur die, die sich an die Regeln halten. Und wenn einer die Kurve nicht kriegt, wenn er irgendwie aus der Bahn geworfen ist, dann hat er halt Pech gehabt, dann ist er draußen. Haben wir doch immer schon so gelernt! Sagt unsere Tradition schon immer! Wo kämen wir denn hin, wenn das aufgeweicht wird? Verstehst Du? Das ist wie auf so einem festgetretenen Weg.

Und dann komme ich hier plötzlich und erzähle ihnen von einem Vater im Himmel, unter dessen gütigem Blick wir alle leben und der seine Sonne aufgehen lässt über Gerechte und Ungerechte. Das prallt so was an denen ab.“ – „Ich verstehe“, sagst du.

„Oder“, sagt Jesus, „oft sind da auch Leute, die wissen schon von vornherein, dass das alles nur Unfug sein kann, was ich erzähle. Die sagen: Was Du da sagst, das ist ein schöner Traum, eine Illusion. Schau Dir die Welt doch an, schau Dir an, was die Wissenschaft alles rausgefunden hat! Da ist kein Platz für Deinen gütigen Vater im Himmel. Der ist ein Märchen.“

– „Na ja“, sagst du, „das kann man ja noch verstehen.“ – „Ja“, antwortet Jesus. „Aber auch da merkst Du, dass sich das bei vielen so verfestigt hat wie der Boden hier unter unseren Füßen. Da ist keine Offenheit mehr für was Überraschendes, da ist kein Spalt, wo ich vielleicht etwas Neues hineinlegen könnte, einen neuen Gedanken, eine neue Erfahrung mit diesem Gott, oder wenigstens ein bisschen Offenheit dafür, dass es vielleicht doch mehr geben könnte als man erforschen und nachweisen kann. Um dann einfach mal zu schauen, was passiert.“ – „Verstehe“, sagst du ziemlich nachdenklich. Und du betrachtest schweigend den Weg, auf dem ihr beiden gerade weitergeht.

Der Weg macht eine kleine Biegung und Jesus sagt weiter: „Und dann begegnen mir Leute, da habe ich das Gefühl: eigentlich würden die gerne einen Spalt ihrer Seele öffnen, um da ein Körnchen reinzulassen. Aber sie trauen sich nicht. Weil sie schon zu viel erlebt haben. Sie haben sich schon mal geöffnet,  – und sie haben es bitter bereut. Irgendjemand hat ihnen weh getan, irgendwer hat sie enttäuscht oder verletzt. Vielleicht mehrere Male. Vielleicht sogar jemand aus ihrer Gemeinde oder Kirche. Irgendwer hat ihr Vertrauen missbraucht oder sie bloßgestellt oder alleingelassen oder irgendwas anderes. Es gibt so viele Wege, einen Menschen zu verletzen. Und jetzt sagen diese Leute: Das passiert mir nicht noch mal! Eher mauer ich mir das Herz zu, als dass ich da noch mal jemanden dran lasse! Ich mach mich nicht mehr verwundbar!“ – „Tja“, sagst du, „auch das verstehe ich gut.“ – „Na klar“, sagt Jesus. „Nur, wenn Du das machst, wenn Du eine Mauer um Dein Herz baust, um es zu schützen, dann hältst Du eben nicht nur das von Dir fern, was gefährlich ist. Du wehrst auch das ab, was Dir gut tun könnte, was Dich befreien könnte, was Dich heilen könnte!“ – „Die Steine da“, sagst du. „So ähnlich ist das dann.“ – „Ganz genau“, sagt Jesus. „Und das tut mir immer besonders weh, wenn ich sehe, wie Menschen das abblocken, was sie heilen könnte.“ – „Als wenn einer zu seinem Arzt sagen würde: Mach bloß nichts bei mir, Du willst mich ja sowieso nur vergiften“, sagst du. „Genau so“, sagt Jesus. „Schönes Bild!“ Und ihr beide betrachtet schweigend die Steine, während sie weitergehen …

Der Weg wird jetzt ein Stück steiler. Und Jesus sagt: „Und dann treffe ich manchmal Leute, die sind ganz offen und interessiert, und wenn ich mit denen rede, dann merke ich: da kommt was rüber, da kommt was an, die nehmen gerne was in sich auf und würden es gerne wachsen lassen. Aber dann triffst Du sie eine Weile später wieder und merkst: Da sind inzwischen tausend andere Dinge passiert, und die sind alle wichtiger. Irgendwas zu Hause, irgendwas bei der Arbeit, irgendwas Schönes oder Spannendes oder auch Schreckliches, die sind voll mit tausend Sorgen und Geschichten, da ist überhaupt kein Platz für einen neuen Gedanken, der sich da langsam entfalten könnte. Denn was ich den Leuten bringe, das muss langsam wachsen. Wie die Saat auf Deinen Feldern! Das braucht Zeit und das braucht auch Platz – und einiges an Aufmerksamkeit! Und da muss immer wieder neu das Licht der Sonne dran. Wenn das so zugewuchert wird, dann geht es ruckzuck ein.“ – „Genau wie da drüben unter den Büschen und Dornen“, sagst du. „Da käme auch nichts hoch, das wäre direkt vorbei.“ – „Ja“, sagt Jesus, „wie da drüben!“ Und ihr beide betrachtet die dornigen Büsche, an denen ihr beide gerade vorbeigeht …

Langsam senkt sich der Weg wieder ein bisschen. „Ich glaube, mir wird einiges klar“, sagst du. „Aber sag mal: Ist das nicht sehr enttäuschend, wenn da einfach nirgendwo was wächst, da nicht und da nicht und da auch nicht …“ – „Sicher“, sagt Jesus. „Aber jetzt schau dich hier noch mal um!“ – Du bleibst stehen, guckst sich um, zuckst die Achseln. „Hilf mir mal auf die Sprünge. Ich weiß grad nicht, was Du meinst.“ – „Wir haben uns jetzt die ganzen Stellen angesehen, wo nichts aufgehen würde“, sagt Jesus. „Jetzt schau mal da vorne hin! Und dort!“ – „Oh ja“, sagst du erfreut. „Fruchtbare Erde!“ – „Und zwar eine ganze Menge“, sagt Jesus. „Und du kennst dich selber aus, dir brauch ich nicht zu erzählen, was passiert, wenn da was drauf fällt!“ – „Wenn´s regnet,“ sagst du, „dann geht das alles wunderbar auf! In guten Jahren hast du da eine reiche Ernte!“ – „Ja“, sagt Jesus, „und genau das erlebe ich auch immer wieder: Dass was aufgeht! Dass was fruchtet in den Herzen der Leute! Dass etwas Neues wächst. Und das ist dann nicht nur für die Menschen selber, in denen das geschieht. Das geht weiter! Viel weiter! Und dann weiß ich ganz genau: Es ist richtig, es lohnt sich, mit vollen Händen auszuteilen! Es wird immer wieder etwas auf fruchtbaren Boden fallen.“ Du nickst. Und ihr beide bleibt stehen und betrachtet eine Weile das ganze fruchtbare Land um euch herum …

Ihr beiden habt inzwischen fast den ganzen Weg zwischen den Feldern hinter euch und schweigt eine Weile nachdenklich vor euch hin. „Was ist?“ fragt Jesus. „Wo bist Du gerade?“ – Du schaust ihn an und sagst: „Ich überlege gerade, was für ein Boden ich wohl bin.“ – „Und?“ fragt Jesus. – „Also, ich wäre ja gerne guter, fruchtbarer Boden, durch und durch, von oben bis unten. Aber wenn ich mal ganz ehrlich hinschaue, dann merke ich: ich hab von allen vier Böden was in mir drin. Ich hab was von den dornigen Büschen und Disteln, ich merk selber, wie das immer wieder wuchert, wie ich voll bin mit tausend Dingen, und dann ist da kein Platz. Dann höre ich heute was Spannendes und morgen oder übermorgen ist es schon wieder weg. Oder ich denke: Ja, genau, so könnte man leben, das könnte man doch mal probieren! Und am nächsten Morgen denke ich schon wieder: nee, das geht doch nicht, kann man doch nicht machen …“ – „So ist das“, sagt Jesus.

 „Und ein paar Sachen hab ich ganz tief in mir drin – da lass ich auch keinen ran.“ – „Auch den guten Sämann nicht“, sagt Jesus. – „Nee, auch den nicht“, sagst du etwas verlegen. – „Ich weiß,“ sagt Jesus.

 „Und das mit dem festgetretenen Weg … da weiß ich nicht so richtig … da muss ich noch mal drüber nachdenken.“ – „Ja,“ sagt Jesus. „Auch da wirst Du was finden.“

 „Also hab ich was von allem,“ sagst du. „Von den Steinen, von den Dornen, vom Weg …“ – „… und vom fruchtbaren Boden!“ ergänzt Jesus. „Vergiss den nicht!“ – „Und was mach ich jetzt damit?“ fragst du. „Etwas ganz Wichtiges hast schon gemacht“, sagt Jesus. „Du hast ehrlich hingeschaut. Jeder Mensch hat alle vier Böden in sich. Wenn auch unterschiedlich verteilt.

Und wenn Du das gesehen hast, dann ist wichtig: Starr nicht auf die unfruchtbaren Böden! Verzweifle nicht an den Dornen in Deiner Seele! Mach Dich nicht fertig wegen der Steine um Dein Herz! Miss nicht ängstlich aus, wie viel wovon da ist! Das bringt nichts. Sondern kümmere Dich um das fruchtbare Stück Land in Deiner Seele! Was kann auf diesem Boden wachsen? Das ist die einzig wichtige Frage! Du kannst die unfruchtbaren Ecken in Dir nicht mit Gewalt entfernen – das geht nicht! Aber wenn Du das fruchtbare Land in Dir kultivierst, wenn Du es pflegst, wenn Du es wertschätzt, dann kann es sein, dass die fruchtbare Erde sich in Dir ausbreitet – und die anderen Bereiche zurückgehen.“ –„Und was ist, wenn ich da nicht gar nicht so viel finde?“ fragst du. Jesus schaut dich an und sagt: „Weißt Du, was das Wichtigste an dem ist, was ich Dir gerade erzählt habe? Wichtig an meiner Geschichte ist nicht nur das Ende: die große Ernte. Genauso wichtig ist der Anfang: `Ein Sämann ging auf seinen Acker, um zu säen. Und er warf das Saatgut mit vollen Händen über das Feld.´ Und das tut er heute. Und morgen. Und übermorgen. Und in zwei Wochen. Und in fünfzig Jahren – über dem Feld Deiner Seele! Immer wieder neu! Und er lässt sich nicht davon entmutigen, wenn so viel davon immer wieder liegen bleibt. Er wartet geduldig, bis etwas aufgeht. Es wird etwas aufgehen! Es ist schon etwas aufgegangen! Und es wird noch mehr aufgehen! Verlass Dich drauf!“ Du schaust Jesus noch eine Weile nachdenklich an. Dann nickst du, drückst Jesus die Hand, verabschiedest dich von ihm und gehst deines Weges. Und ich bin sicher: Du tust das nachdenklich, aber auch fröhlich und irgendwie befreit und gelöst.


Und wir, wir dürfen uns in diesem Menschen an der Seite Jesu gerne wiederfinden mit der ganz individuellen Landschaft unserer Seele, mit den ganz verschiedenen Ecken und Flächen, die da sind. Und unter dem gütigen Blick Gottes können wir unsere eigene Seelenlandschaft genauso ehrlich betrachten. Und noch einmal genauer hinschauen: Was ist da an fruchtbarem Land in mir? Was wartet vielleicht nur darauf, dass es Frucht bringen kann?  Was ist schon längst dabei, zu wachsen – und ich habs noch gar nicht gesehen? Und: Was kann ich selber tun, um das fruchtbare Land in mir zu pflegen und zu kultivieren? Was kann Dünger sein für das Feld meiner Seele? Vielleicht, wenn ich mit Leuten rede, immer wieder, die mich auf gute, neue Gedanken bringen. Vielleicht, wenn ich ein Buch lese, das nicht einfach nur wiederholt, was ich sowieso schon denke und weiß. Vielleicht, wenn ich eine regelmäßige geistliche Übung einhalte, die meinem Rhythmus entspricht und die mich für einen Moment aus den tausend anderen Dingen herausholt. Dünger frür ,meine Seele ist für mich eine tägliche einfache Dankesübung:  Ich notiere mir früh am Morgen, drei Dinge, auch kleine Dinge, für die ich dankbar bin.

Dünger für meine Seele kann Musik sein, die etwas in mir öffnet. Oder manchmal schon, wenn ich für eine Weile ganz achtsam durchs Leben gehe und schaue, was mir da entgegenkommt. Es kann auch eine Aufgabe sein, die ich übernehme und die meinen Blick verändert auf die Menschen, die ich da treffe – und auf mich selbst. Was kann Dünger sein für das fruchtbare Land in Euch? Achtet mal darauf in der kommenden Zeit! Und freut Euch an allem, was Ihr da entdeckt! Und wo wir’s selbst nicht hinkriegen, den Boden unserer Seele zu öffnen für Gottes heilsame Liebe, dann lasst uns ihn bitten, das selbst behutsam zu tun! Und: lasst uns ihm dafür danken, dass er nicht müde wird, sein Saatgut auszuteilen, verschwenderisch und ohne zu rechnen!


Amen

Amanda und Rut und unsere Lebensperspektiven

Rut1,1-19     31.1.21  Trk

Am 20. Januar wurde Joe Biden in sein Amt als amerikanischer Präsident eingeführt. Viele haben diesen historischen Moment im Fernsehen, im Radio oder in den sozialen Medien verfolgt. Die Inszenierung war groß und würdevoll. Nicht der Präsident stand im Mittelpunkt, sondern die Demokratie und die Werte, die Amerika geprägt haben und eine Basis bilden, um den Herausforderungen der Gegenwart zu begegnen und gemeinsam in die Zukunft zu gehen.

Besonders beeindruckt hat mich die die junge Poetin Amanda Gorman mit ihrem Gedicht: The Hill we climb

Der Hügel, den wir erklimmen.

Das Gedicht beginnt mit den Worten:

„Wenn es Tag wird, fragen wir uns,

wo wir Licht zu finden vermögen,

in diesem niemals endenden Schatten?“

Es geht in ihrem Gedicht um Licht und Schatten, um einen Lichtblick, um Lebensperspektive des amerikanischen Volkes. Eigentlich geht es um Licht und Lebensperspektive der ganzen Menschheit.

Amanda Gorman verbindet ihre eigenen persönlichen Erfahrungen mit Licht und Hoffnung aller Menschen.

Sie erinnert als Tochter einer schwarzen, alleinerziehenden Frau an den amerikanischen Traum, genauso wie an den Traum Martin Luther Kings und die Vision, „ein Land zu bilden, das sich allen Kulturen, Farben, Charakteren und menschlichen Lebensverhältnissen verpflichtet fühlt“

Ihre Worte sind prophetisch – im Wissen um die Vergangenheit und die Probleme der Gegenwart richtet sie den Blick nach vorn:

„Wir schließen die Kluft, weil wir wissen, dass wir, um unsere Zukunft an erste Stelle zu setzen, zuerst unsere Unterschiede beiseitelegen müssen. Wir legen unsere Waffen nieder, damit wir unsere Arme nacheinander ausstrecken können.“-

Aus ihrem Bild eines geeinten Amerikas spricht eine große Sehnsucht, aber auch Hoffnung: Und so schließt ihr Gedicht mit den Worten:

„Wenn der Tag kommt, treten wir aus dem Schatten heraus, entflammt und ohne Angst. Die neue Morgendämmerung erblüht, wenn wir sie befreien. Denn es gibt immer Licht, wenn wir nur mutig genug sind, es zu sehen, wenn wir nur mutig genug sind, es zu sein.“

Das berührt mich.

Es gibt immer Licht, wenn wir nur mutig genug sind es zu sehen und es zu sein

Und es führt mich zum Buch Rut, Predigttext für heute. Das Buch Rut erzählt von Licht und Hoffnung, von der Lebensperspektive einer anderen Frau, Rut

Nachlesen können Sie die Geschichte im 1. Kapitel des Buches Rut. Jetzt erzähle ich den Predigttext:

Verschiedene Personen spielen eine Rolle: Zunächst Elimelech, der Mann von Noomi, ihr Söhne Machlan uns Kiljan, dann ihre Schwiegertöchter Orpa und Rut und ganz am Schluss spielt ein kleiner Obed eine Rolle in der Familiengeschichte. Alles sprechende  Namen, aber dazu später bei Gelegenheit mehr dazu.

1.Aufbruch mit Verlusten – und kam Ende wenig Lebensperspektive

Elimelech „Gott ist mein König“ ist ein frommer jüdischer Mann, der an seinen Gott glaubt und ihn tatsächlich für seinen König hält. Seine Glaube sagt ihm: Mein Gott sorgt für mich und meine Familie. Und so reagiert er auch relativ gelassen, als er merkt, dass im jüdischen Land eine Hungersnot sich anbahnt. Er lebt in Bethlehem, Brothausen.

Elimelech betrachtet die völlig vertrockneten Weizenhalme der Felder, nimmt eine vertrockneten Halm in seiner Hand. Er trägt ihn zu seiner Frau Noomi, legt ihn auf den Tisch und sagt: Sieh Dir das an, Noomi, meine Liebliche. Der Weizen vertrocknet. Wir werden in absehbarer Zeit nicht genug zu essen haben.

Entschlossen blickt er auf: Wir gehen woanders hin. Gott wird uns einen Ort zeigen, wo wir leben können, Lass uns gehen. Auch wenn der Ort, wo wir zu Hause sind, Bethlehem „Brothaus“ heißt: Hier gibt es kein Brot. Und ohne Brot ist „Brothaus“ nicht mehr unser Zuhause.

Wenig später schließt Elimelech das Haus ab und zieht mit Noomi und den beiden Söhnen Machlan und Kiljan los. Beides sprechende Namen: Machlan der Kränkliche, Kiljan, der Gebrechliche. Elimelech vertraut darauf, dass auch seine kränklichen und gebrechlichen Kinder eine Lebensperspektive haben. Elimelech lässt die vertraute Heimat zurück. Die vier gehen ins Ausland zu den Moabitern. Eigentlich sind es die Feinde des jüdischen Volkes. Aber die Moabiter haben ein Herz für diese hungernde jüdische Familie.  Dort im Ausland finden sie genug. Sie bleiben. Es gibt Essen und einen überschaubaren Alltag.

Aber dann stirbt Elimelech. Übrig bleiben Noomi als Witwe und zwei Halbwaisen. Und jetzt? Die Söhne, inzwischen alt genug zum Heiraten, treffen die Entscheidung: Wir heiraten in der Fremde. Wir bleiben bei den Moabitern. Es geht uns hier gut. Auch wenn wir nicht so gesund und leistungsfähig sind, wird Gott für uns sorgen. Wir können arbeite und haben eine Lebensperspektive.

Noomi ist zufrieden, es gibt Essen und erneut einen überschaubaren Alltag. Schade, dass die Ehen ihrer Söhne kinderlos bleiben. Und dass ihr Mann Elimelech fehlt, schmerzt. Aber dann sterben auch die beiden jungen Männer Machlan und Kiljan. Von der ursprünglichen

Familie bleibt nur eine übrig: nur Noomi. Als Witwe in der Fremde. Die Verluste ihrer beiden Söhne tun so weh. Und der Blick in die Zukunft auch: Wer wird für sie sorgen? Hier im Ausland gibt es kein Netzwerk für sie, die Übriggebliebene, für die Fremde in der Fremde. Und erneut und verschärft lautet die Frage: Habe ich noch eine Lebensperspektive? Wie kann es weitergehen? Eigentlich gibt es für mich keine Hoffnung, keinen Lichtblick mehr. Noomi ist nahe dabei, sich aufzugeben.

2. Erneuter Aufbruch aus Hunger – bitter und wie ein Albtraum

Noomi gibt sich einen Ruck und steht auf. Sie

geht zurück. Den Ausschlag gibt ein Gerücht: Gott gibt wieder tägliches Brot – seinem jüdischen Volk. Bethlehem ist wieder „Brothaus“. Bethlehem hat wieder Brot. Vielleicht auch für Noomi?

. Sie macht sich auf,

steht auf, wird aktiv, bricht auf, bricht ihre Situation auf.

Ihre Schwiegertöchter Orpa und Rut hat sie im Schlepptau.

Unterwegs kommt Noomi ins Grübeln. Ja, sie stammt aus Bethlehem. Sie hat dort noch Verbindungen.

Sie wird eine Chance haben. Doch die fremden Witfrauen? Sie werden dort so verloren sein wie Noomi es

in der Fremde war. Noomi bleibt stehen. Sie muss die beiden Frauen wieder zurückschicken. Und das tut sie. Mit den besten Wünschen und einem Abschiedskuss.

Aber die beiden jungen Frauen, Orpa und Rut,

weigern sich. Sie beteuern lauthals: „Wir wollen bei Dir bleiben.“ Sie sind bereit, das Vertraute hinter sich

zu lassen um der einen Vertrauten willen. Doch Noomi widersetzt sich. Keine Zeit für Gefühle. Hier muss

pragmatisch gedacht und gehandelt werden. Und so malt Noomi den Frauen klipp und klar vor Augen: Mit

mir habt ihr keine Zukunft, keine Lebensperspektive. Noomi unterstreicht: Mit ihr mitzugehen bedeutet, Gott gegen sich

zu haben. Denn so erlebt Noomi ihre Situation, so deutet sie sie: Gott war anscheinend gegen sie, ihr Leben ist anscheinend auf ganzer Linie gescheitert. Kein Brot. Kein Mann. Keine Söhne. Keine Hoffnung. Keine Zukunft. Alles hat ihr Gott genommen. Bitter, hebräisch „mara“, ist ihr Leben. Nennt mich nicht mehr Noomi, die Liebliche, nennt mich Mara, die Bittere! Sagt sie den beiden Frauen.

Zum Albtraum ist mein Leben geworden. Ich habe keine Lebensperspektive , keine Hoffnung. Das ist nichts für euch jungen Frauen!

3. Rut bindet sich fest an Noomi und begleitet sie nach Bethlehem

Diesmal gibt Orpa nach, Orpa, die wörtlich heißt „Die den Rücken kehrt“ dreht Noomi den Rücken zu und kehrt heim.

Aber Rut, wörtlich die Freundin oder Gefährtin erweist sich als treue Freundin und Lebensgefährtin. Sie hängt sich an Noomi. Ein drittes Mal schickt Noomi Rut weg: „Geh zurück, schnell, lauf Orpa nach!“

Doch Rut weigert sich. Rut hat sich entschieden. Sie bleibt bei Noomi. Wie ernst es ihr ist, macht Rut mit einer großen Selbstverpflichtung deutlich:

„Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk,

und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden. Der

HERR tue mir dies und das, nur der Tod wird mich und dich scheiden.“

Mit großer Ernsthaftigkeit bindet Rut ihr Leben an das von Noomi, hängt sich an sie, als wollte sie sagen: Ich lasse

dich nicht, du segnest mich denn. Soll heißen, ich darf mitgehen, bei dir bleiben Tag und Nacht bis zum

Ende. Und Rut besiegelt ihre Entscheidung mit einem Schwur bei dem Gott, den Noomi als feindlich

gesinnt erlebt. Rut weiß, was sie hinaufbeschwören könnte. Und sie tut’s trotzdem. Oder gerade deshalb.

Es ist ihr bitterernst. So kehrt Noomi als Witwe mit nichts außer einer Geschichte des Scheiterns und des

Verlustes und einer fremden Frau, die selbst bereits Witwe ist, nach Bethlehem zurück. Mit nichts in den

Händen außer der Hoffnung auf Brot und einem sozialen  Netzwerk, das sie hoffentlich irgendwie tragen wird.

Pläne? Ein Fremdwort. Leben von Tag zu Tag ist angesagt. Wann hört es endlich auf? Wann wird sie

wieder gerne vom Tisch aufstehen?

4. Zwei Neuanfänge

So kehrt Noomi zurück: als „Rest“ ihrer ursprünglichen Familie. Mitten in ihrer Perspektivlosigkeit sieht sie nicht, was kommt. Und doch ist es längst angelegt: eine bessere Zeit. Denn immerhin: Ein Rest kehrt zurück. Und mit einem Rest hat Gott in seiner Geschichte mit Israel, mit den

Menschen immer wieder etwas vor. Dem Rest gilt seine besondere Liebe. Der Rest bildet den Sauerteig

für einen Neuanfang. Und ein Zweites ist angelegt: Obgleich fremd, kommt Rut mit. Und diese Fremde

wandert ein. Nach Bethlehem. In das Volk Gottes. In den Stammbaum Davids wandert sie ein und so in

den Stammbaum Jesu. Rut wird als moabitische Frau Teil der Geschichte Gottes mit seinem Volk und allen Menschen.

6. Noomi, Obed und die Zukunft

All das bekommt Noomi nicht mit. Wie auch? Sie steckt ja mittendrin. So wie wir. Noch ehe die nächsten 10 Jahre vergangen sind, am Ende des Buches Rut, wird erzählt, wie Noomi einen kleinen Jungen auf dem Schoss hält, Obed, den Sohn von Rut. Bestimmt hat Noomi dem Obed

Geschichten erzählt. Von früher. Zum Beispiel wie sie nach Bethlehem zurückkam. Wir hören Noomi

erzählen: „Nur ich allein war übriggeblieben. Wozu?“ „Na um auf mich aufzupassen!“, ruft ihr Enkel Obed, wörtlich „Verehrer“begeistert. Noomi lacht. „Damals hab ich mir doch nicht vorstellen können, noch einmal einen solchen

Schatz verehren darf! Jedenfalls habe ich unterwegs nachgedacht: Ich geh nach Hause, nach

Bethlehem zurück. Allein.“ „Biste aber nicht!“, quakt Obed dazwischen. Noomi nickt versonnen. „Hast

recht, bin ich nicht. Deine Mutter, die Rut hing an mir wie eine Freundin und wollte unbedingt bei mir bleiben.

Unbedingt! Bei Gott hat sie es geschworen. Und dann blieb sie bei mir, bei Tag und bei Nacht.“ „Und bei

mir und bei Papa und in Bethlehem und bei Gott.“, ergänzt Obed begeistert. Noomi nickt. „Es war so gut,

dass sie ihren Sturkopf durchgesetzt hat! Sonst gäbe es dich nicht. Und mir ginge es bestimmt schlechter.

Wer hätte das damals gedacht, dass alles so gut werden würde!“ In dem Moment tritt Obeds Mutter Rut

vor die Tür und ruft: „Zu Tisch!“ Und aus dem Haus dringt der Duft von frischem Brot.

7. Das Besser hat längst angefangen. Unsichtbar, doch gegenwärtig.

Tatsächlich: Es werden kommen vom

Osten und von Westen, von Norden und von Süden, die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes. Und es

wird gut sein. Menschen werden gerne vom Tisch aufstehen, weil sie sich auf das freuen, was vor ihnen

liegt. Wann wird das sein? Wann bekommen wir einen Vorgeschmack, wann wird es besser? Wenn ich

von unserem Predigttext her denke: Das hat schon längst angefangen. Und das Gerücht, das gute

Gerücht vom Brot, von Leben und Zukunft dringt auch uns entgegen. Der Geruch, der Duft von frischem

Brot, weht hinein in unser Mittendrin mit all seinen Rückschlägen und Verlusten. Und dieser Duft lockt.

Von daher: Vielleicht ist es an der Zeit, sich aufzumachen. Mal sehen, was werden wird. Mal sehen, wen

wir mitbringen werden dorthin, wo aller Hunger gesättigt wird. Mal sehen, wann er uns aufgeht, der

Sauerteig von Gottes Güte, der Kern vom guten Ende. Denn der steckt unsichtbar, doch gegenwärtig

auch in unserem Mittendrin. Amen.

IV. Zum Schluss noch einmal Amanda Gorman:

Wenn der Tag kommt, treten wir aus dem Schatten heraus,

entflammt und ohne Angst.

Die neue Morgendämmerung erblüht, wenn wir sie befreien.

Denn es gibt immer Licht,

wenn wir nur mutig genug sind, es zu sehen,

wenn wir nur mutig genug sind, es zu sein.